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Spiel der Elemente. Blick in die „Die Quelle“ unterhalb der gläsernen Decke über dem kreuzförmigen Ausstellungsraum.

© Luc Boegly / David Desrimais Éditeur

Fondation Carmignac in Südfrankreich: Kunstgenuss unter Wasser

Privatmuseum in der Provence: Die Fondation Carmignac auf der Insel Porquerolles zeigt zeitgenössische Kunst in einer beeindruckenden Umgebung.

Kunst in den eigenen vier Wänden ist schön, Kunst in einem eigenen Museum ist schöner – am allerschönsten aber ist es, eine ganze Landschaft für sich und seine Kunst zu haben. Unter den Großsammlern dieser Erde wächst die Neigung, sich einen eigenen Garten Eden der Kunst zu erschaffen. Was vor gut drei Jahrzehnten, als die „Insel Hombroich“ am Niederrhein geöffnet wurde, noch eine Sensation war, ist seither zu einem regelrechten Trend angewachsen.

So verhält es sich bei der Fondation Carmignac, die auf der südfranzösischen Insel Porquerolles seit gut einem Jahr zu besichtigen ist. Es handelt sich um ein Museumsgebäude inmitten eines weitläufigen Areals, in fünfzehn Minuten zu Fuß zu erreichen vom Örtchen und Hafen der Insel, aber doch durch die hügelige Landschaft vollständig vom touristischen Geschiebe der Sommersaison abgeschirmt.

Porquerolles liegt vor der Côte d’Azur und ist dem Ort Hyères vorgelagert, zu erreichen in einer viertelstündigen Überfahrt mit der Fähre. Der große Parkplatz kurz vor dem Hafen von Hyères lässt ahnen, welches Gedränge hier im Sommer herrscht. Immerhin 70 000 Besucher konnte die Fondation in ihrem ersten Betriebsjahr 2018 zählen. Dichter, naturgeschützter Wald trennt das weitläufige Gelände der Stiftung – satte 15 Hektar – vom betriebsamen Örtchen und den ihm benachbarten Stränden.

Das Museum liegt unter der Oberfläche

Mit einem Mal ist man tatsächlich in einer anderen Welt. In der Ferne zeichnen sich die Konturen eines Gebäudes ab, das sich so gar nicht als Kunsthaus zu erkennen gibt. Tatsächlich handelt es sich um ein „Mas“, ein regionaltypisches provençalisches Haus aus Naturstein. Doch nur aus der Ferne. Denn das Haus, das sich ein Architekt vor vielen Jahren errichtete und das Edouard Carmignac, der Entrepreneur und Gründer der Stiftung, nach einem ersten Besuch erwarb, ist nur das sichtbare Obergeschoss eines veritablen Museums. Das aber liegt unter der Oberfläche – nicht ganz in den Boden eingegraben, sondern eher in den vorhandenen Hügel eingebettet.

Das Untergeschoss, in dem der Großteil der mehr als 60 ausgestellten Werke verteilt ist, weist einen kreuzförmigen Grundriss auf. Die Seitenflügel ordnen sich um eine quadratische Vierung, die – das ist der Clou des Bauwerks – von einer gläsernen Decke überspannt wird. Diese wiederum bildet den gläsernen Boden eines flachen Wasserbeckens, das das einfallende Sonnenlicht angenehm verteilt. Umgekehrt schaut man vom Obergeschoss zwar auf eine spiegelnde Wasseroberfläche, aber nicht hinunter in den Ausstellungsbereich.

Charles Carmignac, der freundlich-kommunikative Sohn des Stiftungsgründers, hat deren Leitung im Jahr 2017 übernommen und die Eröffnung der Kunstinsel im vergangenen Jahr gemanagt. Jetzt steht die zweite Jahresausstellung unter dem Titel „Die Quelle“ an, eingerichtet von Kuratorin Chiara Parisi, der früheren künstlerischen Leiterin der Monnaie in Paris.

Weiblicher Körper und Abstraktion als Schwerpunkte

Was mit der „Quelle“ gemeint ist, macht eine Auftragsarbeit von Fabrice Hyber im Treppenhaus deutlich: eine Art Baum oder auch ein Wurzelgewebe, das sich zu den Quellen der (zeitgenössischen) Kunst streckt. Als weiteres Kunstwerk ist die Lithographie „Lewis Carrolls Wunderhorn“ von Max Ernst aus dem Jahr 1970 zu sehen, mithin ein Werk des (späten) Surrealismus – und die erste Erwerbung des erfolgreichen Investmentbankers Édouard Carmignac. Mit anderen Worten, gleich mit seinem ersten Werk meint der Unternehmer auf die Quelle der Kunst gestoßen zu sein.

