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Kultur: Fordern und Fördern

Sitcom mit André Schmitz: Der Kulturstaatssekretär lädt in den Wedding ein und zieht Bilanz

André Schmitz hat gute Laune. Hat er ja eigentlich immer, das Berlinische Mäkeln ist Wowereits Kulturstaatssekretär mit dem hanseatischen Gemüt bis heute fremd. „Es hat der Kultur nicht geschadet, dass sie Chefsache war,“ sagt er mit Blick auf all jene, die nach fünf Jahren Regierender Kulturmeister wieder ein eigenständiges Ressort für die Kultur fordern (wie Peter Raue im Tsp. vom 22.8.). „20 Millionen zusätzlich für die Opernstiftung, ein Nur-Kultursenator hätte das nicht hinbekommen.“

Schmitz verweist dabei auch auf die Ähnlichkeit der Berliner Verhältnisse mit denen im Bund. Auch dort stärkt es die Kultur mitunter, dass der ranghöchste Kulturpolitiker der Nation kein eigenes Ministerium dirigiert, sondern als Staatsminister direkt im Kanzleramt sitzt. Kultur braucht Staatsferne; Kulturpolitik verträgt die Nähe zur Macht offenbar doch.

Zur letzten Gesprächsrunde vor den Wahlen hat Schmitz, den man als Schlossfreund und Hochkultur-Afficionado kennt, nach Wedding eingeladen, zur 72. Folge von Deutschlands erster Bühnen-Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ im Prime Time Theater. Treffpunkt Müllerstraße: Das Theater schreibt seit Jahren Erfolgsgeschichte. Mit lokalpatriotischer Schnauze, Breitseiten gegen Friedrichsheinis und Prenzlwichser und politisch herrlich unkorrektem Esprit bietet es Kiezkunst mit hohem Suchtfaktor. Platzauslastung: 95 Prozent. Am 16. September hat Folge 73 Premiere: Hingehen, Berlin verstehen!

Nach der Show schaut die TheaterDoppelspitze vorbei; dass Constanze Behrends und Oliver Tautorat nicht nur gemeinsam auf der Bühne stehen, sondern auch im wirklichen Leben Hochzeitstag haben, hatte eine Zuschauerin in der ersten Reihe zu Tränen gerührt. Was die beiden der Schmitz-Runde zu berichten haben, klingt allerdings weniger romantisch. Für die Förderer, sagt Tautorat, ist Kultur offenbar, wenn keiner hingeht. Die subventionierten Bühnen, auch die kleineren Häuser, verzeichnen meist niedrigere Auslastungen. Bis 2010 gab es für die Weddinger Projektförderung, dieses Jahr nicht mehr: So wird man Opfer seines Erfolgs. Nicht dass mit dem allabendlich rappelvollen Theater samt angeschlossener Kneipe der Gentrifizierung Vorschub geleistet würde. Aber eine kräftige Stärkung des Selbstbewusstseins verdanken die Weddinger der Sitcom schon. Klar, bei der nächsten Runde bemühen sie sich wieder um die Gunst der Förder-Jury – und beuten sich bis dahin weiter aus.

Schmitz nennt es die Achillesferse der Berliner Kulturpolitik. Der 10-MillionenEuro-Fördertopf für die freien Projekte wird im nächsten Doppelhaushalt um eine Million Euro aufgestockt – zu wenig für die vitale Off-Szene der Stadt. Und die Crux mit dem Erfolg gibt es, siehe Sasha Waltz, auch anderswo: Wer auf die Liste der institutionell Geförderten will, verdrängt eine andere Einrichtung.

Schmitz übertreibt es nicht mit dem Lob in eigener Sache. Er verweist zwar auf die Vielzahl der geräuschlos gelösten Intendanten- und Personalfragen (Khuon im DT, Kosky an der Komischen Oper, Flimm an der Staatsoper, Vanackere im Hau, um nur die wichtigsten zu nennen) oder das Engagement für kulturelle Bildung, Stichwort: Bibliotheksneubau. Aber dann geht es um das Debakel mit der Kunsthalle. Schmitz ruft noch einmal die Verve in Erinnerung, mit der Künstler und Galeristen an die Politik appellierten, bis die Stimmung umschlug zugunsten der existierenden Häuser für Gegenwartskunst, der Berlinischen Galerie, der Kunst-Werke und des Hauses am Waldsee. Auch das Aus der (landeseigenen) Messe für das Art Forum bedauert Schmitz – erstaunlich, dass selbst die Kulturverwaltung davon erst aus der Presse erfahren haben will.

Und nach dem 18. September? Ein eigenständiges Kulturressort ist wegen der vorgeschriebenen Beschränkung auf acht Senatoren nicht drin, die Behörde mit rund 100 Angestellten schlicht zu klein. Aber warum nicht anders zuschneiden und die Kultur mit der Stadtentwicklung zusammenlegen, ohne den Verkehr und die S-Bahn? Das Gedankenspiel lohnt sich. Ob in Wedding oder in der Historischen Mitte, auf dem Tempelhofer oder dem Tegeler Feld – überall stellen sich mit der Stadtplanung auch Fragen der kulturellen Identität, der Um- oder Aufwertung von Brachen und Kiezen durch Museen, Bibliotheken oder andere Kulturprojekte.

Was die eigene Zukunft betrifft, gibt Schmitz sich gelassen. Zu offen der Ausgang der Wahl, zu vage die Wahrscheinlichkeit bestimmter Koalitionen. Er hat ein Anwesen in der Ost-Priegnitz und kann es sich vorstellen, das Leben auf dem Land. Christiane Peitz

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