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United Red Army

© promo

Forums-Beitrag: RAF auf Japanisch

Koji Wakamatsu und sein Terroristendrama "United Red Army" zeigt die Rote Armee Fraktion in japanischer Variante.

Eine Revolutionssoldatin exekutiert sich selbst, mit Faustschlägen ins Gesicht. Die beiden Anführer geben die Richtung an: auf Stirn und Nase, gegen Lippen und Zähne, in Augen und Wangen. Die Anweisungen werden immer fanatischer ausgeführt – Tribunal in einer revolutionären Zelle.

Die Kamera bleibt gnädig im Rücken des Opfers; in der Halbtotale sehen wir die Blicke der Zuschauer, emotionslos prüfend die Befehlshaber, voll Entsetzen und Scham die übrigen. Der Angeklagten wird ein Spiegel vorgehalten, und nun zeigt die Kamera, wie die Frau sich sieht: Blut, Dreck, Tränen, Fetzen von Fleisch, Körperteile, von denen man gerade noch ahnen kann, dass sie einmal ein menschliches Antlitz waren. Die Kamera schwenkt vom Spiegel direkt auf das „Gesicht“, verharrt dort. Minutenlang.

Die Rote Armee in der japanischen Variante. Junge Leute sind für ihren revolutionären Kampf aufs Land gezogen, ein Mann und eine Frau übernehmen das Kommando bei der dreistufigen „Ausbildung“: Selbstkritik, Bestrafung, Tod. Das Make-up der hübschesten Revolutionssoldatin wird als Verrat denunziert. An einen Baum gefesselt, erfriert sie.

In der Mitte von Koji Wakamatsus dreistündigem Film „United Red Army“ ist das eine zentrale Szene, aber nicht die einzige ihrer Art. Das „Tribunal“ ist ein blutrünstiges Machtspiel im Namen des Fortschritts: Die einen sind als Befehlshaber, Ankläger, Richter und Henker zugleich darin eingesponnen; die anderen als Herdenvieh, das ein Opfer nach dem anderen aus seiner Mitte totschlagen muss. Das ganze mittlere Filmdrittel ist nichts anderes als eine Folterstunde mit festgelegten Rollen. Erst am Ende reagieren die Polit-Verbrecher einmal kurz als menschliche Wesen. In den anonymen Befehl, dass sie fortan als verheiratetes Paar aufzutreten haben, willigen sie ohne Widerspruch ein, aber doch mit einer unbewussten traurigen Geste. Sie müssen damit ja ihre eigenen Familien verlassen. Die Regung kommt zu spät.

„United Red Army“, das ist der Pariser Mai ’68 auf Japanisch, nur radikaler. Im ersten Akt wird der historische Hintergrund ausgeleuchtet: japanische Proteste gegen den Vietnam-Krieg, der „Sicherheitspakt“ zwischen den USA und Japan, Ablehnung der Klassengesellschaft, Kampf gegen reaktionäre Strukturen an den Universitäten und in der Justiz. Die Morde an den Kennedys und Martin Luther King dringen ebenso nach Japan durch wie die Kulturrevolution in China und die Studentenunruhen in Paris. All das fließt in den dokumentarischen Sequenzen des zweiten Akts ineinander. Spielszenen lockern das Archivmaterial auf. Man sieht gereckte Fäuste, „Internationale“-Gesänge, charismatisch blickende Studentenführer. Aus langen Diskussionen gehen erste bewaffnete Aktionen hervor.

Letzter Akt: Alles ist verloren, viele sind tot oder im Gefängnis, einige in Terroristencamps oder anonym im Untergrund. Ein versprengter Haufen der „Roten Armee“, halb verhungert auf der Flucht, besetzt ein einsames Haus und nimmt dabei aus Versehen eine junge Frau gefangen. Plötzlich wird aus dem politischen Exkurs Genre-Kino: Die Terroristen verschanzen sich, bis zum finalen Polizeiaufgebot, dem Tränengas- Showdown.

Mit „United Red Army“ hat sich der 72-jährige Regisseur Koji Wakamatsu auf ein Terrain begeben, auf dem er nicht wirklich zu Hause ist. Die lange Liste seiner früheren Filme enthält vielsagend erotische Titel wie „Violent Virgin“, „Sex Jack“, „Victim of Prey“ oder „Violated Angels“. Mit stilistisch ambitionierten Softpornos wurde Wakamatsu in seiner Heimat berühmt und berüchtigt. Zudem produzierte er die Nagisa-Oshima-Klassiker „Im Reich der Sinne“ und „Im Reich der Leidenschaften“.

Das Forum zeigt zusätzlich drei Wakamatsu-Klassiker: „Ecstasy of the Angels" (1972), „Go, Go Second Time Virgin“ (1969) und „Secrets Behind the Wall“, der 1965 unter dem Titel „Geschichte hinter Wänden“ im Berlinale-Wettbewerb gezeigt wurde und seitdem als anarchistisches Meisterwerk gilt. Auch da geht es um Vergewaltigungen, Folter und Mord, ist stilistisch aber meilenweit vom banalen Naturalismus in „United Red Army“ entfernt. Hier sind Einstellungen subtil komponiert und geometrisch genau kadriert; die Farben wechseln zwischen schockierendem Blutrot und kontrastreichem Schwarzweiß, die Schauplätze sind düster und leer mitten im Großstadtgetriebe; die Figuren bewegen sich schlafwandlerisch zwischen geistiger Umnachtung und plötzlicher Klarheit, äußerster Zartheit und eruptiver Aggressivität.

Wakamatsu war ein Meister des Genres „pink-eiga“: So hießen Sexfilme mit einer verstörenden Vision von existenzieller Vereinsamung in einer aus den Fugen geratenen Welt. Auch hier schwärmen die Personen schon mal von der Weltrevolution, haben aber nicht die Diktatur des Proletariats im Sinn, sondern eher so etwas wie die wiederhergestellte Unschuld eines gefallenen Engels in einem pansexuellen Universum. Liebe und Tod, Begehren und Vernichten – eigentlich ein romantisches Thema. Aber in Japan sieht man das drastischer.

„United Red Army“: Heute 17.30 Uhr (Cinestar 8), 14. 2., 12.30 Uhr (Delphi), 15. 2., 20 Uhr (Cubix 9) und 17. 2., 12.30 Uhr (Arsenal 1)

Helmut Merker

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