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Fotofestival: Photo España: Dein Leben

Mit der Photo España hat Madrid nicht bloß ein wichtiges Festival – es zieht auch Galerien an.

Sérgio Mah will es kurz machen: für seinen Gesprächspartner und für sich. Die erste Hitzeglocke des Jahres stülpt sich über Madrid, und wer glaubt, dass seine Bewohner Temperaturen ab 30 Grad locker wegstecken, hat sich getäuscht.

Dann kann sich der Chefkurator der Photo España doch nicht bremsen. Es gibt einfach zu viel über das nach den Rencontres d’Arles weltweit zweitwichtigste Fotofestival zu erzählen. Die spanische Hauptstadt feiert wie in jedem Jahr seit 1998 die Lichtbildnerei, mit 31 institutionellen Ausstellungen, diversen Workshops, mit dem Gassentrubel einer „Noche de la Fotografía“ – und einer regen Beteiligung von Galerien, die das sonnengelbe Photo-España-Label gut erkennbar an der Eingangstür zeigen.

Anders als in den USA oder Deutschland wird das Medium in Spanien erst seit etwa fünfzehn Jahren als Kunstform rezipiert. Der Nachholbedarf der Post-Franco-Ära hat eine erstaunliche Thermodynamik in Sachen Fotoästhetik entfacht, was sich auch auf der örtlichen Kunstmesse Arco zunehmend abbildet.

Die Galerien stellen sich ebenfalls auf Sérgio Mahs Festivalprogramm ein, das ausgesprochen wenig Fotografie des 19. Jahrhunderts oder klassische Moderne zeigt. „Wir gehen zurück zu den Wurzeln“, sagt Mah trotzdem – und meint damit die siebziger Jahre, in denen sich die Fotografie in den Kanon der Hochkunst einschrieb. Zugleich spricht der Kurator vom Auffangen, Transportieren und Verrätseln des Alltäglichen, das so konstitutiv für das Medium geblieben sei.

Eine fantastische Schau über „Die Siebziger: Fotografie und Alltagsleben“ im Teatro Fernán Gómez brennt sich ebenso ins Bildergedächtnis wie die merkwürdige „Evidence“-Serie von Polizei- und Wissenschaftsfotos im Real Jardín Botánico, die Larry Sultan und Mike Mandel 1977 in US-Archiven aufklaubten. Und als mediales Crossover trumpft die Fundación Telefónica – im historisch ersten Wolkenkratzer Europas – mit Gerhard Richters „Übermalten Fotografien“ auf, in denen sich Schnappschuss und Malfluss aufs Verblüffendste verschwistern. Noch ein alter Bekannter: Sigmar Polke stellt in der Galerie Arnès y Röpke aus. Wie bei Sultan und Mandel ist Polkes fotografisches Werk vom Zweifel an der Beweiskraft der Bilder geprägt. Die knapp 20 meist schwarzweißen Fotos, die einen Bogen von den sechziger Jahren bis 1990 schlagen, ironisieren das Genre der Geisterfotografie. Bis auf „Die Waschung der Lineale“ (Auflage von 310, 2000 €), handelt es sich um Unikate, was auf dem Fotomarkt ziemlich selten vorkommt (26 000–32 000 €).

„Falls der Originalabzug dem Sammler abhanden kommt, müsste er Polke fragen, ob er doch noch einen Abzug macht“, sagt der Kölner Galerist Stefan Röpke, der seine spanische Dépendance vor elf Jahren eröffnete. Etwa ein Drittel seines Galerieprogramms in Madrid bestreitet Röpke mit Fotoarbeiten. Das Verhältnis spanischer Sammler zu Editionen und hohen Auflagen schätzt er als eher entspannt ein: „Denken Sie an Goya oder Miró – die große Tradition der Grafik in Spanien“, merkt der Galerist an.

Röpke hat beobachtet, dass sich die deutsche und die spanische Kunstszene in den vergangenen Jahren zunehmend angeglichen habe. Das junge Galeristenpaar Juan Sánchez-Arana und Christina Poveda zeichnet ein etwas anderes Bild von spanischen Sammlern. „Wir hinken immer noch gut zehn Jahre dem internationalen Niveau hinterher“, erklärt Sánchez-Arana. Besonders für Fotografie sei Spanien ein schwieriges Pflaster, sobald avancierte künstlerische Strategien zur Verwendung kämen.

Seine im letzten Jahr eröffnete Galerie Proyecto Arte – im Herbst wird sie an der Berliner Liste teilnehmen – profitiert von der Begeisterung eines gut betuchten Londoner Sammlers und präsentiert ein unverdrossen innovatives Programm. Die Künstlerin Christina De Middel (1975 in Alicante geboren) zeigt mit „Poly-Spam“ fotografische Inszenierungen, die auf E-Mails zurückgehen, in der anonyme Autoren De Middel von ihrer Lebenssituation berichteten (7er Auflage, 2500 €). Nahezu schwerelos geben sich die Akteure auf den Bildern des Chinesen Li Wei (Jahrgang 1970). Die Stahlseile, an denen die Protagonisten eigentlich hängen, obwohl sie über Chinas Landschaften und Städten flattern oder sich in zarten Zweigen verfangen zu haben scheinen, sind digital retuschiert (3600 bis 18 700 €). Li Weis spanische Galeristin Raquel Aranda von Tribeca schätzt, dass Fotografie auf dem spanischen Kunstmarkt das kommende Medium ist, „weil sich die jungen Sammler vor allem dafür interessieren“.

Vor der Krise fürchten sich wahrscheinlich alle. Doch Stefan Röpke wiegelt ab: „Klar schauen wir jetzt genauer auf die Kosten. Doch der Kunstmarkt schwächelt nicht zum ersten Mal, und wir wissen, dass man mit solider Galeriearbeit durchkommt.“

Kein Grund, ins Schwitzen zu kommen? Wenn doch, dann merkt es in der Hitze der Hauptstadt eh’ keiner.

Jens Hinrichsen

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