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Frank Stella: Der Maximalist

Hakenschläge der Malerei: Das Kunstmuseum Wolfsburg feiert Frank Stella. Der 76-jährige US-Künstler erhält in Deutschland die umfassendste Retrospektive seines Werks mit 140 Arbeiten.

Die Kunstgeschichte besitzt jede Menge Helden. Schließlich sind sie es, die an deren Fortsetzung schreiben und das Museumsgeschäft vorantreiben. Da liegt es in der Natur der Sache, dass die meisten dieser Protagonisten nicht mehr auf Erden weilen. In Frank Stella allerdings gibt es dieser Tage einen solchen Star zum Greifen nah – im Kunstmuseum Wolfsburg, wo er zur Eröffnung seiner Retrospektive eigens angereist ist. Und bei der American Academy in Berlin, wo er sich zum Artist talk einfand.

Dabei erweist sich schnell, dass sich der Künstler mit der Rolle als „einer der letzten lebenden Heroen der amerikanischen Malerei aus der Zeit der fünfziger und sechziger Jahre“, so die Ankündigung der Wolfsburger Ausstellungsmacher, nicht wirklich anfreunden mag. Darauf angesprochen, lacht der 76-Jährige, lässig in blauer Arbeitsjoppe und Karohemd gekleidet, eher amüsiert und blinzelt schelmisch durch die Nickelbrille, die er nun auch schon seit fünfzig Jahren trägt, wie auf alten Bildern aus seinem Studio in Manhattan zu erkennen ist. Er schaue lieber nach vorne als zurück, bekundet der Held wider Willen.

Im Kunstmuseum Wolfsburg aber muss sich der Künstler der Vergangenheit stellen und für sein Gesamtwerk einstehen: für die frühen Black Paintings, mit denen sich der junge Maler 1958 mitten in die Kunstszene New Yorks katapultierte, die ersten tastenden Reliefs und schließlich immer opulenteren raumgreifenden Wandarbeiten bis hin zu den eigenen Architekturentwürfen der jüngsten Zeit. Die aus 140 Exponaten bestehende Schau bildet das Finale des internationalen Ausstellungsreigens zu seinem 75. Geburtstag im vergangenen Jahr. Da mag sich der große Maler noch so sehr zieren, an solche Ehrbezeugungen sollte er inzwischen gewöhnt sein – zumal US-Präsident Barack Obama ihm aus Anlass seines Geburtstages einen Orden verliehen hat.

Doch Understatement ist ein Teil des Spiels. Die hervorragend beschickte Wolfsburger Ausstellung mit Leihgaben vom Stedelijk Museum in Amsterdam, dem Centre Pompidou in Paris, dem Kunstmuseum Basel oder der Tate Modern in London wurde darüber hinaus vom Künstler selbst ergänzt. In seiner riesigen Werkhalle in Newburgh im Bundesstaat New York umgibt er sich mit Beispielen aus allen Werkphasen. Am Ende übernahm er sogar selbst die Einrichtung der Schau. Nur in ihren Anfängen gibt es eine chronologische Ordnung, dann verlaufen die Verbindungen frei im Raum mit Bezugnahmen kreuz und quer zu allen Epochen.

Die unorthodoxe Hängung bietet sich an, denn nach Stellas Bruch mit dem Minimalismus Anfang der sechziger Jahre, dem überraschenden Ende der strengen Streifenbilder, die sein Markenzeichen waren, lässt sich fortan überall gleichermaßen anknüpfen. Der stets in Serien arbeitende Künstler bleibt seinem Formenvokabular all die Jahre treu, die üppigen Rundungen und geschweiften Bögen, die Kuben und Kegel kehren immer wieder. Nur werden sie zunehmend freier und experimentierfreudiger eingesetzt durch die wachsenden Möglichkeiten einer verbesserten Technik. In den achtziger Jahren ist Stella einer der ersten Künstler, der am Computer arbeitet. Heute bedient er sich etwa des Sinter-Verfahrens, bei dem neue Formen aus winzigen Partikeln zusammengepresst werden.

