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Kultur: Flussaufwärts mit den Nibelungen

Manche Bilder vergisst man nicht. Das kann Philipp Lahms Tor im Eröffnungsspiel sein, aber auch – das gibt es – ein völlig fußballfremdes.

Manche Bilder vergisst man nicht. Das kann Philipp Lahms Tor im Eröffnungsspiel sein, aber auch – das gibt es – ein völlig fußballfremdes. Etwa die Szene aus dem Film „Fitzcarraldo“, in der Werner Herzog ein Dampfschiff über einen Berg ziehen ließ. Eineinhalb Jahrhunderte davor hatte die britische East India Company eine Expedition ausgerüstet, um einen schnelleren Weg in die englische Kronkolonie Indien zu finden.

Statt der üblichen vier- bis sechsmonatigen Reise ums Kap der Guten Hoffnung sollte die neue Route durchs Mittelmeer, durch Syrien, auf Flussschiffen den Euphrat hinunter bis Basra, schließlich durch den Persischen Golf nach Indien führen. Dazu mussten die beiden Raddampfer „Euphrates“ und „Tigris“ zerlegt und an den Oberlauf des Euphrat gebracht werden. Doch als die Exkursion 1836 startete, ging es nicht nur um einen kürzeren Reiseweg, sondern auch um die Demonstration westlicher Stärke. Das alles fand im Zweistromland statt, der ältesten menschlichen Kulturlandschaft – im heutigen Irak. Das Unternehmen wurde zum Debakel. Ein Dampfer sank, das Interesse der Company an dem unorthodoxen Reiseweg erlosch schnell. Ursula Naumann hat ihn anhand von Briefen, Tagebüchern und Memoiren der Beteiligten rekonstruiert. Zwei von ihnen, der Expeditionsleiter Francis Rawdon Chesney und die als Mann verkleidete deutsche Arztgattin Pauline, stehen im Mittelpunkt von „Euphrat Queen“ (C.H. Beck). Am Mittwoch, 28.6. (19 Uhr 30), präsentiert Ursula Naumann diese „Expedition ins Paradies“ im Ethnologischen Museum (Lansstr. 8, Dahlem).

Mit der Fahrt an einem Fluss beginnt auch einer der wichtigsten deutschen Nachkriegsromane. Da sitzt der Bundestags-Abgeordnete Keetenheuve im „Nibelungenexpress“ der Deutschen Bundesbahn und fährt den Rhein entlang nach Bonn. Dort will er die deutsche Wiederbewaffnung verhindern. Wenn es einen Roman gibt, der die frühe Wirtschaftswunderrepublik atmosphärisch subtil und technisch auf der Höhe der literarischen Moderne beschreibt, dann ist es Wolfgang Koeppens Treibhaus von 1953. Historisches Personal von Adenauer bis Kurt Schumacher tritt auf, alte Eliten regieren wieder, Opportunismus blüht. Peter Goedel hat den Roman 1987 verfilmt. Zu Koeppens 100. Geburtstag wird der Film in Anwesenheit des Regisseurs im Brecht-Haus gezeigt (Mittwoch, 28.6., 20 Uhr, Chausseestr. 125, Mitte). Keetenheuve übrigens scheitert. Ein Sprung von der Rheinbrücke, heißt es am Ende, „machte ihn frei“. Was Koeppen und Goedel da liefern, ist eine treffliche Geschichtsstunde. Und ein ernüchternder Beitrag zur Patriotismus-Debatte.

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