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In der Zelle. Dieter Matthes (links) fotografiert nach dem Dienst. Sein Bruder Ulrich Matthes las zur Ausstellungseröffnung.

© Jan Sobottka

Fotografie-Ausstellung von Dieter Matthes: Die spezielle Akustik hinter Gittern

Das ehemalige Gefängnis in Lichterfelde wird zum Kunstort Soeht 7. Jetzt sind dort Fotografien von Dieter Matthes zu sehen.

Für solche Aussichten hätten die Gefangenen vermutlich viel gegeben. Blicke über die Dächer Berlins, in Hinterhöfe, auf Bahngleise, Parkanlagen. Hauptsache wissen, dass es ein Draußen gibt, die Stadt jenseits der Mauern. Die Zellen allerdings sind schon seit fast zehn Jahren nicht mehr belegt. Die Fotografien, die jetzt auf engstem Raum wie Fenster in eine andere Welt wirken, erfreuen Kulturinteressierte, nicht Knackis. Im ehemaligen Gefängnis Lichterfelde stellt der Arzt und Fotograf Dieter Matthes seine Werke aus, „Berliner Aussichten“ hat er die Serie genannt. Bestürmende Bilder hinter Gittern. Suggestive Kunst an einem vormals hermetischen Ort.

Der Kulturunternehmer Jochen Hahn hat das leerstehende Gebäude an der Soethstraße für sich entdeckt und ist dabei, es zu einem Kunstareal auszubauen. Im vergangenen Jahr wurde „Soeht 7“ mit einer ersten Ausstellung eröffnet, auch Theater hat hier schon stattgefunden. Geplant ist allerdings noch viel mehr. Hahn will perspektivisch zehn bis zwanzig internationale Künstlerresidenzen schaffen, mit Ateliers im ersten und Wohnräumen im zweiten Stock des vormaligen Gefängnisses. Der Lichthof, schwärmt er, eigne sich wegen seiner speziellen Akustik ideal für Chöre. Und in einem hohen Raum abseits der Galerien, über dessen Eingang „Sprechzimmer“ steht und der früher Gebete und Stoßseufzer aufnahm, wartet ein Flügel auf kommende Konzerte.

Momentan allerdings läuft der Kulturbetrieb noch unter Duldung. Es gibt, wie könnte es in Berlin anders sein, Brandschutzauflagen zu erfüllen. Als Gefängnis dürfte Hahn das denkmalgeschützte Gebäude sofort weiterbetreiben, aber Künstler, scherzt er, „sind offenbar leichter entflammbar.“

Hahn hat allerdings schon andere Hürden genommen. Er blickt zurück auf eine lange Karriere als Theatertourmanager, Produzent, Austauschförderer. Er hat lange mit George Tabori gearbeitet, hat 1988 eine aufsehenerregende Gastspielreise der wichtigsten deutschen Schauspielhäuser nach Moskau organisiert, später in München die Reithalle aufgebaut. Er ist einer dieser Entdecker- und Machertypen, die es in Berlin braucht, weil der Raum für neue Ideen schwindet.

Freigängerknast für Frauen

„Soeht 7“ lebt von der morbiden Atmosphäre der Immobilie, die noch bis 2008 ein Freigängerknast war. Vornehmlich für Frauen, zwischendrin aber auch gemischt belegt, Bubi Scholz saß hier ein. Das Ex-Gefängnis ist wegen seiner Einschüchterungsarchitektur extrem beliebt als Filmkulisse. George Clooney hat hier seine „Monuments Men“ gedreht, Tom Tykwer „Babylon Berlin“, Terrence Malick das Weltkriegsdrama „Radegund“ mit August Diehl. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Die Vermietung für Drehs wird auch künftig ein Standbein sein, von der Kultur allein kann sich so ein Projekt nicht ernähren. Aber nur die Kunst gibt ihm seinen Sinn. Vorerst sind Pop-up-Ausstellungen ein wichtiger Teil des Konzepts, erzählt Hahn. Ausstellungen, die nur für die Dauer eines Wochenendes zu sehen sind.

Dass „Soeht 7“ dabei nicht automatisch dazu verführt, bloß auf das Eventhafte der Location aufzusatteln, beweist Dieter Matthes mit seinen „Berliner Aussichten“. Ebenso sein Bruder, der Schauspieler Ulrich Matthes, der die Vernissage mit einer virtuosen Lesung von zwei Erzählungen Wolfgang Borcherts in der Gefängniskapelle begleitet: Mit der „Hundeblume“, diesem metaphysischen Text über die Grenzen geistiger Freiheit hinter Gittern. Und „Schischyphusch“, einer humoristischen Beobachtung beim Sonntagsschnaps.

Im Fokus des Abends aber soll sein Bruder stehen. Dieter Matthes hat ja bereits mit Serien wie „New York Blues“ oder „London Faces“ sein Talent als Street-Art-Fotograf bewiesen. Die Berliner Bilder nun sind im Laufe von vier Jahren entstanden, jeweils nach seinen Einsätzen im ärztlichen Notdienst. Ein Akt der Kontemplation, den Matthes der psychischen Belastung entgegensetzte. Wann immer ihn etwa der Blick aus dem Treppenhausfenster überraschte oder anzog, schoss er ein Bild, mit dem Smartphone und einem Farbverfremdungseffekt. Ein vermeintlich simpler Vorgang, aber mit enormer Wirkung.

Die Fotos lassen die gewöhnliche Szenerie ins Ferne kippen, mal überreizt, mal ruhig-konzentriert. Ein Hinterhof gewinnt die Anmutung eines japanischen Kirschblütengartens. Aus einem verregneten Frühabend wird ein Pop-Art-Lichterfest. Kaum je sind berühmte Gebäude darunter, einmal der Dom, auf einem anderen Bild ein Aufzug im Hauptbahnhof. Im Wesentlichen fordert der Fotograf sich selbst und den Betrachter mit dem Unvertrauten der Stadt heraus. Und das passt dann perfekt zu diesem leeren Gefängnis. Patrick Wildermann

„Berliner Aussichten“ wieder an diesem Sonntag, 15 - 21 Uhr, Eintritt frei

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