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Foto-Ausstellung: Lass mich dein Spiegel sein

Die wilden Jahre: Nan Goldins intime und rauschhafte Fotografien in der Berlinischen Galerie. Die New Yorkerin hat der Berliner Boheme ein ganzes Fotoalbum hinterlassen.

Damals war sie gerade in Berlin angekommen, als Gast des DAAD. Das Künstlerprogramm hatte sie in einer Stipendiatenwohnung im stinknormalen Halensee einquartiert, wo sie sich sogleich unwohl fühlte. Eine Woche später fand Joachim Sartorius, der sie als Direktor des Stipendiatenprogramms schließlich für ein Jahr in die Stadt geholt hatte, zum Glück eine neue Bleibe in der Kreuzberger Hornstraße. Endlich am richtigen Platz. Der zweite Berlin-Flash, diesmal kurz nach der Wiedervereinigung, konnte beginnen, nachdem die Künstlerin schon einmal Mitte der Achtziger hier gelebt hatte.

Das alles scheint in dem Selbstporträt zu stecken, das Nan Goldin 1991 von sich im blauen Badezimmer ihrer Kreuzberger DAAD-Wohnung aufnahm. Mit kritischem Blick, hoch konzentriert, schaut der roten Lockenschopf in den Spiegel, den Mund leicht gespitzt, als wollte sie noch einmal den Lippenstift kontrollieren. Der Nachtvogel ist zum Abflug bereit. Das tiefe Blau der Badezimmerkacheln nimmt die Dunkelheit der Straße, den Glamour der Clubs, das Talmi der Kneipen vorweg.

Thomas Köhler, seit dem Sommer Direktor der Berlinischen Galerie, erzählt gerne die Geschichte, wie er unlängst, fast zwanzig Jahre später, auf das Selbstporträt im Depot der Berlinische Galerie stieß. Er war sofort elektrisiert, denn die Künstlerin kannte er noch von seiner Zeit am Yorker Whitney Museum, wo er ihre Ausstellung „I’ll be your mirror“ einrichten half. Mit Goldin und ihrer Berliner Zeit müsste sich doch etwas machen lassen, zumal in der Berlinischen Galerie. Beide Aufenthalte, vor und nach dem Mauerfall, prägten ihr Werk. Und umgekehrt hat die Fotografin mit ihren Bildern eine Spur in der Stadt markiert, hat von den wilden Partyjahren, der künstlerischen Boheme jener Jahre ein ganzes Album hinterlassen, das bisher noch niemand aufgeschlagen hat.

Nun ist sie wieder da, ein bisschen blass um die Nase, von der es heißt, dass sie sie sich vor einer Woche bei einem Unfall gebrochen habe. Es lässt sich kaum verhindern, dass man sich prompt an ein anderes Selbstporträt erinnert, das Goldin 1984 schlagartig bekannt machte: die Künstlerin mit Grün und Blau geschlagenen Augen, ebenfalls vor einem Badezimmerspiegel, in einem Berliner Hotel. Danach trennte sie sich endgültig von ihrem Freund Brian.

Solche Schutzlosigkeit gibt es heute nicht mehr. In der Berlinischen Galerie wird vorab um Nachsicht gebeten mit dem einstigen Vamp, von dessen wilden Jahren noch die schwarzen Lack-Stilettos mit der knallroten Sohle zeugen. Immer dann, wenn die 57-Jährige ihren Mund zu einem breiten, ungeheuer bezaubernden Lächeln verzieht, blitzt etwas von der alten Nan auf, der großen Verführerin und mitreißenden Freundin, die ihr Herz in der Kamera trägt. Genau so muss sie alle ihre Porträtierten zum vertrauensvollen Herzeigen gebracht haben, egal ob beim Picknick oder im Hotelbett. Liebe auf jeden Blick.

Die Ausstellung „Berlin Work, Fotografien 1984–2009“ zeigt einen Reigen von 80 Bildern, die so intim sind, so voll überschäumender Feierlaune und zugleich Trauer, dass es einen schmerzt. Mit ihrer kompromisslosen, bis zur Selbstoffenbarung aufrichtigen Methode begründete Nan Goldin ein neues Genre in der Dokumentarfotografie. Es ebnete ihr den Weg zur großen Künstlerin. Ihre Empathie, ihre Anteilnahme mit den Fotografierten fegt die Grenzen auch zum Betrachter weg, der weder Dieter noch Werner, weder Amanda noch Siobhan kennen kann und doch mit ihnen lacht und leidet, sich amüsiert und ängstlich ist.

