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Errol Morris

© ddp

Folterskandal: Die gefangene Wahrheit

Der Folterskandal von Abu Ghraib: Mit "Standard Operating Procedure" läuft erstmals ein Dokumentarfilm im Wettbewerb der Berlinale.

Errol Morris ist nach Michael Moore, Al Gore und Morgan Spurlock („Super Size Me“) vermutlich nur der vierterfolgreichste Dokumentarfilmer der USA, aber er ist als moralische Instanz am unumstrittensten. Morris wirbt nicht für eine Idee oder für ein politisches Konzept, er lässt sich von der Wirklichkeit noch überraschen. Für „The Fog of War“, seinen Film über Robert McNamara, den früheren, auch für den Vietnamkrieg verantwortlichen US-Verteidigungsminister, hat er den Oscar bekommen. In „Standard Operating Procedure“ ist Morris etwas Außerordentliches gelungen, er hat die Vorgänge in dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib minutiös rekonstruiert und dazu mit den meisten Tätern und erstaunlicherweise auch mit Ermittlern der Militärgerichte sprechen dürfen.

Abu Ghraib, Herbst 2003: Im ehemaligen Terrorgefängnis von Saddam Hussein errichten US-Militärs eine neue Schreckensherrschaft. Häftlinge, darunter fast wahllos verhaftete Verdächtige, werden gedemütigt, gefoltert, ermordet. Die Sache kommt heraus, weil einige der Täter fotografiert haben und weil die Fotos den Weg in die Öffentlichkeit finden. Soldatinnen wie Lynndie England werden zu schaurigen Berühmtheiten. Bilder wie das, auf dem Lynndie England einen nackten Iraker an der Hundeleine hinter sich herkriechen lässt, werden zu Ikonen, zum Beweis dafür, dass Bushs Amerika im Irak seinen moralischen Kredit verspielt.

Das Problem eines solchen Films besteht darin, dass ein amerikakritisches, westliches Publikum schon alles über Abu Ghraib zu wissen glaubt. Morris’ Interviews bestätigen denn auch, dass es sich bei Abu Ghraib sehr wahrscheinlich nicht um eine Ausnahme, sondern um einen Normalfall der US-Politik handelt, zumindest unter Bush und unter Kriegsbedingungen. „Was wir machten, galt als okay“, sagt Lynndie England, die wie die anderen Täterinnen und Täter einen überraschend intelligenten und nachdenklichen Eindruck hinterlässt, verglichen mit ihrem Medienimage von damals.

Die Interviews bestätigen auch, dass die Militärjustiz nicht primär an der Bestrafung von Tätern und schon gar nicht an der von Befehlsgebern interessiert war, sondern an der Eindämmung einer weltweiten PR-Katastrophe. Wer so etwas fotografiere, sei einfach dumm, sagt ein Ermittler, und diese Dummheit sei es, die mit zum Teil jahrelanger Haft bestraft wurde. Die Soldatin, die einen von CIA-Verhörspezialisten zu Tode gefolterten Iraker fotografierte, landete im Gefängnis, nach den Mördern aber wurde nie gesucht.

Der Begriff „Standing Operating Procedure“ bezeichnet offiziell erlaubte Verhörmethoden. Angst ist erlaubt, Demütigung ist erlaubt. Körperliche Misshandlungen und sexuelle Handlungen sind verboten. Es ist verboten, nackte Häftlinge zu einer Pyramide übereinander zu stapeln und sie zum Masturbieren zu zwingen, es ist dagegen erlaubt, einen nackten Häftling an ein Bettgestell zu ketten und ihm einen Schlüpfer über den Kopf zu ziehen. Zu den Überraschungen des Films gehört die Information, dass ausgerechnet die düsterste Szene aus Abu Ghraib, das Bild, das fast zur Metapher für Folter wurde, eine in den Augen der Militärjustiz legale Verhörpraxis zeigt. Es ist jener Mann, der unter einer Kapuze auf einer Kiste steht, die Arme wie zur Kreuzigung ausgebreitet, scheinbar an elektrische Kabel angeschlossen. Die Kabel standen nicht unter Strom. Er sollte nur Angst haben.

Errol Morris entschuldigt die Täter nicht, aber er behandelt sie fair, er hört ihnen zu. Da gibt es dieses barbarische Gefängnis, in dem auch die Amerikaner hausen, fast ebenso isoliert und kaum besser dran als die Gefangenen, es gibt den Aufstand draußen, mit toten Amerikanern jeden Tag, den Druck der Vorgesetzten, Verhörergebnisse zu liefern, es wirkt fast wie eine Versuchsanordnung, deren Resultat, Folter, vorhersehbar ist.

Morris hat den Anspruch, die „Wahrheit hinter den Bildern“ zu zeigen, die fast jeder von Abu Ghraib im Kopf trägt. Sein Film hinterlässt, bei all seinen Stärken, einen zwiespältigen Eindruck, weil der Regisseur selbst seine Bilder immer wieder künstlich dramatisiert und zu einer manchmal sogar ärgerlich opernhaften Inszenierung neigt. Da wird mit Zeitlupe und mit anschwellenden Jagdhornklängen gearbeitet, da fallen, wenn von Schüssen die Rede ist, in Großaufnahme und mit allem optischen Raffinement Patronenhülsen zu Boden, da wird also von der Regie die volle Klaviatur der emotionalen Manipulation bedient. In einem Film, der ausgerechnet von der politischen Wahrheit handeln soll, einer Wahrheit, die Bilder niemals zeigen können, ist diese Methode ganz bestimmt nicht die richtige.

Heute 18.30 Uhr und 21 Uhr (Urania)

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