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Ornament der Pinguine. Sebastião Salgados Fotografie entstammt den Großprojekt "Genesis".

© mauritius images / Mario Galati

Frankfurter Buchmesse 2019: Die Heiligkeit der Erde

Sebastião Salgado wird als erster Fotograf mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Die Laudatio hält Wim Wenders.

Wer glaubt, dass ein Fotograf sich von der Welt nimmt, was er sehen will, dürfte von Lélia Wanick Salgados Tränen überrascht sein. Die Frau des diesjährigen Friedenspreisträgers vergießt sie während der Dankesrede ihres Mannes, als dieser auf seine furchtbaren Erlebnisse während des Genozids in Ruanda zu sprechen kommt, Erlebnisse,die ihn in tiefe Depression stürzten und zu einem „gebrochenen Mann“ machten.

Nicht nur hatte er etwas gesehen, das er nie hatte sehen wollen. Er hatte auch seinen Glauben an die Menschen verloren, denen seine Zuneigung bis dahin gegolten hatte. War er nicht deshalb Fotograf geworden, um den Menschen mit aufrüttelnden Bildern zu helfen?

Der Horror, dass mehrere Zehntausend Menschen im Dschungel des Kongo einfach verschwinden und ebenso viele in Flüchtlingslagern an Hunger und Epidemien zugrunde gehen konnten, überstieg das Maß dessen, was Sebastião Salgado ertrug. Für wen sollte er noch Fotos machen? Wen hoffte er, mit seinen opulenten Aufnahmen zu berühren? Welchen Unterschied machte es, ob er da war oder nicht?

Der Genozid in Ruanda und die sich daran anschließenden Bürgerkriege waren für viele Reportagefotografen ein Nullpunkt. Die Tränen Lélia Salgados zeigen an diesem Sonntagmorgen in der Frankfurter Paulskirche, wie viel Kraft die Salgados brauchten, um nicht zu zerbrechen. Sebastião suchte sein Heil darin, die letzten Inseln menschlicher Herzlichkeit aufzusuchen – an Orten, an denen die Zivilisation ihr zerstörerisches Werk noch nicht vollbracht hatte.

Mit seinen Reisen zu indigenen Völkern im Amazonas-Dschungel begann er sein „Genesis“-Projekt. Diesem dritten seiner epochalen Werke – nach „Arbeiter“ und „Exodus“ – ist es wohl vor allem zu verdanken, dass er vom Deutschen Börsenverein für den Friedenspreis in Betracht gezogen wurde. Denn es ist nicht selbstverständlich, dass eine solche Ehrung, die meistens Intellektuellen vorbehalten bleibt, einem Fotografen zuteil wird.

Fotografen schreiben die Welt mit Licht und Schatten

Laudator Wim Wenders, der Salgado in seinem Oscar-nominierten Film „Das Salz der Erde“ (2005) porträtierte, hat zwar mögliche Zweifel mit der Bemerkung zerstreut, ein Foto-Graph sei nichts anderes als einer, „der die Welt mit Licht und Schatten immer wieder neu schreibt“. Was ihn zu einem Wesensverwandten des Literaten macht. Aber das kann man eben auch von James Nachtwey, Martin Parr, Giles Peress oder Raymond Depardon sagen, die nicht weniger aufrüttelnde Bilder an den Krisenherden der Menschheit aufgenommen haben.

Was also hat sich Sebastião Salgado verdient? Wim Wenders stellt seine bewegende Huldigung unter das große Wort Frieden. Das ist bei diesem Preis naheliegend, doch gibt es in der Tat eine Friedfertigkeit in Salgados Bildern, die durch das, was sie zeigen, oftmals nicht gerechtfertigt ist, sondern der „gelassenen Majestät“ entspricht, von der Martin Buber bei seiner Friedenspreisrede 1953 mit Blick auf die Tugendfigur des Friedens sprach. Salgados im Gegenlicht aufgenommenen Schwarzweiß-Fotos legen eine Art stillen Schleier in die Welt, den manche, wie Susan Sontag, als „verkitschtes Elend“ missverstanden haben.

