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Kultur: Frankensteins Töchter

Was der Fall Natascha Kampusch über Mythen und Machtfantasien von Männern erzählt

Der Mann ist gekränkt. Frauen traut er nicht mehr, sie haben ihn zu oft hintergangen. Die Einsamkeit des „ehlos geselligen Lagers“ nagt an ihm. Doch ist er Bildhauer und weiß sich zu helfen. „Mit bewunderter Kunst voll Leichtigkeit schnitzet er helles Elfenbein und gibt ihm Gestalt, wie nimmer noch aufwuchs irgendein Weib“, berichtet Ovid. Pygmalion heißt der Statuenmacher und Frauenkonstrukteur, der sich prompt in sein lebensechtes Kunstgeschöpf verliebt. Auf sein Bitten hin verlebendigt Venus das Traumfraugebilde – unter seinen Liebkosungen beginnt es sich zu regen. Vorausgesetzt wird: Die Frau ist ihrem Mann so verfügbar wie das Bild, das er sich von ihr macht.

Vielleicht hoffte der Elektrotechniker Wolfgang Priklopil auf einen ähnlichen Effekt. In der zwei mal drei Meter großen Montagegrube seiner Garage im österreichischen Strasshof richtete er ein Laboratorium ein, um ein bizarres Menschenexperiment durchzuführen. Acht Jahre hielt er in dem Verlies das Mädchen Natascha Kampusch gefangen. Als ihr vor wenigen Tagen die Flucht gelang, lief der Polizei eine Volljährige in die Hände, die nicht auf die bloße Opfer- Rolle festgelegt werden will. Ihr Entführer habe sie, erklärte sie in einem Brief an die Öffentlichkeit, „auf Händen getragen und mit Füßen getreten“. Selbstbewusst fügte sie hinzu: „Er hat sich mit der Falschen angelegt.“

Während die Welt staunt, dass die Verschollene am Leben und in der Lage ist, die eigene Situation so hellsichtig zu erfassen, begegnet sie voreiligen Interpretationsbenühungen mit der Bemerkung, dass sie sich „zu einer jungen Dame mit Interesse an Bildung und auch an menschlichen Bedürfnissen“ entwickelt habe. Ihr Alltag bestand aus gemeinsamem Frühstück, Hausarbeiten, lesen, fernsehen, reden und kochen. „Das war es, jahrelang.“

Was hat diesen Mann nur bewogen, ein solches Regime zu errichten? War Priklopil ein ausgebuffter Psychopath, der sich mit dem fremden Mädchen die Frau fürs Leben heranziehen wollte? Was für Antriebskräfte waren am Werk, um den Kellergulag aufrechzuerhalten? Wohin sollte das führen? Wir werden es nicht erfahren. Nicht von Priklopil, der sich der Festnahme durch Selbstmord entzog. Auch von Natascha Kampusch nicht, die zu „intimen Details“ jede Auskunft verweigert. Dafür kann man Verständnis aufbringen. Man muss ihre Entschiedenheit auch bewundern. Doch bleibt das Unbehagen, dass sich die Phalanx der wohltätigen Tyrannen mit Wolfgang Priklopil um einen monströsen Protagonisten erweitert.

Das Urmodell liefert der „Pygmalion“- Mythos. In George Bernhard Shaws Bühnenadaption (später, im Musical, „My Fair Lady“) warnt der Sprachforscher Higgins das Blumenmädchen, das er zur Herzogin umzuerziehen verspricht: „Ich werde schlimmer als zwei Väter sein.“ Er wird sich in sein Geschöpf verlieben und als Wissenschaftler scheitern. So erzählt Shaw von der Eigendynamik eines Ausbildungsprogramms, bei dem Mädchen und Mann zu Insassen desselben Kerkers werden, weil er sie vor gesellschaftlichen Konventionen schützt. Der ethische Ausnahmezustand schweißt sie zusammen.

