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Kultur: Forum: Alles strahlt

Holzhütten, überwuchert von üppigem Grün. Im Unterholz summt und raschelt es, irgendwo plätschert ein Bächlein.

Holzhütten, überwuchert von üppigem Grün. Im Unterholz summt und raschelt es, irgendwo plätschert ein Bächlein. So könnte das Paradies aussehen: Tschernobyl. Doch die Natur ist für Jahrhunderte verseucht. Die Häuschen wurden von Menschen hastig verlassen. Und unter jede Birke gehört mindestens ein Grab.

Berlinale 2002 Online Spezial: Filmfestspiele in Berlin Sonderbereich: Der Tagesspiegel berichtet Gewinnspiel: meinberlin.de verlost Filmbücher Fotostrecke: Ausschnitte aus den Wettbewerbsfilmen Liquidatoren. Sarkophag. Die Zone. Begriffe, die die Ikonografie des Schreckens neu geprägt haben, nachdem im April 1986 der vierte Block des Atomkraftwerks Tschernobyl explodierte und große Teile Osteuropas radioaktiv verseuchte. Bilder auch, denen vom russischen Kino gerne allegorische Funktionen zugewiesen wurden. Bei den Dokumentarfilmen, die - aus Japan und Schweden kommend - den Katastrophenort zeigen, bleibt der Blick dagegen immer strikt auf den Menschen gerichtet.

Das ukrainische Budische, das Motohashi Seiichi in Alexej and the Spring porträtiert, ist eines der damals zwangsevakuierten Dörfer. Sechshundert Seelen zählte es, sechsundfünfzig leben jetzt wieder dort, von der Obrigkeit geduldet. Alte Menschen, die bleiben wollten, im Vergleich zum Heimweh ist Cäsium abstrakt. Und so ganz glaubt man dem Ganzen auch nicht: Schließlich ist da die Dorfquelle, wie durch ein Wunder von Verseuchung verschont. Zum Trinken wird das Wasser täglich mit dem Joch nach Hause getragen. So sehr unterscheidet sich Budische nicht von anderen osteuropäischen Dörfern, wo die Jugend den Alten die Felder überlassen hat. Von der Strahlung wird in diesem Film nur am Rande gesprochen. Die Budischer haben andere Sorgen - und sie glauben, an Gott und ihr Wasser. Der Film lebt von der Spannung zwischen dem Handfesten und dem Unsichtbaren.

In Gunnar Bergdahls Ljudmilas röst ist es das Davor und Danach, das das Leben scheidet. Ljudmila lebt in einer Evakuierten-Hochhaus-Siedlung in Kiew. Ljudmila wohnte in Pripjat, frisch verheiratet war sie damals, ihr Wassja ein liebenswerter Witzbold und bei der Feuerwehr. Als Ljudmila ihn nach der Nachtschicht des 26. April wiedersah, da lag er in Moskau im Krankenhaus, und die Haut löste sich in Blasen von seinem Fleisch. Man verbot der Schwangeren, den im Sterben liegenden Ehemann zu umarmen. Sie tat es dennoch. Später sagen die Ärzte, dass das Neugeborene, das nur fünf Tage lebte, der Mutter das Leben rettete, weil es die Strahlung in sich aufsog. "Ljudmilas Röst" berichtet von einem Leben durch den Tod.

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