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Gwendoline Christie und Asa Butterfield

© Berlinale

"Flux Gourmet" bei den Berlinale Encounters: Der Bauch des Schriftstellers

Avantgarde mit Verdauungsstörungen: der britische Regisseur Peter Strickland macht in "Flux Gourmet" ein Kunst-Institut zum Käfig voller Neurotiker.

Laut muss Kunst sein, sie muss schlecht riechen und eklig aussehen. So ungefähr lautet das Credo des dreiköpfigen Kollektivs, das der britische Regisseur Peter Strickland ins Zentrum seines Spielfilms „Flux Gourmet“ gestellt hat. Sie haben ein vierwöchiges Stipendium im Sonic Catering Institute ergattert, einer noblen Einrichtung in einem Herrenhaus irgendwo in Südengland. Schockieren will das von der Aktionistin Elle di Elle (Fatma Mohamed) angeführte Trio seine Zuschauer, die das Geschehen mit Champagnergläsern in der Hand beobachten und sich dabei aber nicht gleich übergeben müssen sollten. Fordert jedenfalls die Institutsleiterin (Gwendoline Christie). Mit ihrem totenbleich geschminkten Gesicht und den neobarocken Gewändern sieht sie selbst aus wie eine Kunstinstallation.

Gemüsesaft statt Blut

Die Performances der Gruppe wirken wie eine Kreuzung aus dem blutigen Orgien-Mysterien-Theaters des Wiener Künstlers Hermann Nitsch und den Lärmgewittern der britischen Avantgardeband Throbbing Gristle. Nur dass hier statt echtem Blut bloß roter Gemüsesaft fließt. In weißen Priesterkutten stehen Billy (Asa Butterfield) und Ariane (Lamina Propria) hinter einem Tisch auf der Bühne, verhackstücken Tomaten, Paprika oder Gurken mit Messern und Mixern, schmoren, braten, köcheln. Die dabei entstehenden Geräusche schicken sie zigfach verstärkt über ein Mischpult in den Raum, wo sich Elle nackt im vegetarischen Schleim aalt und windet. Laut fiept, zischt und dröhnt es, es sieht abstoßend aus, ranzig riechen dürfte es außerdem. Und die „Sonic Catering“ genannten Auftritte werden von Woche zu Woche exzessiver.

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Eigentliche Hauptfigur ist aber ein griechischer Schriftsteller (Makis Papadimitriou), genauer gesagt: dessen Magen. Als Writer in Residence soll er über die Arbeit der Gruppe berichten, was dadurch behindert wird, dass er zunehmend unter Verdauungsstörungen leidet. Bei den Spaziergängen durch den malerischen Garten muss er Abstand zu den Akteuren halten, und wenn sie nachts im gemeinsamen Schlafsaal liegen, bleibt sein Bett meist leer. Stattdessen hockt er auf der Toilette, von Flatulenzen gepeinigt. Ein Running Gag des Films.

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Der diabolische Hausarzt Dr. Glock (Richard Bremmer) verschreibt Tabletten, die das Problem aber nicht lösen. So mischt sich der Sound der Blähungen des Autors mehr und mehr mit den kunstvoll erzeugten Rückkopplungen der Artisten. Elle di Elle erkennt das künstlerische Potenzial und holt den Patienten in ihre Shows. Nackt und örtlich betäubt liegt er auf einer Bahre, während Dr. Glock Magen- und Enddarmspiegelungen an ihm vornimmt. Das Publikum jubelt.

Traumatisiert durchs Essen

Unter Berlinale-Chef Dieter Kosslick wäre „Flux Gourmet“ vielleicht in der Sektion Kulinarisches Kino gelaufen. Wobei: den Appetit befördert der Film eher nicht. Nun ist er in der Reihe Encounters zu sehen, laut Festivaldirektor Carlo Chatrian ein Reservat für herausfordernde Filme. Peter Strickland zeigt einen Haufen Neurotiker, die sich allesamt – bis auf den Schriftsteller – für besonders, wenn nicht sogar bedeutend halten. Jeder der drei Künstler hat ein anderes Trauma zu bewältigen, das mit Essen zusammenhängt und in einer Dinner-Rede ausgebreitet wird. „Missverständnisse sind der Schlüssel zu unserer Kunst“, sagt Ariane, die sich vor allem von Elle missverstanden fühlt, mit der sie einst eine Beziehung verband. Zwist und Intrigen nehmen gefährliche Züge an und ein anderes, abgelehntes Künstlerkollektiv verübt Anschläge. Sie tragen hautenge Gummianzüge, die an den Meisterschurken Fantomas erinnern.

[12.2., 11.30 Uhr (Cubix 3) und 12 Uhr (Cubix 7); 16.2., 12.30 Uhr (Cinemaxx 6+7); 17.2., 15 Uhr (AdK); 18.2., 15 Uhr (Cinemaxx 6)]

Bekannt geworden ist Strickland mit seinem Film „Berberian Sound Studio“ (2012), in dem ein englischer Toningenieur nach Italien fliegt, um dort festzustellen, dass er statt an einer Tierdokumentation an der Synchronisation von Folterszenen eines Giallo-Thrillers arbeiten soll. Der Mann verliert zunehmend die Verbindung zur Wirklichkeit, der Horror kriecht förmlich durch die Tonspur. Eine ähnliche Mischung von langsam anschwellender Bedrohlichkeit und absurden Humor mag Strickland auch für seinen fünften Spielfilm geplant haben. Gelungen ist ihm beides nicht. Die Spannung hält sich in Grenzen und der Witz ist mitunter so trocken, dass man ihn gar nicht mehr erkennen kann. Als Kunstbetriebssatire funktioniert „Flux Gourmet“ schlecht, weil die Verbindung von Avantgarde mit Pups-Kalauern platter kaum sein könnte. Immerhin bekommt der Film eine finale Wendung, mit der er alle Harmlosigkeit hinter sich lässt.

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