Dem Kunstmuseum ist mit der Stella-Schau ein großer Wurf gelungen. Die schwierig zu bespielende Halle mit dem Charme eines gediegenen Lagerraums erweist sich als ideal für die riesigen Teile aus Stellas Werkstatt. Die wild wuchernden Tafeln, die von der Wand in den Raum sprießenden Elemente, die üppigen Farben entfalten sich hier perfekt. Der europäische Betrachter meint prompt den amerikanischen Spirit zu spüren, jene zugleich beneidete und beargwöhnte Großzügigkeit und Unbekümmertheit.

Zumindest könnte man sich diesem schönen Glauben hingeben, solange man um die literarischen Titel nicht weiß, die sich auf Kleist beziehen, Shakespeare, Scarlatti oder polnische Synagogen. Sein Freund, der Architekt Richard Meier, hatte ihm ein Buch über die von den Nazis zerstörten Bauten geschenkt, das ihn zu seiner ersten Serie gleichnamiger Reliefbilder animierte.

Stella ist beides: Spieler und Denker, lustvoller Gestalter und Intellektueller. Auf die Frage, wie er seine Reliefs entwirft, die Formen findet, greift er kurzerhand nach der Wasserflasche vor sich auf dem Tisch und zerknautscht sie mit der Hand. Ungefähr so, wie es der Bildhauer John Chamberlain in den sechziger Jahren auf dem Schrottplatz mit Autowracks gemacht hat, die er dann als Würfel zusammengepresst zur Plastik erklärte, fügt er grinsend hinzu. Stella wiederum übersetzt diese Gebilde kombiniert mit anderen vorgefundenen Formen, etwa dem aufsteigenden Qualm seiner Zigarre, in den Computer, und überträgt sie dann von dort ins Bild, das sich auf halbem Wege zur Skulptur befindet. Nach diesem Exkurs in die Praxis hält Frank Stella im nächsten Moment auch schon einen elaborierten Vortrag, warum seine Kunst, überhaupt die amerikanische Malerei der Nachkriegszeit einen solchen Siegeszug in Deutschland erlebte – Stella & Co. profitierten auf ihre Weise ebenfalls vom Re-education-Programm der US-Regierung. Und, well, die deutschen Abstrakten arbeiteten nun einmal nicht mit den attraktiven Großformaten wie ihre amerikanischen Kollegen.

Stella, der sich vor seiner Entdeckung durch den legendären New Yorker Galeristen Leo Castelli und dem großen Durchbruch als Anstreicher verdingte, ist Pragmatiker geblieben. „You see is what you see“, lautet sein bekanntester Satz. Hinter der Oberfläche geht es nicht mehr weiter, versucht er die Malerei zu entzaubern und sieht sich doch im Kontinuum mit jenen ersten Künstlern, die ihre Bilder in Höhlenwände ritzten. Plötzlich blitzt doch etwas von dem stolzen Selbstbewusstsein durch, Teil der Kunstgeschichte zu sein und als Klassiker zu gelten, auch wenn sein Hakenschlag in den Sechzigern vom Minimalismus zum Maximalismus den klassischen Vorstellungen eines Werkverlaufs widerspricht.

Wie es sich für einen wahren Heros gehört, ist Stella zugleich Utopist – mehr denn je. Die Ausstellung zeigt neben den bis zu zwölf Meter breiten Werken auch seine Architekturmodelle. Anfang der neunziger Jahre begann der Künstler erstmals seine Bilder als umbauten Raum zu imaginieren. Damals hatte ihn das Kölner Sammlerpaar Rolf und Erika Hoffmann gebeten, für Dresden eine Kunsthalle zu entwerfen. Wie umgestürzte Backförmchen verteilen sich die einzelnen Pavillons im Herzogin Garten nahe dem Zwinger, als hätte ein liebenswürdiger Riese mit Klötzchen gespielt. Erwünscht waren solche Fantastereien der zeitgenössischen Kunst im Elbflorenz damals nicht, woraufhin das Ehepaar Hoffmann mit seiner Sammlung nach Berlin in die Sophie-Gips-Höfe zog.

Stella aber plante weiter, unter anderem für ein Museum in Buenos Aires, das ebenfalls seiner Verwirklichung harrt. Für ihn ist das Ende der Geschichte noch längst nicht erreicht, schon gar nicht der eigenen Kunstgeschichte.

Kunstmuseum Wolfsburg, bis 20. 1.; Katalog (HatjeCantz) 42 € bzw. 49,80 €.

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