Salgados Opulenz provoziert bis heute Kritik

Bis heute hält sich die Kritik an der Opulenz in Salgados Bilderwelt. Wenders rückt die Maßstäbe zurecht, wenn er die Fotos ein Entgegenkommen der Erde nennt, ein „Geschenk“ an Salgado, das der sich durch Zeit und Hingabe verdient habe. Schönheit sei nicht Verklärung, sondern eine Weise, ihm Achtung zu zollen. In diesem Gedanken steckt etwas von der katholischen Heilslehre, die Salgados Kindheit als Sohn eines Farmers im brasilianischen Norden geprägt hat.

Stimuliert von der Präsenz des „sprechenden“ Himmels, stellt Salgado das Schicksal Einzelner immer in größere Zusammenhänge – und als studierter Ökonom weiß er sie sachlich zu untermauern. Sein Breitwandblick ist der auffälligste Unterschied zu anderen Fotografen seiner Generation und der Grund, warum Wenders sagt: „Es kann keinen Frieden geben, ohne dass wir die Schönheit und Heiligkeit unserer Erde achten.“

Sonntagskind. Sebastião Salgado in der Paulskirche.
Sonntagskind. Sebastião Salgado in der Paulskirche.

© Reuters/Kai Pfaffenbach

Dass Salgado nicht verstummt ist wie viele seiner Kollegen nach den blutrünstigen Kriegen der 90er Jahre, dass er sogar daran ging, das Instituto Terra zu gründen, um in seiner von Waldrodungen verwüsteten Heimat fast drei Millionen Bäume anzupflanzen, zeigt eine weitere hervorstechende Eigenschaft: die anhaltende Liebe zu Menschen. Es geht dabei um eine andere Nähe als die, von der Robert Capa meinte, man sei einfach nicht nah genug dran gewesen, wenn ein Bild nicht die gewünschte Qualität habe.

Um welche Nähe es sich handelt, macht Salgado in seiner Danksagung deutlich, indem er die Menschen auferstehen lässt, denen er seine Bilder verdankte. Sein Streifzug durch die Stationen seiner Karriere wirkt wie der Traum eines Beladenen, der all jene vorbeiflanieren sieht, denen er begegnet ist. Die portugiesischen Bauarbeiter, die vor der Diktatur Salazars nach Nordfrankreich geflohen waren, die Opfer der Dürrekatastrophen der Sahelzone, die uralten Völker, deren verlassene Dörfer verfallen sind.

Er nehme den Preis, sagt Salgado, „für sie“ und „mit ihnen“ an. „Wir verstecken uns oft hinter der Kamera, um nichts zu empfinden“, hat der Pulitzerpreis-Gewinner Manu Brabo einmal gesagt. Eine Haltung, für die Salgado das Gegenbeispiel liefert. Er erklärt seine Faszination für entwurzelte Menschen gern damit, dass er selbst auch einer sei, vertrieben ins Exil, als die Militärdiktatur in Brasilien Ende der sechziger Jahre ihn mit der Möglichkeit konfrontierte, als linker Student eingesperrt und gefoltert zu werden.

"Genesis" ist kein romantisches Schwelgen in unberührter Natur

In seinem Bemühen, gesellschaftlichen Wandel zu dokumentieren, bevor es zu spät ist, hat er sich erst der industriellen Arbeitsgesellschaft zugewandt und dann, als er die Verheerungen erkannte, die mit der Zerstörung traditioneller Warenkreisläufe einhergingen, den großen Wanderungsbewegungen. Es gibt wohl keinen, der einen besseren Blick auf Fluchtursachen gewonnen hat.

Ein drittes Mal wollte er nicht zu spät kommen, sondern dem Wandel vorgreifen. Das macht sein zehnjähriges „Genesis“-Projekt zu einem so wichtigen Werk. Denn es schwelgt ja nicht etwa in der romantischen Sehnsucht einer vom Menschen unberührten Natur, wie manche meinen. Vielmehr zeigen die Bilder von Eisbergen, Urwäldern und ihren Bewohnern sowie von der afrikanischen Wildnis einen Rest der Welt, der vor den Folgen des Klimawandels unbedingt zu bewahren ist. In diesen glanzvollen Fotos gibt es keine Zerstörung, keinen Müll, keine Gefahr von Außen. Ob sie für unser Gedächtnis gemacht wurden oder für eine Zukunft, liegt in der Hand aller. Wim Wenders hat völlig Recht, wenn er den Frieden, den Salgado meint, als Ansporn zu „größeren Taten“ versteht.

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