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Versteckt. Das Foto der Neuen-Sankt-Johannes- Kirche gehört zur Serie „Mobile Churches“ (2013-17), die Anton Roland Laub in Bukarest aufgenommen hat.

© Anton Roland Laub

Fotoausstellung über Stadt und Religion: Gottes Vorposten

Kirchen, Synagogen und Moscheen: Eine Schau in der Kreuzberger Guardini Galerie reflektiert das Verhältnis von Stadt und Religion.

Schon der Blick aus dem Berliner Fenster reicht als Beweis: Sakralbauten verändern das Antlitz der Stadt. Ihre Architektur, ihre Aura versagt sich der sachlichen Funktionalität der Wohn- und Bürobauten. Das goldene Kreuz, das rote Banner mit Stern und Halbmond, die Glockentürme und Kuppeln weisen sie als Vorposten höherer Mächte im menschengemachten urbanen Getriebe aus. Als Stein gewordene Metapher dafür, dass im Sichtbaren immer auch das Unsichtbare anwesend ist.

Da mögen die sozialistischen Hochhausplatten von Bukarest noch so gefährlich über niedriger dimensionierten Kirchen und Synagogen aufragen. So wie das in der Fotoausstellung „Transformare“ in der Guardini Galerie zu sehen ist. Die Schau ist die erste von dreien, die das überkonfessionelle Projekt „Stadt und Religion“ der Guardini Stiftung flankieren. Anton Roland Laub, einer der acht ausgestellten Fotografinnen und Fotografen, hat die orthodoxen Kirchen und Synagogen in seiner Serie „Mobile Churches“ (2013-2017) festgehalten. In sachlich-dokumentarischem Stil, ohne jede Verklärung. Umso erstaunlicher ist es, wie die Gebäude trotz ihrer merkwürdig ins winterliche Stadtbild gequetschten Standorte Haltung bewahren.

Körper- und Vergnügungskult füllt religiöse Leere

Die sieben porträtierten Gotteshäuser überlebten in den Achtzigern mit Ach und Krach den von Ceausescu betriebenen Umbau des Bukarester Stadtbildes. Im Zuge der „Systematisierung“ wurden sie abgesägt, auf Schienen gehoben und in tote Winkel verfrachtet. Laubs Bilder, deren Sujet sich allerdings nur über das Infoblatt zu „Transformare“ gänzlich erschließt, erzählen vom politischen Stadtumbau und auch von den rumänischen Verflechtungen zwischen Staat und Kirche. Diese symbolisiert das in der Sankt-Nikolaus-Kirche des Klosters Mihai Voda fotografierte farbenfrohe Fresko des Marschalls Antonescu in Begleitung orthodoxer Kleriker.

Dass Ersatzreligionen wie Körperkult und Vergnügungskultur in säkularisierten Städten und Gesellschaften die Lücke füllen, die schwindende Religiosität hinterlässt, lässt sich von Johanna Diehls „Ukraine Series“ (2013) und Andreas Rosts Bildern ablesen. Erstere dokumentiert, wie sich ukrainische Synagogen in Turnhallen und Kinosäle verwandelt haben. Letzterer hat auf der Berliner Loveparade Technojünger mit Engelsflügeln und Teufelshörnchen in grobkörnigem Schwarzweiß eingefangen.

Wie ein Ufo. Die Atasehir Mimar-Sinan-Moschee in Istanbul aus Norman Behrendts Serie "Brave New Turkey" (seit 2015).
Wie ein Ufo. Die Atasehir Mimar-Sinan-Moschee in Istanbul aus Norman Behrendts Serie "Brave New Turkey" (seit 2015).

© Norman Behrendt

Ein echter Hingucker ist Norman Behrendts Serie „Brave New Turkey“. Sie zeigt, wie eng in der Türkei der Ära Erdogan Stadtentwicklung, Religion und Politik verzahnt sind. Manche der Moschee-Neubauten, die Behrendt seit 2015 in den Neubausiedlungen von Istanbul und Ankara fotografiert hat, sehen wie Ufos aus, die auf einer vermüllten Baubrache oder zwischen Hochhaustürmen gelandet sind. Jedes Jahr werden in der Türkei tausend neue Moscheen errichtet. Nagelspitz bohren sich die Minarette, die die buckligen Betongewächse flankieren, in den Himmel. Selbst aus der Ferne fotografiert, symbolisieren sie den Herrschaftsanspruch des konservativen Islam, auf den sich der Staatspräsident stützt.

Der Glaube ist mit dem Gemeinwesen verstrickt

Deutlich subtiler sind da die Motive, die Loredana Nemes oder Andréas Lang wählen. Die in Rumänien geborene Berlinerin Nemes fängt in ihrer Serie „Beyond“ (2008-10) Gestalten hinter Milchglasscheiben ein. Die Schemen einzelner Männer oder Männergruppen stammen aus türkisch-muslimischen Tee- und Gemeindehäusern in Neukölln und Kreuzberg. Der Anblick der grell beleuchteten Vereinslokale gehört zum Straßenbild. Trotzdem geben sie ihr wie durch eine Membran fotografiertes Innenleben, ihr Geheimnis dem Beobachter nicht preis. Distanz und Befremden – das gehört zur Reaktion auf sich vermeintlich oder tatsächlich abschottende religiöse Gemeinschaften in der Stadt.

Und doch ist der Glaube der Menschen unlösbar mit dem Gemeinwesen verstrickt. Selbst im Moment größtmöglichen Kontrastes wie ihn Andréas Lang in seinen mystifizierenden New York-Fotos von 2003 einfängt. Auf einem düsteren Memento mori versinkt der Calvary Cemetery in der Dunkelheit. Im Vordergrund ragen die Silhouetten von Kreuzen und Engelsstatuen über den Gräbern verstorbener Einwohner auf. Im Hintergrund funkeln Manhattans hell erleuchtete Wolkenkratzer, ein pralles Monument des Bürgerstolzes, so vergänglich wie das Leben.

Guardini Stiftung, Askanischer Platz 4, Kreuzberg, bis 14.12., Mo-Fr 10-19 Uhr. Am 12.12., 19.30 Uhr, findet ein Künstlergespräch mit Johanna Diehl, Norman Behrendt und Anton Roland Laub statt.

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