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„The Gentlewoman“ von Inez & Vinoodh.

©  Newton Stiftung

Fotoausstellung "Body Performances" in Berlin: Lügen haben kurze Winkel

Zwischen Exhibitionismus und Voyeurismus: die Fotoausstellung „Body Performances“ in der Berliner Newton Stiftung.

Die Kamera ist ein seltsames Instrument. Sie stanzt aus der Wirklichkeit kleine Schnipsel, die wir Fotografien nennen. Der Künstler Gerhard Richter fand gerade die privaten, oft verschmähten Schnappschüsse interessant und schuf gemalte Bilder aus oft befremdlichen Vorlagen. Im Fall von Richters Foto-Surrealismus sind die Bilder schon da, während die in der Ausstellung „Body Performance“ versammelten Künstlerinnen und Künstler ihre Bilder meistens vor der Kamera inszeniert haben. Von dem berühmten, 2004 verstorbenen Namensgeber der Helmut Newton Stiftung weiß man, dass die Vorbereitung für Bilder meistens länger dauerte als die Shootings selber.

Vorbereitung ist die halbe Arbeit

Ausgangspunkt der Gruppenausstellung ist Newtons jahrelange Auseinandersetzung mit einer Ballett-Company in Monte Carlo. Newton fotografierte die Tänzer für Programmzeitschriften und Sonderpublikationen, er schlüpfte dabei in die Rolle eines Theaterregisseurs und fotografierte seine Modelle vorzugsweise außerhalb des Bühnenraums – auf den Treppenstufen des Casinos von Monte Carlo oder nackt in ihren Wohnungen.

Matthias Harder, Direktor der Helmut Newton Stiftung, zeigt in der von ihm kuratierten „Body Performance“-Schau Perspektiven auf den menschlichen Körper. Das Wechselverhältnis von Exhibitionismus und Voyeurismus in der (Akt-)Fotografie spielt in der Ausstellung ebenso eine Rolle wie die über 100 Jahre alte Tradition, Theateraufführungen, künstlerische Aktionen, Happenings fotografisch festzuhalten.

Schlecht gealterter Minimalismus

Die ausgestellten Bilder von Bernd Uhlig, der seit vielen Jahren die Choreografien von Sasha Waltz mit der Kamera begleitet, entsprechen klassischer Theaterfotografie. Im Gegensatz zu Waltz' lebendigen Aufführungen sind die Performances der italienischen Künstlerin Vanessa Beecroft von Minimalismus und Statik geprägt. Als Fotoserie kehrt nun Beecrofts „VB55“-Aktion nach Berlin zurück: Beecroft hatte 2005 einige Dutzend nur mit transparenten Nylonstrumpfhosen bekleidete Frauen in der Neuen Nationalgalerie strammstehen lassen. Vom selbstbewussten Exhibitionismus, der damals bei den Teilnehmerinnen noch eine Rolle gespielt haben mag, ist heute nichts mehr übrig. Die Aktion ist schlecht gealtert.

Auf verblüffend moderne Weise nimmt Jürgen Klaukes „Viva España“-Serie aus den späten siebziger Jahren den heutigen Genderdiskurs vorweg: Auf einer dunklen Bühne führen ein Mann und eine Frau sonderbare Tänze auf, die Körper verschmelzen, das Weibliche und Männliche werden nivelliert. Noch weiter ins Absurde geht Erwin Wurm mit seinen „One Minute Sculptures“: Ausstellungsbesucher mutieren zu Kurzzeit-Kunstwerken. In einer Reihe von Aufnahmen sind die Verrenkungen und Verdrehungen der Mitspieler eingefroren, die Wurms kuriosen Handlungsanweisungen gefolgt sind.

Verrenkungen werden zur Skulptur

Zurück in die Bewährungszeit der Fotokunst, in die späten siebziger und frühen achtziger Jahre, führen die „Untitled Film Stills“ von Cindy Sherman oder die Porträts der Bodybuilding-Weltmeisterin Lisa Lyon, die Robert Mapplethorpe schuf. Damals entstanden auch Robert Longos auf einem New Yorker Hochhausdach fotografierten „Men in the Cities“. Die Fotoserie, die Longo später in großformatige Kohlezeichnungen umwandelte, zeigt Menschen – darunter Longos damalige Lebensgefährtin Cindy Sherman – in unnatürlichen Verrenkungen. Was man nicht sieht: Longo ließ seine Modelle mit Tennisbällen beschießen. Daraus resultieren Zufallsposen, die manchmal wie aus Kugelhagel-Szenen in Mafiafilmen herausgeschnitten wirken.

Viviane Sassens surreale Modebilder, in denen der menschliche Körper eigenartig verdreht, mittels Spiegeln fragmentiert und in fotografischen Ausschnitten entindividualisiert erscheint, sind ebenso Teil dieser Ausstellung wie die experimentellen Aufnahmen von Barbara Probst. In ihrer „Exposures“-Serie arbeitet Probst mit mehreren Kameras, die sie zeitgleich im selben Raum auslöst. Trotz der räumlichen Nähe und inhaltlicher Überschneidungen (Modelle etwa, die aus verschiedenen Blickwinkeln hier wie dort zu sehen sind) irritieren die Bilder durch die krass unterschiedlichen Perspektiven. Barbara Probst zeigt, wie ausschnitthaft, potentiell lügnerisch das Medium Fotografie sein kann.

Fotos können lügen

Besonders spannend ist die Wiederbegegnung mit den Fotoarbeiten des Duos Inez & Vinoodh (Inez van Lamsweerde und Vinoodh Matadin) aus den frühen neunziger Jahren. Vor Einführung von Photoshop arbeiteten die Künstler bereits mit digitaler Bildmanipulation und generierten obszön wirkende Akte. Damals wirkten die hybriden, mit sowohl männlichen als auch weiblichen Attributen versehenen Retortenkörper noch verstörend bis ärgerlich. Heute sind wir zunehmend mit realen, plastisch-chirurgisch veränderten Körpern konfrontiert. Die Provokation findet in Fernsehshows oder auf der Straße statt. Es stimmt eben: Künstler sind ihrer Zeit oft voraus („Body Performance“ in der Helmut Newton Stiftung, Jebensstr. 2. Die Ausstellung ist bis zum 10. Mai zu sehen, Di-Mi, Fr-So 11-19 Uhr, Do 11-20 Uhr).

Jens Hinrichsen

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