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Cook

© Michael Pilz/Österreichisches Filmmuseum

FORUM: Ein Kanadier in Wien

Wiener Boheme und trostlose Prostituierte: Regisseur John Cook hat den Blick für das Milieu seiner Lebenskünstler, meint Helmut Merker.

Einer fragt eine Bekannte, wie es denn bei ihr mit der Ehe gelaufen sei: „Ich wollte Michael unbedingt haben damals . . .“ – „Und jetzt?“ – „Jetzt habe ich ihn gehabt.“ Ein anderer fragt einen Unbekannten, ob er ihm für ein paar hundert Schillinge helfen könne, damit sie vollständig sind: Braut, Bräutigam, zwei Trauzeugen und ein Standesbeamter – für eine Zeremonie, die in starrer Routine zur Durchführung gebracht wird.

Zwei Beispiele für John Cooks Kurz-Dialoge und lakonische Szenen. Alles scheint in einer Sackgasse zu landen – und doch glimmt immer wieder ein Hoffnungsfunke auf. Ein Mann verlässt seine Freundin, scheitert mit allem, was er anfängt, kommt Monate später zurück, sie fragt: „Was willst’n?“ Er sagt „Dableiben.“ Ein anderer rafft sich kaum noch zum Dialog auf, sondern äußert sich in Aphorismen. „Es ist besser ein unbefriedigter Sokrates als ein befriedigtes Schwein zu sein“ – solche Sachen, und die werden stolz durchnummeriert. Wie bei Goethe – oder auch bei der Reihe der amerikanischen Präsidenten. Eine Mischung aus Grantelei und Weltschmerz, Überheblichkeit und Hypochondrie, Anklänge an die Sprache Raimunds und Nestroys, Ödön von Horvaths und Thomas Bernhards.

Ein Kanadier in Wien und eine Kleinst-Retrospektive des Forums mit zwei Filmen, die John Cook in Österreich gedreht hat. Mit dem feinen Ohr des Ausländers für das besondere Idiom seiner Laiendarsteller und dem realistischen Blick für das Milieu seiner Lebenskünstler. „Schwitzkasten“, der bereits 1978 im Forum lief, ist Cooks erster „großer“ Spielfilm. Seine Hauptfigur ist der Arbeiter Hermann Holub, der eher beiläufig durchs Leben trödelt. An keinem Arbeitsplatz hält er es länger aus, zu seiner Freundin geht er eines Tages nicht mehr hin, wegen eines Streits mit dem Bruder kommt er ins Gefängnis, nach der Entlassung wird er von seiner kaltherzigen Familie aus der Wohnung geworfen.

Seine Zeit verbringt er an schmuddeligen Bier-und-Wurst-Buden oder mit trostlosen Prostituierten, in Gartenidyllen mit Kaffee und Kuchen oder in Badeanstalten an der Alten Donau. Ein Reich der Armut und Hässlichkeit. Aber Cooks Personen trotzen dem immer noch ein Stück Menschlichkeit ab. Unwirtlichkeit und Entfremdung werfen ihre Schatten, aber noch ist die Welt nicht zu der Spießer-Hölle geronnen wie 30 Jahre später bei Ulrich Seidl, noch ist der Mensch nicht zur Marionette geworden, sondern sucht nach einem eigenen Weg. Bis zum Ende, wenn er in seine Hochzeit stolpert, behält er unsere Sympathie. Hermann ist ein Verlierer, aber kein Verlorener.

Schaut man sich heute John Cooks Werk von vor 30 Jahren an, ist es wie ein Blick der Gegenwart durch die Vergangenheit auf die verheißungsvolle Zukunft des Kinos – und was davon schon wieder alles verloren gegangen ist. Seine Super-8-Reflexion „Langsamer Sommer“ über die Wiener Bohème entstand zwei Jahre vor dem „Sozialdrama“; es beschwört die Lebendigkeit eines aufregenden Film-Abenteuers, das seinen Weg abseits des großen Geldes und der vorsichtigen Verwaltung, der perfekten Elektronik und der sozialen Anklagen findet.

Die beiden Freunde John und Helmut (dargestellt von den beiden Freunden John Cook und Helmut Boselmann) treffen sich, um einen Film zu beenden, den sie vor drei Jahren angefangen haben. Sie kommentieren das alte Material, drehen neues, rauchen Zigaretten, trinken Bier, hören James-Brown-Musik, reden über Frauen, liegen in der Sonne, finden ein neues Model, fühlen sich gelähmt von dem Klischee „Modefotograf“, das zum reinen Narzissmus führe, spielen mit der Möglichkeit, sich neu zu verlieben. Sie hegen den Verdacht, ihre Probleme nicht gelöst zu kriegen, und sind am Ende ganz zufrieden damit, dass der Film immerhin ein Stück länger geworden ist.

Es ist ein Kino der Expeditionen, und die Wege können recht kurz sein, die kleine Gruppe gelangt gerade mal von Wien ins nahe Waldviertel. Oder die Reise findet überhaupt nur im Kopf statt. Von Anfang an ist „Langsamer Sommer“ mit Eustaches „La Maman et la putain“ und Cassavetes’ „Husbands“ verglichen worden. Auch die frühen Filme Rudolf Thomes in München und Alain Tanners in der Schweiz kommen einem in den Sinn. Man muss nur von ihren besseren technischen Standards absehen. Cook hat Österreich damit den winzigen Ansatz einer „Nouvelle Vague“ beschert.

„Langsamer Sommer“: Heute 13 Uhr (Arsenal 1), 15. 2., 16.30 Uhr (Delphi), „Schwitzkasten“: 8. 2., 13 Uhr (Arsenal 1), 14. 2., 19.30 Uhr (Arsenal 1)  

Helmut Merker

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