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Richard Avedons Kate-Moss-Foto für Versace von 1996.

© Staatliche Museen zu Berlin

Fotografie: Modebilder und schicke Blicke

Flüchtig? Von wegen! Die Ausstellung "Visions & Fashion" zeigt Modebilder als große Kunst. Die ästhetischen Standards der 80er Jahre wirken bis heute.

Die Frau ist kopflos, aber nicht anonym. Wer Peter Lindberghs Vorliebe für eine Handvoll Supermodels der neunziger Jahre kennt, der kommt fast von selbst auf den Namen jener Lady, die auf superlangen Beinen durch das Bild des Modefotografen springt. Es ist Nadja Auermann, aufgenommen 1996 in den Paramount Studios. Sie läuft im knappen Kleid über den Asphalt und ist schon halb aus dem Bild, während die Sonne ihren Schatten verzerrt auf den Boden wirft. Ein Gullydeckel setzt einen dezenten, ornamentalen Akzent. Lindbergh hat einen Schwarzweiß-Film benutzt, den dunklen Rahmen um das Motiv lässt er stehen – und mehr braucht es auch nicht, um aufzuzeigen, dass er hier mit der ganzen Tradition seines Genres spielt.

Von Brassai über Umbo bis hin zu Richard Avedon: Sie alle werden in dieser scheinbaren Zufallsaufnahme zitiert. Die springende Figur, der Schattenriss, das Prozesshafte der Fotos, die Avedon gern aussehen ließ, als seien sie erst in der engeren Auswahl und nicht einmal zurecht geschnitten. In der Ausstellung „Visions & Fashion – Bilder der Mode 1980/2010“ der Berliner Sammlung Modebild, die ab Donnerstag zu sehen ist, lässt sich das Bild leicht übersehen. Dabei belegt es ganz hervorragend, was Sammlungsdirektorin Adelheid Rasche mit dieser großartigen Schau beweisen möchte: Dass den Bildern der flüchtige Mode sehr wohl ein Platz im Museum gehört.

Dabei sind die Exponate ihrer Sonderausstellung viel zu jung für eine Inventarisierung. Die übergroßen Schulterpolster der Achtziger, ihre eckigen Silhouetten, Fledermausärmel und U-Boot-Ausschnitte sind vielen noch geläufig und feiern immer mal wieder Renaissance. Unter modischen Aspekten stammen sie allerdings bereits aus einer anderen Epoche. Hunderte von Kollektionen später dürfen Cindy Crawford und Linda Evangelista ruhig noch einmal defilieren. Nicht der Trends wegen: Rasche arbeitet anhand von Zeichnungen, Fotografien und Printmedien heraus, welche ästhetischen Standards damals gesetzt wurden, die teils bis heute nachwirken.

Eine lehrreiche Schau im Kostüm des Unterhaltsamen. Auf zwei Etagen bekommt das Auge Stoffliches ohne Ende geboten. Das beginnt mit einem Fadenkleid von Kaoru Hirano, die streng genommen künstlerisch arbeitet, indem sie Haute-Couture-Kleidung aufribbelt und daraus fragile Skulpturen macht. Und es endet bei den fotografischen Interieurs von Florian Böhm, der 2008 durch die Ateliers von Emanuel Ungaro, Vivienne Westwood oder Gareth Pugh gezogen ist, um die Orte festzuhalten, an denen abstrakte Ideen zu konkreten Entwürfen werden. Wobei Ungaros Studio voller Stoffe hängt, während der Arbeitsplatz von Igor Chapurin mit Zimmerpflanzen aller Art dekoriert ist, die den „Dior aus Moskau“offenbar inspirieren.

Dazwischen drapiert Adelheid Rasche an die 250 Exponate aus der Modewelt. Manches wie die Mischtechniken von Carola Seppeler verdichtet sich zu Reflexionen über Stil und Habitus. Die Modeillustratorin, 1930 in Leipzig geboren, hat Ende der 90er Jahre einen ganzen Zyklus fiktiver Gestalten entworfen, die sich über ihre Kleidung definieren. „Siegfried“ liebt breite Schultern und ausladende Kragen, „Felix“ den Landlord-Look und „Viktor“ verschanzt sich im groß gemusterten Hausmantel und mit blasiertem Blick hinter zwei weißen Schäferhunden. Oder sind es heulende Wölfe – und Viktor, der Parvenu, heult in der Meute mit?

Seppelers zeichnerische Paraphrasierungen über die Möglichkeiten, sich mittels Mode auszudrücken, bestimmen den Inhalt von „Visions & Fashion“ im Obergeschoss. Hier findet man keine Werbung, sondern Interpretationen zum Thema. Hier lässt Eric Traoré ein transparentes Kleid von Maison Martin Margiela tanzen und rafft einen Trenchcoat zum Faltenbild („Dancing with Ghosts", 2002). Paolo Simonazzi, Fotograf und Facharzt für Physiatrie, stellt in seiner Serie „Time Passages“ von 2001 die heutige Haute Couture historischen Gemälden gegenüber, in denen Kleider als Statussymbole ebenfalls eine Rolle spielen. Katerina Jebb hat eine Modeaufnahme von Kate Moss so verfremdet, dass Kleid und Model wie aus einer anderen Ära wirken. Ein Vanitas-Bild vor schwarzem Hintergrund und in einem Kastenrahmen, der nicht von ungefähr an einen Sarg erinnert.

Die untere Etage versammelt schließlich, was aus den Printmedien oder dem öffentlichen Raum bekannt ist: Ein Riesenposter jener Benetton-Werbung, mit der Oliviero Toscanini in den 90er Jahren heftigste Kontroversen auslöste, aber auch die Sprache der Werbung revolutionierte, beherrscht den Saal. Unendlich klein wirken dagegen jene Hefte, mit denen das japanische Label Comme des Garçons auf seine Art gegen überkommene Branchentraditionen rebellierte – und am Ende die Mode von innen erneuerte. Ansonsten herrscht Schönheit in dieser Etage, die sich der Werbung verschrieben hat. Obwohl: Auch hier findet man Kampagnen, in denen die Kreativen das faltenlose Image ihrer Auftraggeber unterlaufen, indem sie das Wesen der Marke nach außen kehren.

Nicht alle Exponate stammen aus der Sammlung. Adelheid Rasche und ihre Mitarbeiter haben zahlreiche Modemacher angeschrieben und um Materialien gebeten – die zum Teil nun in der einzigartigen Kollektion des Museums bleiben. Sie gründet sich auf die Lipperheide’sche Kostümbibliothek, die 1899 als Schenkung an die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen ging – ein Geschenk ihres Gründers, des Berliner Zeitschriftenverlegers Franz von Lipperheide, der sich früh über die Rolle der Bildmedien im Klaren war und aufbewahrte, was eigentlich zum kurzen Gebrauch gedacht war. Die Sammlung Modebild ist seinem Beispiel durch die Jahrzehnte gefolgt und hat ebenfalls jene Bilder konserviert, die von anderen fast vergessen sind. Daraus ist ein wunderbares Archiv geworden, das leicht zugänglich ist und dennoch Tiefergehendes vermittelt. Weil es Kulturgeschichte der jüngsten Vergangenheit erzählt. Und damit auch von den Wurzeln der Gegenwart.

30. Juni bis 9. Oktober, Kunstbibliothek, Kulturforum Potsdamer Platz, Eingang Matthäikirchplatz

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