In einer früheren Dramatisierung des Mythos’ durch Jean-Jacques Rousseau wird diese Bindung von Täter und Opfer eigens betont. Da erkennt sich die Frau als Spiegelbild des Künstlers, sie sagt zu ihm „ich“, wie sie es zu sich selbst sagt. Von der Gewalt eines solchen Akts will allerdings auch diese Schöpfungsgeschichte nichts wissen. Überhaupt kann Rousseaus Modell einer „negativen Erziehung“, das er in „Émile“ propagiert, auch als Anleitung zum Kerkerbau missverstanden werden. Die Forderung, das Kind gegen schädliche Einflüsse abzuschirmen, damit es sich nach seiner eigenen Natur entwickeln kann, dürfte für jene Reiz haben, die in der Umwelt nur Zudringlichkeit und Deformation ausmachen.

Auf die Spitze wird dieses Prinzip der Käfig-Pädagogik in Jonathan Demmes Horror-Thriller das „Schweigen der Lämmer“ getrieben: Junge Frauen werden von einem Psychopathen wie Versuchstiere gehalten. „Buffalo Bill“ will sie nicht als Lebenspartnerinnen gewinnen, aber heranzüchten will er schon etwas: Eine schöne Haut sollen sie haben. Die braucht er, um sich einen Frauenkörper zu nähen („Er fertigt sich ein Frauenkleid aus echten Frauen an.“) Auch hier geht es um den Wunsch eines Mannes, die perfekte Frau herzustellen. Mit der Pointe, dass er selbst diese Frau sein will.

In dieser Verweiblichung des Unterdrückers klingt ein Motiv an, das sich schon bei Rousseau findet und seinen Ursprung in übermäßiger mütterlicher Fürsorge hat. Die mache aus Söhnen verletzliche Zimperlinge, die später zu übertriebener Härte neigen. Priklopil wuchs ohne Vater auf; dieser starb, als er zehn war. Die Beziehung zur Mutter habe der 44-Jährige trotz seines Doppellebens gepflegt, heißt es. Sie kochte für ihn. Die Bemutterung wird für den Sohn oft zur Bedrohung, wie Hitchcocks „Psycho“ auf schauerliche Weise demonstriert. Als Vertrauter, Tröster, Ersatzmann glaubt der Sohnemann, die Launen der Mutter auffangen und in ihrem Sinne handeln zu müssen. Er sieht sich gefangen in dem Behütungskosmos, dessen Fesseln einer wie Norman Bates selbst durch Muttermord nicht zu lösen vermag.

Shaws Professor Higgins, der von einer dominanten Mutter bedrängt wird, sagt über sich: „Ich war nie imstande, mich wirklich erwachsen und groß zu fühlen wie andere Männer.“ Und doch sei seine Umgebung überzeugt, „dass ich ein herrischer, launenhafter Tyrann bin.“ Das ist kein Widerspruch. Der Psychologe Volker Elis Pilgrim („Muttersöhne“) ist überzeugt, dass der Vaterlose Männlichkeit nur wie eine Rolle ausfüllt. Er ist ein Männer-Darsteller, der sich im Extremfall für nicht zeugungsfähig hält und sich Kinder deshalb anders ,beschafft’. Die großen Menschenschlächter (Napoleon, Hitler, Stalin) und Triebtäter (Jürgen Bartsch, Ed Gain) waren Muttersöhne. Die Geborgenheit, in die sich Mamas Lieblinge zurücksehnen, findet im Folterkeller seine grimmig-verkehrte Entsprechung.

Kampusch hat gewiss Recht damit, dass ihre Beziehung zu Priklopil komplexer war als ein simples Täter-Opfer-Schema es glauben macht. Trotzdem zeigt ihre Androhung, sie werde voyeuristische Grenzüberschreitungen „ahnden“ („Wer das versucht, kann sich auf etwas gefasst machen“), auch einen Zug ins Herrische. Hier äußert sich ein zur Kompromisslosigkeit erzogener Mensch, eine Rapunzel, die zu bestimmen weiß, wer in ihren Turm darf und wer nicht.

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