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Berlinerin I: Mittelstandstochter Celia Regina Ibanez Lamuno.

© Ashkan Sahihi

Fotoserie von Ashkan Sahihi: Berliner Frauen - unbeschreiblich weiblich

Kräftig und zerbrechlich: Der Fotograf Ashkan Sahihi porträtiert in einer Ausstellung in der Galerie im Körnerpark die Frauen von Berlin.

Carolin gefällt das Bild von sich, vor dem sie gerade steht. Die von blaugrauen Tönen dominierte Farbkomposition, das Motiv an ihrem Arbeitsplatz im Kreuzberger GSW-Haus, wo sie als studentische Hilfskraft jobbt. Nur ihr Gesicht, genauer die rosigen Wangen, die gefallen ihr nicht. Das ist die typische Bescheidenheit der Berlinerin. Wo doch die Apfelbäckchen und die Halt aneinander suchenden Hände einen guten Teil des Zaubers dieses Porträts einer noch nicht die Posen der Welt bedienenden jungen Frau ausmachen. „Das Foto zeigt meine zurückhaltende, klar definierte Art“, sagt Carolin. Das ist das typische Selbstbewusstsein der Berlinerin, wie es an diesem Freitagabend bei der Eröffnung von Ashkan Sahihis Ausstellung „Die Berlinerin – Das Porträt einer Stadt“ auf vielen Fotografien zu sehen und in vielen Bemerkungen der zahlreich anwesenden Porträtierten zu hören ist.

Dicht gefolgt von den typischen Selbstzweifeln der Berlinerin, die mitunter auch in der Öffentlichkeit stehende Hauptstädterinnen beschleichen.

Warum er ausgerechnet das genommen hat? Franziska Giffey, die in ihrer Funktion als Bürgermeisterin von Neukölln gerade die Ausstellung eröffnet und Fotograf und Projekt mit Lob überschüttet hat, ist bei aller strahlenden Verbindlichkeit doch ein bisschen irritiert. „Ich finde es ein bisschen ernst“, sagt sie mit Blick aufs Foto. Und dass der Hintergrund, eine Ecke des Rixdorf-Salons im Rathaus Neukölln, vor dem sie mit schwerer Bürgermeisterkette auf rotem Kleid posiert, doch etwas altmodisch sei. In der Tat wirkt Giffey im kargen Braun und Weiß der Amtsstube seltsam hin- und ausgestellt, verletzlich geradezu. Ein ungewöhnliches Politikerinnenporträt eines Fotografen, der sich auch als erklärter Ethnograf gerade nicht auf die Jagd nach dem „Typischen“ unter 1,8 Millionen Berlinerinnen macht.

Fotografie stellt die Stadt im Umbruch dar

Dass die Durchschnittsberlinerin 1,65 Meter groß und 67,2 Kilogramm schwer ist, kümmert Ashkan Sahihi nicht. Ebenso wenig Kurt Tucholskys „An die Berlinerin“ gerichtete Zeilen „Willst du romantische Feste, / gehst du beis Kino hin... / Du bist doch Mutterns Beste, / du, die Berlinerin“. Er sei überzeugt, dass die Stadt die letzte judäo-christliche Metropole ist, in der sich so ein außergewöhnlicher Umbruch vollziehe, sagt er. „In Berlin kommen zwei Einwanderungstrends zusammen, die wirtschaftliche und die Selbstverwirklichungsmigration.“ Die Stadt als Sehnsuchtsort, so wie Paris in den Fünfzigern und Sechzigern, London in den Siebzigern und Achtzigern und New York bis in die Neunziger. „Und ich behaupte, diese Veränderung lässt sich sprachungebunden, nämlich durch Fotografie darstellen.“

Berlinerin II: Schauspielerin Bibiana Beglau.
Berlinerin II: Schauspielerin Bibiana Beglau.

© Ashkan Sahihi

Wobei der polyglotte Sahihi selbst keinerlei Ausdrucksprobleme hat, sei es auf Englisch, Deutsch oder Persisch. Der Vater dreier Töchter wurde 1963 in Teheran geboren, kam 1970 nach Frankfurt am Main und zog 1987 als Pressefotograf, der für „Spiegel“, „Geo“, „New Yorker“, „Vogue“, „Zeit Magazin“ und „Rolling Stone“ arbeitete, nach New York. Seit den neunziger Jahren hat er den Fotojournalismus zugunsten der künstlerischen Fotografie aufgegeben und mit konzeptuellen Serien wie „The Drug Series“, „The Hypnosis Series“ oder „The Ex Series“ auf sich aufmerksam gemacht. Das Berlinerinnen-Projekt, für das er 2013 in die Stadt zog, haben seine Sammler finanziert.

