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Selbstporträt

© Abb. Circleculture

Fotografie & Selbstporträt: Das ist ja noch schöner

Status und Pose: Porträts zeigen, wie Menschen sich sehen und gesehen werden wollen. Drei Berliner Versuche über das Selbstbild.

Es, das Ding, sieht aus wie H. G. Wells sich eine Zeitmaschine vorgestellt haben könnte. Mehrere Tonnen schwer ist die grau-schwarze, unförmige Stahlkonstruktion, deren Außenhaut aus gebogenen Blechplatten besteht. Die seitliche Einstiegsluke hätte auch Captain Nemos "Nautilus" gut gestanden, die Abdeckung besteht aus ausrangierten Kutschendächern. "Imago 1:1" heißt der Apparat, denn er macht Bilder in Lebensgröße. Mit Science Fiction hat das wenig zutun, trotzdem ist der Gedanke obskur, dass man in eine Kamera hineingehen muss, um fotografiert zu werden.

Erfunden hat die erste und einzige "begehbare Kamera" der Welt der Physiker und Tüftler Werner Kraus. Der hatte für Mercedes Benz eine Methode zur unverzerrten, maßstabstreuen Ablichtung von Verbrennungsprozessen in Motoren entwickelt. Dann fasste er den Entschluss, dasselbe Verfahren auf den Menschen anzuwenden. Beinahe 30 Jahre später steht seine Tochter Susanne vor der Antiquität, die sie in einer rückwärtig gelegenen Garage des Postfuhramts in Mitte aufgebaut hat, und sagt vergnügt, dass sie "aus Versehen" darüber gestolpert sei. Auf der Suche nach einem Jugendfoto. Sie glaubte, die Kamera gäbe es gar nicht mehr, so lange war sie verschollen gewesen. Aber es gab sie: eingemottet und in Einzelteile zerlegt in einem Lager der Neuen Sammlung in München. Deren Leiter rückte das nutzlos gewordene Wunderding sofort raus, als Susanne Kraus es wieder in Betrieb zu nehmen versprach.

Da steht es nun. Früher war die "Imago 1:1" ein Renner, wo immer sie aufgebaut wurde. Bei der Photokina 1976 in Köln sowie zahlreichen Messen und Ausstellungen. Lebhaft kann sich Susanne Kraus daran erinnern, wie sich Schaulustige um das wundersame Stück scharten. "Jeder kann kommen, um sich sein eigenes Porträt zu machen", lautete die Parole des Erfinders. Dessen Töchter verbrachten wertvolle Tage ihrer Pubertät in der Finsternis des Metallgehäuses, um die über eine simple Spiegelreflexion belichteten körpergroßen Papierbahnen durchs Entwicklerbad zu ziehen. Acht Jahre war die Maschine in Betrieb. 1980 ging der Nachschub an Fotopapier aus.

So betrachtet Susanne Kraus schon jetzt als ihre größte Leistung, "ein Papier wieder hochgeholt" zu haben, "das keiner mehr will". Denn sie konnte die Schweizer Firma Ilford überreden, ihr das für die "Imago 1:1" unerlässliche Direkt-Positiv-Papier neu zu gießen. 50 000 Euro muss sie dafür bis Ende des Jahres aufbringen. Als die Verträge unterzeichnet worden seien, platzte es aus ihr heraus: Was wir hier machen, das gibt es nicht! Und alle hätten wie erlöst und betört vom eigenen Unverstand aufgelacht.

Für verrückt wurde schon ihr Vater erklärt. Zwei Jahre bastelte er mit einem befreundeten Goldschmied an der Maschine. Die besteht aus zwei Kammern. In der einen befinden sich Scheinwerfer und der Selbstporträtist. Nebenan hängt das Fotopapier, auf das über ein System von Spiegeln das Porträt in Realgröße geworfen wird. Als Verschlussklappe dient eine sich öffnende Tür. Wobei man sich selbst in einem seitenrichtigen Spiegel erblickt, der macht, dass man sich als Fremder gegenüber tritt. Sehr geisterhaft mutet das alles an. Dem Konstrukteur war indessen wichtig, einen Raum völliger Abgeschiedenheit für den "intimen Blick in sich selber" zu schaffen.

So ganz scheint sich die Tochter an diesen Vorsatz nicht zu halten. Sehr oft sagt die erfahrene Theater- und Filmschauspielerin, sie würde mit ihren Kunden "arbeiten", obwohl es sich doch um Selbstporträts handelt. Tatsächlich steht sie in der Belichtungskammer und verständigt sich durch die dünne Metallwand hindurch mit dem Narziss.

Wie viel Selbstverliebtheit auch immer eine Rolle spielen mag, man wird in der "Imago 1:1" von dem narzisstischen Fluch erlöst, sein Abbild zu zerstören, sobald er es berühren will. Hier kann man das, was Susanne Kraus emphatisch eine "analoge Skulptur" nennt, nach zehn Minuten einrollen und mit nach Hause nehmen. Es ist vielleicht nicht das gestochen scharfe Bild, das dem digitalen Zeitalter angemessen wäre, Schwarz ist überdies die dominierende Tonart. Aber wie die eindrücklichen Stills von dem Philosophen Peter Sloterdijk und Kabarettisten Josef Hader sowie die Serie von Roncalli-Artisten an den Garagenwänden beweisen, sind die extremen Hochformate geeignet, uns an das "mythische Erbe" zu erinnern, das die Fotografie nach Roland Barthes angetreten hat: die Emanation des Doppelgängers.