Im Untergeschoss jedenfalls werden zwei starke Quellströme der zeitgenössischen Kunst aufgetan. Eine der beiden sich kreuzenden Raumachsen ist dem weiblichen Körper gewidmet, die andere der Abstraktion. Das muss man natürlich cum grano salis nehmen, denn längst nicht alle Werke, die überwiegend aus der Sammlung Carmignac stammen, lassen sich einem dieser beiden Themen zuordnen. Beispielsweise Maurizio Cattelans „Kopf“ – eine witzige Ansammlung aller von Cattelan im Laufe der Jahre ersonnenen Großskulpturen, die hier seinem riesigen Kopf entsprießen.

Eine Fisch-Installation von Bruce Nauman beeindruckt

Indessen, im Kopf leben die gezeigten Kunstwerke durchaus nicht. Roy Lichtensteins „Reflections on Jessica Helms“ von 1990 beispielsweise ist zum einen das sehr gut erkennbare Punktrasterbild einer nackten Schönen, zugleich aber durch diagonal darübergelegte Streifen eine Abstraktion im ursprünglichen Wortsinn. Sigmar Polkes „Ohne Titel (Lapislazuli)“ von 1998 hingegen ist ein rein abstraktes oder vielmehr gegenstandsloses Gemälde, ebenso wie Theaster Gates’ „Goldene Landschaft in drei Pinselstrichen“ von 2017. Sowohl im Kopf als auch in ihrer höchst ungemütlichen Realität „leben“ die sehr expliziten, anspielungsreichen Stoffskulpturen von Sarah Lucas, die sich über die Räume im Obergeschoss am Ende des Ausstellungsparcours verteilen. Lucas’ Figuren sind voller Hinweise auf das überkommene Rollenbild der Frau in westlichen Gesellschaften.

Unten beeindruckt vor allem eine Installation von Bruce Nauman, der „Brunnen der einhundert Fische“. Diese Fische respektive ihre von Künstlerhand geschaffenen Entsprechungen schweben an dünnen Fäden über einer Wasserfläche und stoßen in Intervallen Wasserstrahlen aus ihren Mäulern. Das ist hübsch anzuschauen; ebenso wie das Objekt von John Baldessari, „Beethovens Trompete (mit Ohr)“ von 2007, an der Wand eines Ausstellungstraktes. Aus dem gipsweißen Ohr ragt ein riesiges Hörrohr hervor, keine bloße Anspielung auf Beethovens Schwerhörigkeit, sondern deren wörtliche Darstellung. Der Witz liegt allein in der Vergrößerung. In einem apsidial gerundeten Raum schließlich findet sich das Wandgemälde von Miquel Barceló mit dem Titel „Noch Unbetitelt“, das auf das Erlebnis des Tauchens zurückgeht. Das allerdings ist ein starker Bezug zum konkreten Ort, an dem die Fondation angesiedelt ist, umgeben vom Meer und seinen geheimnisvollen, von Barceló schemenhaft dargestellten Geschöpfen.

Es ist alles ein Work in Progress

Unter den Arbeiten im Außenraum sticht Ed Ruschas metallene Plakatwand „Sea of Desire“ aus dem Vorjahr hervor, an die Projektionswand eines früheren Autokinos erinnernd, zumal sich vor ihr ein asphaltierter Parkplatz auftut. Ob man darauf wirklich Picknick machen möchte, wie Charles Carmignac beim Rundgang launig vorschlägt, sei dahingestellt. Wie gesagt: Die südfranzösische Sonne hat sommers ihre Tücken.

Dann schon lieber in den herrlichen Wald, der in gebührendem Abstand das Ausstellungshaus umschließt. Es ist eben alles ein work in progress, und es ist die Natur, die den Besucher gefangen nimmt und auf das Erlebnis der Kunst als einem davon geschiedenen Bereich einstimmt. Ach, noch etwas: Zum Besuch der Ausstellung muss man die Schuhe ausziehen. Das schärft, wie man weiß, die Sinne.
Fondation Carmignac, Insel Porquerolles (bei Hyères, Südfrankreich), bis 3. November, täglich geöffnet. Weitere Infos gibt es unter fondationcarmignac.com.

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