Forum: Die 1000 Augen des Dr. Ma
Welche Macht und Sprache hat das Volk? Im Forum geben zwei Dokumentarfilme Antworten. Sie kommen aus China und aus dem Iran.
Es ist nicht leicht, die Iraner zu verstehen – und die Exiliraner? Da entlarvt der propagandakritische Film „Letters to the President“ die vermeintliche Volksnähe von Mahmud Ahmadinedschad, und der „Club iranischer und europäischer Filmemacher“ ruft für diesen Donnerstag (18 Uhr, Sony -Center) zur Kundgebung auf – weil der Film für Ahmadine dschad Propaganda mache. Verkehrte Welt.
Der kanadisch-tschechische Dokumentarist Petr Lom hat zwar mit regierungs offizieller Erlaubnis im Iran gedreht, aber bestimmt nicht das, was sich das Regime erhoffte. Es geht um die Logistik von Propaganda; Lom gelingen außerdem aufschlussreiche Nahaufnahmen eines Populisten. Wenn Ahmadinedschad übers Land reist, werden die Briefe der ärmeren Leute – Bittgesuche um Kredite, Arbeit oder Genehmigungen – in Plastiksäcken eingesammelt.
Eine eigene Verwaltung organisiert die Antworten, eine gewaltige Kommunikationsmaschinerie, die strengen Regeln gehorcht. Schreiben von Frauen werden von Frauen geöffnet, Männer befassen sich mit denen der Männer. Zwar gerät Loms Recherche an ihre Grenzen; Bürokratie und Beamte vereiteln zahlreiche Drehs. Aber man begreift, warum Menschen in kollektive Hysterie geraten können und wie Hoffnung mit falschen Versprechungen genährt wird, auch mit den Mitteln der Religion. Viele einfache Iraner glauben an den Mahdi, den schiitischen Messias, auch ihm schreiben sie Briefe. Die Hoffnungen von Loms Gesprächspartnern werden ausnahmslos enttäuscht: Ein Antwortbrief sorgt noch lange nicht für soziale Gerechtigkeit.
„Letters to the President“ agitiert nicht, prangert nicht an, aber beschönigt auch nicht die Armut, die mangelnde Bildung, die gezielte Täuschung der Bevölkerung. Innenaufnahmen aus dem Iran, jenseits der Landschaftspoesie eines Kiarostami, jenseits auch des großstädtischen Sozialrealismus aus Teheran, das gab es noch nicht. Achse des Bösen? „Jeder, der einen anderen als Feind bezeichnet, hat die Pflicht, zu versuchen, ihn besser zu verstehen“, sagt Petr Lom.
Ortswechsel. Noch ein Dokumentarfilm über die Sprache des Volkes, diesmal nicht im Zentrum der Macht, sondern an der äußersten Peripherie. Auch in China gibt es Zensur, auch dort ist es nicht leicht, Menschen offen vor der Kamera sprechen zu lassen. Der Journalist und Dokumentarist Cong Feng hat sich drei Jahre lang immer wieder in eine kleine Landarztpraxis im Nordwesten Chinas gesetzt. Dr. Ma fühlt den Puls, erst an der einen, dann an der anderen Hand, seine Frau mischt die Heilkräuter zusammen. Die Wartenden reiben sich die Hände, ballen Fäuste, das wärmt. Es sind Arbeiterhände, die jahrzehntelang nur geschuftet haben und es nicht gewöhnt sind, untätig zu warten. Die Patienten sitzen auf der Bank zwischen Kräutertresen und Dr. Mas Holztisch, erzählen einander von verschollenen Söhnen und kranken Nachbarn, von Ehefrauen, die weglaufen, von der Wanderarbeit und Arbeitsunfällen, vom Wetter, der Ernte, von Kummer und Schmerzen. Hier, ja hier tut es weh.
Es ist bitterkalt, die Erde karg, kein Regen, fast nie. Viele Patienten husten von der Arbeit in den Kohlebergwerken, sie stöhnen, lachen, beklagen sich, klagen an: den Boss, die Ausbeutung, die Ungerechtigkeit. Auch „Dr. Ma’s Country Clinic“ ist ein Film über Menschen und ihre zermürbte Hoffnung. Er hält die Musik der Verständigung fest, ihre Lamentos, ihre Tiraden, den Refrain der Armut, den Chor all der Stimmen, die sonst keiner hört. Wenn Dr. Ma den Puls fühlt, geht es einem gleich besser.
„Letters to the President“: 12. 2., 20 Uhr (Cinestar 8), 13. 2., 22.30 Uhr (Cinemaxx 4), 14. 2., 14 Uhr (Delphi), 15. 2., 22.15 Uhr (Cubix 9); „Dr. Ma’s Country Clinic“: 13. 2., 13 Uhr (Cubix 7), 14.2., 19.30 Uhr (Cinemaxx 4)
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