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Fotobücher: Die Kreuzberg-Variationen des Ludwig Menkhoff

Ludwig Menkhoff war ein großartiger Fotograf und Lebensgeschichtenerfinder. Mit seiner Kamera zog er durch Berlin-Kreuzberg. Zwei Bücher erinnern an ihn.

Von David Ensikat

Vor drei Jahren erschien auf der Nachrufe-Seite des Tagesspiegels ein recht drastischer und dennoch ausgesprochen zugewandter Text über den Kreuzberger Ikonenmaler, Geschichtenerzähler, griechisch-orthodoxen Juden, Schwulen, Rentner, Säufer und Fotografen Ludwig Menkhoff, der 84 Jahre alt geworden war. Einen Monat später erfolgte eine Reaktion, die, so könnte man sagen, absehbar war: Ein guter Freund Menkhoffs, der nicht in Berlin lebt und für den Nachruf nicht befragt worden war, schrieb einen bitterbösen Brief an die Redaktion. Man könne den Text „nur als völlig verfehlt, irreführend, rufschädigend, ja als Totenschändung bezeichnen“. Die „Grenze des journalistisch Zulässigen“ sei „bei Weitem überschritten“.

Tatsächlich finden sich in dem Nachruf einige Stellen, die höchstwahrscheinlich falsch sind. Was weniger an der mangelnden Sorgfalt des Autors liegt als vielmehr an der Natur der Sache.

Ludwig Menkhoff war einer jener Menschen, die nicht einsam sind, weil sie zu wenig Freunde haben, sondern die viele Freunde haben, weil sie so einsam sind. 40 Jahre lang lebte er in Kreuzberg und besuchte dort die Kneipen nicht allein zum Zweck des Besäufnisses, sondern vielmehr, um dort Menschen zu begegnen, immer wieder neuen Menschen, denen er sein Leben und seine Ansichten schildern konnte, so offen, originell und detailliert, dass viele dieser Menschen ihn schließlich als Freund bezeichneten. Selbstverständlich hat Ludwig Menkhoff nicht jedem dieselbe Geschichte erzählt. Er war ja nicht in die Kneipen gegangen, um sich mit sich zu langweilen.

War er vor dem Krieg nach Russland gekommen oder erst während des Krieges? War er von den Russen zu den Deutschen übergelaufen oder andersherum? War er Jude, Buddhist oder Griechisch-Orthodoxer? Alles stimmte irgendwie und irgendwie auch nicht. Was stimmte: Ludwig Menkhoff war ein großartiger Geschichtenerzähler, einer, der Schlimmes erlebt hatte und der die Dämonen seiner Erinnerung zu zähmen versuchte, indem er sie umwidmete, immer wieder neu.

Wie die Geschichte von den Messerstichen. Im August 1987 war Menkhoff auf dem Heinrichplatz mit einem Messer niedergestochen worden. Die Sache hätte ihn fast das Leben gekostet, an den Folgen litt er lange. Die Kreuzberger Freunde kannten zwei Versionen, beide aus Menkhoffs Mund. In der einen war es irgendein Türke – Menkhoff hatte viel Ärger mit Türken –, in der anderen war der Attentäter ein enttäuschter Liebhaber. Im Nachruf stehen beide Versionen. Dass die Wahrheit eine andere, viel profanere war, erfuhren die Kreuzberger erst, nachdem der Nachruf erschienen war (man könnte mit Hegel sagen: Umso schlimmer für die Wahrheit). Ein Sohn eines deutschen Rechtsanwalts im Drogenrausch, dem Menkhoff nie zuvor begegnet war, hatte auf ihn eingestochen. Aber ist diese Geschichte nicht viel zu banal für so schwere Verletzungen?

Immerhin, auch das steht fest: Ludwig Menkhoff war einmal ein großartiger Fotograf gewesen, in den 70er und 80er Jahren, bevor er eine religiöse Erleuchtung erfuhr und sich der Ikonenmalerei widmete. Er lief durch Kreuzberg, vor allem um die Blocks seiner unmittelbaren Nachbarschaft um die Naunynstraße, und dokumentierte eine Welt, die nichts zu tun hatte mit dem heutigen Kreuzberg, wo sich Menschen teure Wohnungen leisten, wo Touristen das Authentische suchen. Authentisch, so wie Menkhoff es festgehalten hat, waren: abbruchreife Häuser, Kinder auf Trümmerhaufen, Polizisten in Kampfmontur, Punks, Penner, die Mauer.

Mit welchem Ziel und welchem Ehrgeiz Menkhoff seine Bilder machte, wissen wir nicht. Ausgestellt, veröffentlicht, verkauft hat er sie nie. Er hat sie irgendwann in zwei Alditüten zu einem Freund getragen, dem Buchhändler und Fotobuchsammler Jürgen Borchers, weil er wusste: Wenn jemand etwas damit anfangen kann, dann der.

Recht hatte er. Borchers hat, gemeinsam mit Erik Steffen, einem anderen Kreuzberger Menkhoff-Freund, jetzt ein Buch herausgebracht mit 79 Fotos aus den Alditüten. Kreuzbergbilder, so wahr und schön und hässlich, wie man sich einen Text über Ludwig Menkhoff wünscht. Wen wundert es, dass fünf dieser Fotos nicht von ihm stammen? Sie lagen halt in den Tüten, wurden fürs Buch ausgesucht und erst nach Drucklegung als NichtMenkhoff-Bilder identifiziert. Ein eingelegter Hinweis verweist auf den eigentlichen Fotografen, Siebrand Rehberg.

Die Fotoverwechslung passt so gut zur Menkhoff-Erinnerung wie die Auseinandersetzung um den Nachruf. Wer kennt die „Wahrheit“? Kannte Menkhoff sie? Was bleibt, sind Erinnerungen an ihn, die sich von Erzählung zu Erzählung ändern. Und nun, wie eine ungewöhnlich scharfe Momentaufnahme, dieses schöne Buch. Und noch ein zweites: „Erinnerungen an einen Unangepassten“. Darin finden sich Texte von Freunden über diesen erstaunlichen Menschen mit den vielen Geschichten. Es findet sich darin auch der umstrittene Nachruf und Auszüge aus dem Briefwechsel, der daraufhin entstand zwischen dem Freund und Leserbriefschreiber in der Ferne und den Kreuzberger Freunden. Sie alle kannten einen Ludwig Menkhoff, keiner kannte denselben.

„Stationen sonstiger Augenblicke. Berlin-Kreuzberg: Fotografien von Ludwig Menkhoff“, Verlag M, Berlin 2011. 93 S., 24,90 Euro.

Bernd Kramer, Erik Steffen (Hg.): „Erinnerungen an einen Unangepassten“, Karin Kramer Verlag, Berlin 2011. 71 S., 10 Euro

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