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Alexander Tolnay

© M. Wolf

Fotografie: Der sanfte Dompteur

Nach 13 Jahren verlässt der Ungar Alexander Tolnay Berlin und den Neuen Berliner Kunstverein. Mit der Ausstellung "Zeitgenössische Fotokunst aus Ungarn" nimmt der Kunsthistoriker seinen Abschied.

So viele Sprachen einer spricht, so viel Mensch ist er, lautet ein deutsches Sprichwort. Oder war es ein ungarisches? Alexander Tolnay, der neben deutsch und ungarisch fließend englisch, französisch und russisch spricht, weiß es selber nicht genau. Wenn er spricht, schwingt bei ihm hörbar eine Doppelidentität mit. Der ungarische Akzent verrät seine Herkunft. Budapest. Doch erst wenn der seit Jahresbeginn pensionierte Direktor des Neuen Berliner Kunstvereins (NBK) ganz ins Ungarische wechselt, spürt der Beobachter dieser Metamorphose das schlummernde Temperament in dem ansonsten so ruhigen Mann.

Vor den Bildern der ungarischen Fotografin Anna Fabricius nennt er den Originaltitel der Serie mit einer schier unendlichen Reihe von rollenden R’s und Zischlauten. Das klingt gefährlich. „Tigermütter“ heißt er übersetzt und zeigt Frauen und ihre Kindern, bewaffnet mit Haushaltsgerät, als wäre es scharf munitioniert. Tolnays Freude an dieser Umkehrung der Verhältnisse ist zu spüren; die vermeintliche Position der Schwäche, die heimische Harmlosigkeit, erweist sich für den Eindringling als fatal.

Mit der Ausstellung „Zeitgenössische Fotokunst aus Ungarn“ nimmt der Kunsthistoriker endgültig seinen Abschied. Für die letzten Tage blieb ihm in der Buchhaltung des Kunstvereins ein kleiner Computerschreibtisch, von dem aus er den Aufbau dirigierte. Die Schlüssel sind abgegeben, ebenso das Diensthandy; die Geschäfte sind an seinen Nachfolger Marius Babias übergeben. Für Tolnay ist die letzte Ausstellung nur noch Kür nach 13 Jahren im Geschirr. Die ungarische Fotografie hat er sich aufgehoben, als Abschluss seiner zwölf Nationen absolvierenden Ausstellungsreihe. „Vorher hätte es geheißen, ich würde meinen Landsleuten den Vorzug geben. Jetzt ist mir das egal,“ erklärt er.

Diese Anschubhilfe in Form einer Gruppenschau in Berlin können die jungen Fotografen gebrauchen. Ungarische Fotokunst ist zwar weltberühmt, doch die aktuelle Szene kennt man kaum. Brassai, Robert Capa, André Kertész, Martin Muncási und László Moholoy-Nagy sind heute legendäre Namen; ihren Durchbruch erfuhren sie aber im Ausland, vornehmlich in Berlin, wo sie als Emigranten zunächst landeten. Auch Tolnay fühlte sich von dieser Magie Berlins angezogen. „Die Stadt ist ein Symbol für uns Ungarn, für unsere Kulturgeschichte“, erklärt er. „Wir sind hier angenommen worden. Das ist das Wichtigste für einen Migranten, wie man an der aktuellen Diskussion sieht: akzeptiert zu werden. Das spürt man hier.“ Bis zum Zweiten Weltkrieg war Berlin die Stadt der Fotografen; hier residierten die großen Verlage, erschienen die fortschrittlichsten Magazine, hier konnten die experimentierfreudigen Ungarn reüssieren. „Nicht zu vergessen die Künstler, Musiker, Literaten – ich hoffe, das kommt wieder,“ wünscht sich Tolnay, der sich als Mensch des Übergangs sieht – zumindest für den NBK.

Als er der 63-Jährige seinen Job antrat, war der Verein wenige Monate zuvor vom Kurfürstendamm in die Chausseestraße umgezogen, der mentale Wechsel von einer West-Berliner Institution in die neue Mitte längst nicht verdaut. Tolnay verordnete deshalb die sanfte Anpassung – „lieber Evolution als Revolution“ – und ein Programm mit festen Größen: einmal jährlich die Fotoschau, eine Ausstellung zum Thema Video, da die Institution eine einmalige Sammlung besitzt, außerdem etwas zum Thema Osteuropa, wofür Tolnay von der Galerie des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart geholt worden war. Hinzu kam die Ausstellungsreihe „Ortsbegehungen“, bei der junge Kuratoren Entdeckungen präsentieren durften.

„Erst jetzt, nach mir, kann man etwas radikal Anderes machen“, sagt er im Hinblick auf seinen Nachfolger, der die Galerieräume für seinen Neubeginn entkernen will. Die Zeiten, in denen ebenfalls einmal im Jahr ein Star seinen Glanz verbreitete, um die alte Klientel des Kunstvereins zu befriedigen, sind vermutlich vorbei. Tolnay setzte noch auf klingende Namen wie Immendorff, Kirkeby, Maria Lassnig, Uecker, Daniel Richter, Matthias Weischer, die bei ihm ihre erste Einzelausstellung in einer Berliner Institution hatten, aber Überraschendes zeigen mussten: Aquarelle von Uecker, Gartenbilder von Weischer.

Wie es weitergeht? Darüber werden Ende des Monats der neue NBK-Chef Babias mit Gabriele Horn von den Kunst- Werken und Leonie Baumann vom Neuen Berliner Kunstverein diskutieren. Tolnay sitzt dann schon auf gepackten Koffern. Am nächsten Tag verlässt er Berlin und kehrt nach Göppingen zurück, in die Heimat seiner Frau, wo er nach dem Studium in Wien 1983 sein erstes Amt antrat: als Leiter der Städtischen Galerie in Esslingen. „Das ist kein Rückzug“, betont Tolnay. „Von dort aus ist man schnell in der Welt. In Berlin sieht man häufig nur noch Berlin.“

Eine gewisse Distanz ebenso wie der ungarische Akzent sind ihm in den 13 Jahren geblieben. „Ich trage die Heimat in mir“, sagt er. Als Zwanzigjähriger hatte er sein Land gen Australien verlassen, mit einer Ausreisegenehmigung zum Besuch ausländischer Museen. „Für mich ist es gut gelaufen,“ resümiert Tolnay. Nun will er seinem Land etwas zurückgeben und beim Aufbau einer Privatuniversität für Kulturmanagement in Budapest mithelfen: „Ungarn steckt voller Talente.“ Es klingt wie ein Versprechen.

NBK, Chausseestr. 128/129, Eröffnung heute 19.30 Uhr. Bis 24. 2. Treffpunkt des NBK, jeweils mittwochs, am 30. 1. zum 500. Mal, mit Neu-Direktor Marius Babias.

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