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Erich Mielkes Privatbereich in seinem Büro in der Lichtenberger Ex-Stasizentrale.

© Kai-Uwe Heinrich

Frankfurter Buchmesse: Die Grünen und die Stasi: Konsequent inkonsequent

Was wusste die Stasi über die Grünen? Eine von der Partei initiierte Studie zeigt, wie der Nachrichtendienst von der anfänglichen Beobachtung zum Versuch überging, Einfluss zu nehmen.

Eine Liebesgeschichte war es wohl nicht gerade, aber die Grüne Petra Kelly hatte bei Honecker einen Stein im Brett. Aus einem von der Stasi abgehörten Telefonat wissen wir, dass Honecker ihr 1988 „väterlich“ ausrichten ließ, sie solle „sich nicht so aufregen. Sie soll mal an sich denken.“ Bei ihm durfte sich Petra Kelly seit ihrer ersten Begegnung 1983 einiges herausnehmen, bei der sie ihm im T-Shirt mit dem Symbol der DDR-Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ entgegengetreten war. Das Treffen war seine persönliche Entscheidung gegen das Votum der Staatssicherheit, die zuvor Kelly, Gert Bastian, Lukas Beckmann und Genossen bei ihrer spektakulären Friedensdemonstration auf dem Alexanderplatz am 11. Mai 1983 verhaftet, abgeschoben und unter Einreisesperre gestellt hatte. Aber in der DDR galt, wie Jens Gieseke und Andreas Bahr in ihrer Studie über die Stasi und die Grünen bekräftigen, die Unterordnung der Staatssicherheit unter die Politik der Partei.

Kellys Frauenmut vor Königsthron muss Honecker imponiert haben, wenn sie sich sogar leisten konnte, in einem Brief an ihn die Staatssicherheit herauszufordern: Im Januar 1985 beschwerte sie sich, „dass ich schon seit Längerem von einem ,Agenten’ der DDR-Staatsführung beschattet wurde“. Sie finde das „lächerlich, angesichts der Tatsache, dass grüne Politik transparent ist... Dieses Geld kann sich der Staatsrat der DDR sparen und sollte es lieber für sinnvollere Dinge ausgeben.“ Aber so weit ging die Liebe nicht. Für die Bearbeitung der Grünen wandte die DDR auch weiter erhebliche Mittel auf. Allein das zuständige Referat II/6 der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) verfügte „zuletzt über zwölf operative Mitarbeiter und hatte damit eine solide personelle Basis, um das kleine, aber bunte Spektrum zu beobachten.“

Die Stasi wollte Einfluss nehmen

Mit bloßer Beobachtung hatte es schon bald nicht mehr sein Bewenden. Wenn die Stasi die Grünen anfangs nur als Gefahr für die Wiederwahl der sozialliberalen Koalition beargwöhnte, sah sie nach ihrem Einzug in den Bundestag 1983 in der Partei einen bleibenden Faktor. Von da an suchte und fand die Stasi bei den Grünen und der Berliner Alternativen Liste „Innenquellen“, die aus dem Parteileben berichteten und als Einflussagenten ihren Kurs mitzubestimmen versuchten. Dass das eine gelang und das andere missglückte, ist das wichtigste Ergebnis der Studie, die von den Grünen selbst veranlasst wurde. Nicht alles darin, schreibt ihr politischer Geschäftsführer Michael Kellner im Vorwort, lese sich „rühmlich“. Das gilt besonders für die Berliner Alternativen, bei denen vor allem Dirk Schneider als Top-Agent „Ludwig“ Einfluss gewann.

Ihm gelang es, die DDR-Kritiker der grünen „Arbeitsgemeinschaft Berlin und Deutschlandpolitik“ zu vergraulen, die mit dem DDR-Exil um Jürgen Fuchs und Roland Jahn kooperierten und die DDR-Opposition unterstützten. Sie verließen die Alternative Liste 1988.

Trotzdem war schon früher der Versuch der Stasi gescheitert, die Grünen in die Bündnisstrategie der DKP und des von ihr inspirierten Komitees für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit (KOFAZ) einzubinden. Die Grünen hielten eine Zusammenarbeit in der Friedensbewegung zwar grundsätzlich für legitim, bestanden aber darauf, nicht nur NATO-Raketen, sondern auch sowjetische SS 20 zu kritisieren und sich mit der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR zu solidarisieren. Vergeblich setzte die SED auf ihre Kontakte mit Bastian und Kelly, während Erich Mielke bei einem Treffen mit dem KGB in Moskau andeutete, Kelly sei „vermutlich Agentin der CIA“. Umgekehrt hielten westliche Dienste Gert Bastian für einen möglichen Agenten der DDR. Für beides findet sich in den MfS-Akten kein Beweis.

Ungehemmter Wissensdrang

Dagegen mangelt es nicht an Beweisen für die Arbeit der wichtigsten Stasi-Agenten in der grünen Partei, obwohl die Akten einiger „Topquellen“ fehlen, die von der HVA vernichtet wurden. Die sichergestellte SIRA-Datei der Stasi verzeichnet mit Decknamen 441 Informanten, sowohl Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit wie deren „abgeschöpfte“ Gesprächspartner. Eindeutig identifiziert sind inzwischen nicht nur die Top Ten der vorliegenden Studie – darunter Dirk Schneider, Brigitte Heinrich, Claus Croissant, das afroamerikanische Ehepaar Pumphrey und zwei Doppelagenten, die schon für den südafrikanischen Geheimdienst und den persischen SAVAK gearbeitet hatten –, sondern auch zahlreiche, aus Datenschutzgründen nicht genannte Agenten aus der zweiten Reihe.

So ungehemmt der Wissensdrang der Stasi war, so schwankend war die von Honecker und dem ZK verordnete Linie im Umgang mit den Grünen. Zeitweise hatten alle der Stasi bekannten Mitglieder und Funktionäre der Grünen, immerhin 1700 Personen, Einreisesperre in die DDR, dann wieder wurden sie „nur“ observiert und bei Verdacht auf geplante Aktionen festgenommen und abgeschoben. Für solche Fälle standen am Grenzübergang stets mobile Observationstrupps zum Einsatz bereit. „Die eigentliche Grundkonstante der Einreisepolitik der SED gegenüber den Grünen“, heißt es, „war folglich ihre Inkonsistenz.“

Das Gleiche ließe sich über die Politik der Grünen sagen, die als „Doppelstrategie“ (Kelly) zwischen Gesprächsbereitschaft mit der SED und Unterstützung der DDR-Opposition schwankte, bis sich nach der deutschen Vereinigung West-Grüne und Bündnis 90 zusammenfanden – mit der für die Grünen bitteren Pointe ihrer Niederlage bei der ersten gesamtdeutschen Wahl, nach der sie nur durch die ostdeutschen Abgeordneten von Bündnis 90 im Bundestag vertreten waren. Umso rühmlicher ist ihre Bereitschaft, dieses Schattenkapitel der grünen Parteigeschichte durch unabhängige Wissenschaftler untersuchen zu lassen.

Jens Gieseke, Andrea Bahr: Die Staatssicherheit und die Grünen. Zwischen SED-Westpolitik und Ost-West-Kontakten. CH. Links Verlag, Berlin 2016. 336 Seiten, 30 €.

Hannes Schwenger

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