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Der flämische Autor Peter Terrin.

© Toni Garriga / picture alliance / dpa

Frankfurter Buchmesse: Peter Terrins "Monte Carlo": Menschen sind irrational

In „Monte Carlo“ erzählt Peter Terrin von der dramatischen Begegnung eines Automechanikers mit einer Filmdiva. Zum ersten Mal erscheint ein Roman des flämischen Autors auf Deutsch.

Der flämische Autor Peter Terrin, der 1968 im belgischen Tielt geboren wurde, ist hierzulande kaum bekannt. Das ist insofern nicht ganz nachvollziehbar, als Terrin schon seit knapp zwanzig Jahren Erzählungen und Romane schreibt, wie zum Beispiel „Kras“ (2001), sein Romandebüt, und „Blanco“ (2003), mit dem er in seiner Heimat den Durchbruch hatte und der zudem mit einem der mit 50 000 Euro höchst dotierten niederländischen Literaturpreise ausgezeichnet wurde, dem AKO-Literaturpreis. 2010 wurde er dann auch noch mit dem Europäischen Literaturpreis der EU ausgezeichnet.

Peter Terrin schreibt in niederländischer Sprache. Sein Duktus ist ein provozierend kühler und kalkulierter. Seine Geschichten beschreiben das alltägliche Leben und existentielle Grundfragen, und auch wenn er darin politische Themen aufgreift, versteht er sich selbst keinesfalls als politischer Schriftsteller. „In meinen Büchern versuche ich, Menschen zu verstehen, die ich eigentlich nicht verstehe“, sagte Terrin im Mai auf der Europäischen Schriftstellerkonferenz in Berlin. Dort war seine Anwesenheit ein besonderes, durchaus polarisierendes Ereignis, denn seine unsentimentalen Thesen und seine Konzentration aufs schriftstellerische Werk standen in einem auffälligen Gegensatz zu den wohlfeilen politisch-engagierten Ambitionen seiner Kollegen. Genauigkeit und Klarheit im Beschreiben sind für Peter Terrin die Aufgaben der Literatur, aber nicht unbedingt Parteinahme und Empathie für die Entrechteten dieser Welt.

Ort des Geschehens ist Formel-1-Rennen in Monte Carlo

„Wir vergessen, dass die Menschen irrational sind. Als müssten wir sie mit Vernunft impfen", sagte er in Berlin auf der Schriftstellerkonferenz. Auch Rechtsradikale, auch religiöse Fundamentalisten müsse man in diesem Sinne „verstehen“ und also genau beschreiben. Das heißt ja nicht, sie zu tolerieren.

Nun gibt es zum ersten Mal einen Roman von Peter Terrin auf Deutsch. „Monte Carlo“ handelt von der dramatischen Begegnung des englischen Automechanikers Jack Preston mit einem weiblichen Filmstar. Der Ort des Geschehens ist die Boxengasse des Formel-1-Rennens von Monte Carlo im Mai 1968. Eine Benzinpfütze auf dem Asphalt entzündet sich genau in dem Moment, als die schöne Deedee mit ihren schönen Beinen und ihrem schönen Gesicht vorbeikommt, um sich dem monegassischen Fürsten zu nähern. Einen winzigen Moment lang glaubt Jack Preston, sie meine ihn und lächle ihm zu. Deedee wäre vermutlich nicht ohne schwere Verbrennungen und höchstwahrscheinlich nicht einmal mit dem Leben davongekommen, wenn er sich nicht auf sie geworfen hätte, um sie und ihre Schönheit zu schützen und für die Welt zu retten.

Die Geschichte einer manischen Fixierung

Mit fürchterlichen Brandwunden liegt der Mann danach im Krankenhaus (auf dem Bauch, anders geht es nicht, der Rücken ist ein einziger Schmerz) und hofft auf ihren Besuch, auf ihre Anteilnahme. Doch Deedee hat ihn nicht wahrgenommen und erklärt stattdessen ihren Leibwächter zum Lebensretter. Jack kehrt in sein Dorf nach England zurück und gilt dort zunächst als Held.

Doch die Leute zweifeln immer mehr an seiner Geschichte. Und als Deedee im Fernsehen auftritt zu einem großen Interview und ihn auch da nicht erwähnt, schlägt die Stimmung um: Der brave Automechaniker Jack Prestton gilt als Aufschneider, als Lügner, als eine lächerliche Figur. Seine Verbrennungen hat er wohl der eigenen Dummheit zuzuschreiben, warum sonst hätte der Formel-1-Rennstall ihn anschließend entlassen?

Peter Terrin erzählt diese Geschichte in zahlreichen kleine Sequenzen, wie Schnappschüsse wirken sie. Jack Prestons Biografie ist aus Fragmenten zusammengesetzt und schon deshalb in verschiedene Richtungen ausdeutbar. Es ist die Geschichte einer manischen Fixierung, die davon handelt, wie ein Mensch der eigenen Heldentat verfällt – für die er nichts kann, weil sie sich ganz instinktiv vollzog. Doch er kann an nichts anderes mehr denken als an die schöne Diva, die er liebt, vielleicht nur deshalb, weil er in ihr seine Tat liebt.

Hoffentlich bald mehr von Terrin in deutscher Übersetzung

Oder weil er immer noch glaubt, dass sie ihn „gesehen“ hat? In dieser Verfallenheit, die schließlich, nach kurzem sexuellen Rausch auch seine Ehe zerstört, zeigt sich das Irrationale, dem Peter Terrin nachspürt. Kein Zweifel: Jack ist eine tragische Figur. Was Wahrheit ist, welche Bedeutung ein einzelner Moment im Leben haben kann, davon handelt dieser kleine, schön leise erzählte Roman als Kammerspiel innerer Vorgänge.

Die Gesellschaft in ihrer rohen Missachtung ist nur ein Spiegel, der den dramatisch an seinen Hoffnungen und seinem Begehren zugrunde gehenden Helden auf sich zurückwirft. „Monte Carlo“ ist eine kleine Kostprobe des Könnens eines hochtalentierten flämischen Schriftstellers, von dem es hoffentlich bald mehr in deutschen Übersetzungen zu lesen gibt.

Peter Terrin: Monte Carlo. Roman. Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby und Herbert Post. Berlin Verlag, Berlin 2016, 192 S., 18,- €

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