Das erste Mal kam dieser wilde Feger des New Yorker Nachtlebens, diese Chronistin der Drag Queens, auf Einladung von Alf Bold nach Berlin. Der Leiter des Kinos Arsenal wollte Goldins „Ballade von sexuellen Hörigkeit“ präsentieren, eine Dia-Karussellfahrt mit Musik, die all die Lust und das Leiden ihrer Freunde, den Drogenrausch und die anschließende Ernüchterung zeigt. Alf Bold ist in der Berlinischen Galerie eine eigene Wand mit mehreren Bildern gewidmet, die seine letzten Tage zeigt. Er starb an Aids.

Nan Goldin muss schlucken, als sie vom Tod des Freundes erzählt und wie die Stadt für sie auf einmal ein Loch war. Ihre ohnehin kratzige Stimme rutscht noch ein bisschen tiefer. Die Krankheit, der Abschied steckt in allen ihren Bildern. Das ungebundene Leben in der Mauerstadt glich einem Tanz auf dem Vulkan. „Berlin, das war eine rettende Insel für einen bestimmten Stamm Menschen, die Deutschland verlassen und doch bleiben wollten“, sagt sie. „Ähnlich wie New York für die Amerikaner.“

So gehören zu Nan Goldins Bildern immer auch Geschichten, so intensiv sie in der reinen Betrachtung sein mögen. Einige der von ihr Porträtierten erinnern sich nun wieder an die gemeinsame Zeit: Joachim Satorius, heute Direktor der Berliner Festspiele, wie er halb zurückgelehnt mit Zigarette im Plüsch der Grunewalder Nachtbar „Bel Ami“ sitzt, Oliver Koerner zu Gustorf, der mit seinem verstorbenen Freund, dem Künstler und Musiker Nikolaus Utermöhlen, an der Theke des „Dschungel“ steht, Käthe Kruse, die gerade in die Badewanne des damals besetzten Hauses steigt, oder Piotr Nathan, der müde und nachdenklich beim Frühstück in seiner Küche sitzt.

Sie alle gehören zur Familie, die einmal in Anlehnung an die legendäre Fotoausstellung „Family of Nan“ genannt wurde. Die Künstlerin hat stets Menschen um sich geschart und sie manisch fotografiert, aus Angst, ihre Nähe, sie selbst zu verlieren. Man ahnt all die Dramen des kommenden Abschieds, der endgültigen Trennung, wenn man einander so nahe gekommen ist. Sentimentalität schwingt mit, wenn Goldin erzählt, dass sie in Berlin ihre beste Zeit gehabt hätte, ob in den verrückten Achtzigern oder den Neunzigern, als die Künstlerin schon ein bekannter Name war und sie aus dem DAAD-Stipendium einen vierjährigen Aufenthalt machte. „Hier war ich glücklich“, sagt sie. „Das war selten in meinem Leben.“

Die heutige Wahl-Pariserin spielt mit dem Gedanken wiederzukehren, auch wenn sie in der französischen Kapitale bei den surrealistischen Fotografen ihre neue künstlerische Heimat gefunden hat. Denn Goldin fotografiert kaum noch Menschen, stattdessen Stillleben, Räume, Stimmungen, die sie nun auf Einladung von Patrice Chéreau im Louvre zeigt. Hier hat sie ihre Liebe zu den Alten Meistern entdeckt, die sie schon bei Besuchen im Dresdner Zwinger faszinierten. Aus dem Museum übernahm die Fotografin das Farbkonzept für die Ausstellungswände in der Berlinischen Galerie. Das Blau, das Grün, das Anthrazit verbindet ihre Fotografien zu einem Bilderstrom und erhebt sie über die reine Schnappschuss-Ästhetik. Nicht nur wegen der edlen schwarzen Rahmen gleichen Goldins Fotografien Gemälden. Bei aller Spontaneität der Aufnahmen sind sie doch Kompositionen, deren Farben bestechen.

Das Blau der Badezimmerkacheln im Selbstporträt etwa könnte von einer Malerin stammen, die Intensität des Blicks aber gelingt nur einer Fotografin.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124 - 128, bis 28. März.; Mi - Mo 10 - 18 Uhr.

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