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Francoise Hardy im April 1965 in New York.

© AFP

Françoise Hardy wird 70: Die zarteste Versuchung, seit es Chansons gibt

Mit achtzehn und ihrem Hit "Tous les garçons et les filles" wurde sie weltberühmt - Françoise Hardy, die Prinzessin des Yéyé der Sechziger Jahre. Kleines Lied auf eine Legende, die am 17. Januar real existierende 70 wird.

Eigentlich ziemlich verrückt, im Netz nach Musikvideos aus der großen, also frühen Zeit der Françoise Hardy zu suchen. Aber gewöhnt daran, dass ihre sehr fernen Nachfolgerinnen, ob sie nun Lana oder Miley oder Beyoncé heißen mögen, sich stets auch visuell positionieren, probiert man es doch. Dabei gab es, erstens, damals noch gar keine Clips. Und bei den Konzerten, die die Anfangzwanzigerin Mitte der sechziger Jahre im Pariser Olympia und bald sogar in Südafrika gab, hielt auch, zweitens, niemand das Handy alias Filmchenkamera in die Höhe. Und drittens: Genügte nicht sowieso ein Plattencover mit ihrem Gesicht, um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen?

Manche Fans, die auch heute ihren Françoise-Hardy-Clip auf Youtube hochladen, halten es genau so: Sie nehmen ihr Lieblingsfoto und spielen ihr Hardy-Lieblingschanson, fertig, aus. Und dann sind da doch Fundstücke, Zufälle, wie jene verwaschene Schwarz-Weiß-Fernsehaufzeichnung, in der die zarteste Melancholikerin, seit es Chansons gibt, die deutsche Version ihres ersten Hits „Tous les garçons et les filles“ zum Besten gibt – und das Lied erklingt plötzlich unbarmherzig als der Schlager, der es war: „Peter und Lou, die so alt sind wie ich, gehen träumend verliebt durch die Nacht. Nichts ist so schön, wie wenn zwei sich verstehn, wenn ganz heimlich die Liebe erwacht …“

Wegklicken eigentlich, das Ding, und zwar sofort! Aber dann, vor einer weiteren Deutschversion, gibt es 20 Sekunden hineingeschnittenes Interview – Françoise Hardy hat Deutsch studiert an der Sorbonne –, und plötzlich ist alles wie immer. „Françoise, drückt sich in Ihren Liedern Ihr Wesen aus?“, fragte eine Frauenstimme aus dem Off. Großaufnahme Hardy: „Ja, natürlich.“ Nachfrage aus dem Off: „Das ist nicht so natürlich.“ Ein umwerfendes, verlegenes Lächeln, und dann, zögernd, aber zielgenau, mit noch umwerfenderem französischen Restakzent: „Doch. Das hat immer ein Verhältnis. Was man macht, hat immer ein Verhältnis mit was man ist.“

Es ist ein Schmerz in den Augen, als Françoise Hardy diesen Gedanken in der denn doch fremden Sprache aus sich herauswindet, und er passt fast genau auf die zwei oder drei Dinge, die man von ihr ahnt. Dass ihre oft das Glück anderer beobachtenden Liedtexte, ihre fast resignative Eifersuchtslosigkeit womöglich mit ihrer verschlossenen Kindheit und Jugend zu tun haben, bevor sie mit kaum achtzehn zum Star wurde. Dass die Tochter einer alleinerziehenden Bilanzbuchhaltergehilfin, oft abgeschoben zu einer herrschsüchtigen Großmutter, unglaublichen Mut aufbringen musste, um sich ersten Talentwettbewerben zu stellen. Dass sich da jemand durchgebissen hat aus engen Verhältnissen von Anfang an.

Klar, da sind die paar leuchtenden Jahre von 1962 bis 1967, dieses immer gern kometenhaft genannte Aufstiegszeug, das doch sein Verglühen schon im schmückenden Beiwort trägt, und so war ab 1968 Schluss mit den Tourneeauftritten, Schluss mit dem ewigen Lampenfieber, mit der trotz allen Erfolgs unausrottbaren Angst vor dem real existierenden Publikum. Fortan gab es Françoise Hardy nicht mehr live, aber sie veröffentlichte weiterhin ihre Platten, erst im Jahresrhythmus, dann seltener, ohne deshalb weniger berühmt zu sein. Manche, die ihr ganz fest die Treue hielten, wissen sogar von einem Comeback mit dem Album „Clair-obscur“ zur Jahrtausendwende, da war Françoise Hardy unfassbare 56 Jahre alt.

Aber damals. Wer ihre Musik Jahrzehnte nicht im Ohr hatte, kann sie zumindest mitsummen, wenn er sein empfindlichstes Sinnesorgan an einen Tonträger anschließt – „Ton meilleur ami“ oder „Mon amie la rose“, „Quel mal y a-t-il à ça?“ oder „Peut-être que je t’aime“. Und staunt über die Orchesterbegleitungen mancher Gassenhauer der ersten Jahre, die wie aus dem Inneren einer Keksdose herüberscheppern, und freut sich an den leisen Sachen, Gitarre und Stimme und sonst gar nichts. Wenn aber die Stimme doch schon alles ist? Dass sie eine im Umfang und Volumen eher schmale blieb, störte übrigens niemanden zu jener Zeit; für die deftigeren Sounds waren ohnehin andere zuverlässig zuständig.

So wurde Françoise Hardy, scheint’s, ganz von allein zur Ikone. Heute weiß man, ihr Fotograf und mehrjähriger Liebhaber Jean-Marie Périer hat sie früh für eine identifikations- und imitationsbegierige Öffentlichkeit gestylt, Modemacher von André Courrèges bis Yves Saint Laurent rissen sich um die so ungemein dekorative und zugleich unerforschliche Prinzessin des Yéyé, des französischen Pendants zum „Yeah yeah yeah“ der Beatmusik. Und: Andere große Namen bis hin zu Serge Gainsbourg komponierten für sie, sofern sie nicht selber, durchaus häufig, auch die Musik zu ihren Texten schrieb. Und irgendwann war da Jacques Dutronc, auch er viel beschäftigter Chansonnier, mit dem sie, da war sie knapp dreißig, einen Sohn hatte und den sie acht Jahre später heiratete.

Richtig wichtig aber ist das nicht. Für viele, die denn doch noch fühlbar weniger alt sind, als Françoise Hardy heute wird, ist sie die romantische unsichtbare Begleiterin erster Lieben und ersten Liebeskummers. Die Stimme, die auf Unterstufen-Schulpartys auch die Schüchternen auf die Tanzfläche trieb, am liebsten zum „Slow“. So nannte sich jene keinerlei Tanzstundenkenntnis erfordernde Bewegungsübung, bei der das Mädchen die Hände auf die Schultern des Jungen legt und der Junge seine Hände auf die Mädchenhüften und sich sodann beide mit so viel Herzklopfen wie Körperabstand zur Musik voreinander hin- und herbewegen. Und was würde Françoise Hardy dazu singen? Vielleicht dies: „C’est le passé“.

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