Dass jedes Bild (da ohne den Umweg eines Negativs entstanden) ein Unikat ist, hat es heute womöhlich wieder einen Wert. In einer Zeit, da die digitale Fotografie und Bildbearbeitung unser Verständnis von Echtem und Wahrem immer weiter ausbeult.

Die Fotografie ist das Porträtmedium par excellence. Dass es darüber hinaus andere Formen des - allerdings mittlerweile ironisch gebrochenen - Blicks auf die eigene Figur gibt, davon erzählt eine hübsche Ausstellung in der Circleculture Gallery unweit des Postfuhramts. 26 Künstler aus dem Street-Art-, Graffiti- und Pop-Umfeld setzen sich mit der Idee der künstlerischen Selbstrepräsentation auseinander. Wobei die Spanne vom mit Blut gezeichneten Porträt über eine zweckentfremdete Kuckucksuhr bis zum Werbeplakat in eigener Sache reicht. Der öffentliche Blick ist sehr gegenwärtig in dieser Kunst, die sich am hybriden Künstlerkult abarbeitet. In kecker Adaption der Selbstporträts von Francis Bacons malt sich der Wahlberliner Jaybo aka Monk beispielsweise in der Pose eines Witzboldes, der im Fotoautomaten Grimassen schneidet. Ach, ich!

Jaybos "Self-Portrait" ist ein kluger Kommentar auf unsere Inszenierungsgelüste, sei es, dass sie sich vor dem Badezimmerspiegel entfalten oder auf Selbstdarstellungsplattformen wie Facebook. Selten ist eine Person identisch mit der, die sich nicht anderes sehen will, als sie ist. Und da kommt Edith Held ins Spiel. Die 43-jährige Fotografin gehört der neu gegründeten Agentur Meisterfotografen an. Die bietet "einen luxeriösen Full Service für high class Fotokunstproduktionen an, wie ihn sonst nur Pop Stars oder VIPs erfahren", wie es in der Broschüre heißt. Es geht also darum, die soziale Barriere zum Hochglanz der Promiwelt auch Normalbürger überspringen zu lassen. Wobei nicht klar ist, was wichtiger ist: Die Fotosession an einem ausgefallenen Ort samt Stylistin, Visagistin und Nebelmaschine. Oder das Resultat.

"Das kann sich kaum einer leisten", sagt Held und spricht mit Blick auf das mehrere Tausend Euro verschlingende Shooting davon, dass hier "eine soziale Klasse angesprochen" werde. Deren Gier nach Selbstdarstellung findet im Medium der artifiziellen, auf Look und Chic setzenden Fotografie das geeignete Inszenierungsmittel. "Letztlich sind die Fotos eine Lüge", räumt die resolute, blonde Frau ein. "Aber Lügen macht doch Spaß!"

Edith Held, Jahrgang 1966, weiß um die "Angst vor dem Selbstbildnis". Mit der Erfahrung einer beinahe 20-jährigen Karriere, will sie "eine Fremdartigkeit erzeugen, bei der das Gehirn Illusion von Wahrheit nicht voneinander lösen kann". Sie machte ihre fotografische Ausbildung in einem auf Werbefotografie spezialisierten Studio im Schwarzwald. Oft habe sie in der Dunkelkammer ihre Fotos noch nachbearbeitet, "was ich heute am Computer auch noch mache". Nach Stationen in Wien und Paris, kam sie nach Berlin. Und musste sich fortan "typisch Berlin" sagen lassen, wenn sie ihre Mappe in Hamburg oder München vorlegte. Was das bedeutet? Ein bisschen verrücker als üblich, zu wenig "gewerblich", schon aus Mangel an Designerklamotten, die man sich in modischeren Städten aus den Showrooms habe holen können.

Im Meisterfotografen-Team eilt der 43-Jährigen der Ruf voraus, Fotos im Pin-Up-Stil besonders gut zu können. Das aber wohl vor allem wegen einer markanten Unterwäschen-Kampagne, die sie geprägt hat. Bei anderer Gelegenheit inszenierte sie weniger frivole Filmplakate der Zwanziger Jahre nach und lichtete Stars wie Alexandra Maria Lara, Benno Fürmann und Thomas Kretschmann für Magazine wie "Elle", "Cosmopolitan" und "Vanity Fair" ab. Mit Roberto Blanko inszenierte sie für "Dummy" das berühmte Woopie-Goldberg-Porträt nach, das Starfotografin Annie Leibovitz von der Hollywoodschauspielerin in einer Badewanne voller Milch gemacht hatte; Blanko ist zudem als Obama, Stevie Wonder und Bob Marley zu sehen.

Ihr Gedanke: "Wie kann ich jemanden noch schöner, noch interessanter darstellen?" Wie das aus einer Person herauskitzeln, was sie glossy way of life nennt. "Wenn jemand blaue Augen hat", verwahrt sie sich gegen Manipulationsvorwürfe, "mache ich sie ihm nur noch blauer." Sei es denn verwerflich, schön sein zu wollen?


Self-Portraits, Circleculture Gallery
, Gipsstraße 11, Mitte, Di-Sa 14-18 Uhr. Ein eigenes Selbstporträt in der Imago1:1 nach Vereinbarung mit Susanne Kraus, tel. 030 / 4431 28 43 oder info@camera-imago.de. Die Meisterfotografen sind erreichbar unter www.meisterfotografen.com 

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