Rund 375 Berlinerinnen hat Sahihi von 2013 bis 2015 in Ganz- oder Halbkörperporträts abgelichtet. In Farbe, ohne Einsatz von Kunstlicht und ausgefeilter Bildbearbeitung. Ort und Umfang der eigenen Inszenierung waren jeder Frau selbst vorbehalten. Von der ungeschminkten Büglerin bis zur tiptop hergerichteten Businesslady, vom fleckigen Küchentisch einer Künstlerin bis zum sterilen Besteck einer Dentalhygienikerin ist alles dabei.

Sahihi schwebte eine Art Feldforschung vor

Weil Sahihi eine Art fotografischer Feldforschung vorschwebte, hat er die „Modelle“ mit wissenschaftlicher Unterstützung zweier Ethnologen ausgewählt. Gezeigt werden sie wegen der großen Fülle, die auch den parallel erschienenen Bildband zu einem Trainingsgerät für die Armmuskeln macht, in drei Teilen: Am 10. November und 8. Dezember werden neue Berlinerinnen in der Galerie im Körnerpark aufgehängt. Jedes Foto flankiert von einem kurzen Fragebogen, den die Frauen ausgefüllt haben.

Berlinerin III: Filmschaffende Helene Schwarz.
Berlinerin III: Filmschaffende Helene Schwarz.

© Ashkan Sahihi

Ausgehend von Berufen, Alter und Milieu definierten Sahihi und sein Team 35 Suchgruppen: gut situierte Frau, Tochter aus dem Mittelstand, Arbeiterin, Migrantin, Rentnerin, Szenefrau, Künstlerin, Managerin, Frau in Uniform, Handwerkerin, Seelsorgerin oder „Frau mit alternativem Lebensentwurf“. Ein Querschnitt durch die weibliche Bevölkerung, zu der auch bekannte Namen wie die Schauspielerinnen Bibiana Beglau oder Katharina Schüttler und Theaterintendantin Shermin Langhoff gehören. Doch genauso nur ihrer Kundschaft bekannte Frauen wie Hundefrisörin Evelyn Reed, die nebst weißlockigem Pudel und Goldpokalen im Hundesalon posiert, oder die „tantrische Domina“ Kristina Marten, deren Latexmini den Blick auf beängstigend kräftige Oberschenkel freigibt.

Sahihi sieht sich in der fotografischen Tradition von Porträtisten menschlicher Gemeinschaften wie Irving Penn oder August Sander, dessen berühmter Bildatlas „Menschen des 20. Jahrhunderts“ Anfang der zwanziger Jahre Frauen, Handwerker, Bauern, Künstler in ihrer spezifischen Umgebung und Kleidung inszenierte, und so ein Zeitpanorama mit fast enzyklopädischem Anspruch entwarf.

So weit geht Ashkan Sahihi nicht. Seine ärmeren und reicheren, älteren und jüngeren, zugereisten und alteingesessenen Berlinerinnen sind keine Dokumentarfotografie. „Ich möchte sehen, nicht zeigen“, sagt er. Und dass er den Betrachtern das Urteil überlasse, inwieweit seine Umbruchsthese tatsächlich an den Fotos abzulesen sei. Die Vielfalt der Lebensentwürfe ist so augenscheinlich wie die zupackende und durchweg ernsthafte Mentalität der Frauen. Sahihi hat mit jeder stundenlang geredet, bevor er sie fotografierte. Er muss es wissen. Wie ist sie denn nun, die Berlinerin? Die Antwort ist ein langes Schweigen.

Galerie im Körnerpark, Schierker Straße 8, Neukölln, bis 10. Januar, Di-So 10-20 Uhr, Künstlergespräch mit Ashkan Sahihi: Di 10.11., 18 Uhr, Bildband: „Die Berlinerin“, Distanz Verlag, 848 S., 49,90 €

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