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Bei der Arbeit. Foto von Reinhard Mende von 1973 im Berliner Glühlampenwerk Narva.

© Reinhard Mende

Fotografien von Reinhard Mende in der Galerie Fischer: Schönheit der Werktätigen

Die Galerie Thomas Fischer zeigt das Archiv des DDR-Fotografen Reinhard Mende - und rekonstruiert damit zugleich ein Kapitel deutsch-deutscher Geschichte.

Der Mann ist ein Phänomen. Reinhard Mende hat es als Autodidakt nicht bloß geschafft, ab den sechziger Jahren bis zum Mauerfall im Auftrag von AKA Electric und Heim Electric als Fotograf unterwegs zu sein. Gleich am Anfang seiner langen, ungewöhnlichen Karriere lehnte er ein Angebot des „Neuen Deutschland“ ab: Als Bildreporter für das zentrale Medium der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hätte der ehemalige Mühlenbauer der Partei beitreten müssen. Mende aber wollte unabhängig bleiben und entschied sich wie Evelyn Richter oder Uwe Gerig für eine im Osten untypische Laufbahn als Freiberufler. Sein Vermächtnis ist ein knapp 20 000 Bilder umfassendes Archiv. Und die Frage, was es einem fast ein Vierteljahrhundert nach der Implosion der DDR erzählen kann.

Noch oder wieder? Welches Adverb für die Interpretation der unmittelbaren Vergangenheit wichtiger ist, war zum Auftakt des Projekts unklar. Und auch das Resultat, die Ausstellung „Doppelte Ökonomien“, legt sich auf keine Perspektive fest. Schon deshalb, weil sie neben Künstlern wie Olaf Nicolai, Harun Farocki oder Armin Linke ebenso Kunsthistoriker, Designstudenten und Architekturtheoretiker einbezieht. Eine Vielfalt, die viele Ansätze zulässt. Vorgeblich persönliche wie den von Nicolai, der für seinen Beitrag „Girlfriends“ diverse Mende-Porträts arbeitender Frauen aus den Kombinaten gewählt hat, um eine fiktive Geschichte seiner Jugendlieben zu konstruieren. Oder den vergleichend analytischen, mit dem Linke in Addis Abeba und wie einst Mende in Leipzig fotografierte – 2012 allerdings, um herauszufinden, was mit der Architektur politischer Systeme geschieht, nachdem diese kollabiert sind.

„Doppelte Ökonomien“ war vergangenes Jahr in Leipzig auf dem Areal der alten Baumwollspinnerei zu sehen. Die Halle 14 in einem ehemaligen Fabrikgebäude verfügt über großzügige 2000 Quadratmeter, und wer nun hört, dass die Berliner Galerie Thomas Fischer die Ausstellung nach dem Centre de la photographie in Genf und der Hochschule Zürich übernommen hat, der fragt sich schon, wie Fischer all die Materialien in seine zweieinhalb Räume bekommen hat. Doch es geht, mit einem überzeugend ästhetischen Konzept sogar. Die Galerie beschränkt sich nämlich auf einen Teil der Exponate. Sie hat die künstlerischen Beiträge reduziert und zeigt neben einem Dokumentarfilm von Allan Sekula (2010) auch 70er-Jahre-Blätter von KP Brehmer, deren abstrakte, gestische Kurven tatsächlich Gewinnspannen aus globalen Produktionen nachzeichnen. Beide sind nicht für die Ausstellung entstanden, haben sie aber schon in Leipzig ergänzt und passen nun hervorragend in das Konzeptkunst-Programm, das Thomas Fischer vertritt. Dennoch muss man ihm für die Übernahme danken, weil aus kommerzieller Sicht wenig passieren wird, abgesehen von der kleinen postumen Edition, deren Motive vor Jahrzehnten Mendes Mittelformatkamera entsprungen sind. Weit größer ist der Erkenntnisgewinn.

Reinhard Mende wunderte sich über das Interesse an seinen Negativen

Denn die meist schwarz-weißen, seltener farbigen Aufnahmen sind an einer Schnittstelle entstanden. Beauftragt wurde Mende stets, damit die Stände der Internationalen Leipziger Messe geschmückt werden konnten. Inszenierte Produktionsfotos aus den Kombinaten VVB Elektrogerätewerk Suhl oder dem VVB Leuchtenbau Leipzig zeigten ostdeutsches Personal bei der Arbeit. Hochkonzentriert, fleißig und in einem Ambiente, das nach Mendes Protokollen oft so nicht existierte: „Mitunter sah es in den Betrieben schlimm aus. Ich wusste, was meine Auftraggeber wollten – sich damit brüsten: ,Schaut mal, wie schön alles bei uns ist’.“

Mende erledigte seine Aufgabe. Gleichzeitig unterlief er die stilistischen Auflagen der DDR. Keines der Bilder feiert Helden der Arbeit, die Produkte wirken sachlich wie späte Bauhaus-Fotografie. Was in Leipzig geduldet wurde, weil die Stadt mit dem offiziellen Interzonenhandel zum zentralen Warenumschlagplatz zwischen Ost und West wurde. So erklärt sich auch der Titel der Ausstellung: „Doppelte Ökonomien“ beschreibt einen Transitraum, in dem sich DDR und BRD miteinander arrangierten. Getrieben von wirtschaftlichen Absichten, weil vor allem die DDR ihre Waren exportieren wollte. Daraus resultierte ein Zwitter, den der Ausstellungskatalog „sozialistisch in seiner Produktion und kapitalistisch in seiner Präsentation“ nennt. Mende war mittendrin.

Er sorgte für den Imagetransfer, denn das Produkt sollte von den westlichen Handelspartnern akzeptiert werden. Dass er in dieser Situation selbst ein double bind verkörperte, war dem 2012 verstorbenen Fotografen wohl nicht klar. Im Interview zur Ausstellung wundert er sich über das Interesse an seinen Negativen. Tatsächlich gibt es von den wenigsten Aufnahmen überhaupt einen Kontaktabzug. Das Kuratorenteam um Mendes Tochter Doreen hat erst ein Programm entwickeln lassen, um die Bilder zu digitalisieren und das Archiv lesbar zu machen. Anschließend wurden über 2000 Motive entwickelt, von denen die Galerie einen kleinen Teil ausstellt. Komplett sind sie auf www.doubleboundeconomies.net zu sehen, denn das Projekt geht weiter. „Die Bilder mögen aus der Vergangenheit kommen, erzeugen jedoch eine davon unabhängige Gegenwart“, so die Kuratoren. Das trifft auf die Arbeiten der Künstler ebenso zu wie auf eine junge Generation, für die der Konflikt der Systeme bloß noch Geschichte ist. Das Resultat aber wirkt weiter und will begriffen werden.

Galerie Thomas Fischer, Potsdamer Str. 77–87, Haus H; bis 3. 8., Di–Sa 11–18 Uhr

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