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Nach der ausgefallenen Ausgabe vom vergangenen Jahr konnte die Messe nun wieder Publikum empfangen.

©  Sebastian Gollnow/dpa

Frankfurter Buchmesse: Wiedersehensleid am Main

Ein Boykott und ein rechter Verlag bestimmten die Frankfurter Buchmesse. Ansonsten gab es viel Platz, gute Nachrichten und zahlreiche Gespräche.

Ob man in diesen Tagen in Frankfurt die Zukunft der Buchmesse gesehen hat? Kleiner, überschaubarer, kompakter, leerer – und trotzdem wie gehabt im Mittelpunkt medialer Aufmerksamkeit, die sowieso kein analoges Monsterevent mehr braucht.

Es mutete jedenfalls merkwürdig an, am Einlass die düstere Nebenhalle mit den vielen nicht benötigten Absperrgittern zu passieren, durch die geöffneten Messehallen 3 und 4 zu schlendern und Menschen zu treffen, die man zwei Jahre nicht gesehen hatte, auf Abstand und mit Maske, versteht sich – und all das in einer heruntergedimmten, vordergründig unaufgeregten Atmosphäre.

Der Jungeuropa Verlag hat seinen Stand neben dem Blauen Sofa des ZDF

Wohlfühloase Messehallen – und einen Platz in den plötzlich so vielen Restaurants gab es mittags auch immer. Dazu hätte gepasst, dass es bei den guten Nachrichten geblieben wäre, die zum Beispiel die Karin Schmidt-Friderichs bei der Eröffnungsfeier verkündete. Die Börsenvereinsvorsteherin schwärmte von der „Resilienz“ der Buchbranche während der Pandemie und den Lockdowns, von ihrer Kreativität, Lebendigkeit und Anpassungsfähigkeit, ihrem Ideenreichtum. Und sie konstatierte frei von sprachlichem Ideenreichtum: „Bücher geben Halt und Überblick in volatilen Zeiten.“ Oder: „Bücher sind Lebensmittel“.

Auch den Papiermangel, die Lieferengpässe und gestiegenen Papierkosten und die damit verbundenen Preiserhöhungen auch für Bücher wollte Schmidt-Friderichs nur als vorübergehendes, moderates Problem betrachten. Also auch hier: Wohlfühlen, pure Freude darüber, sich wiederzusehen nach zwei ausgefallenen Leipziger Buchmessen und einer in Frankfurt.

Doch hatte nicht die Schriftstellerin Antje Rávik Strubel in ihrer Dankesrede zum Deutschen Buchpreis von „zänkischen Zeiten“ gesprochen, in denen wir lebten? Das bekam die so wiedersehensselige, reconnectete Frankfurter Buchmesse gleich zu ihrem Beginn zu spüren, als Autorin und Aktivistin Jasmina Kuhnke, die sich selbst als „afrodeutsche Serbokroatin oder serbokroatische Afrodeutsche“ bezeichnet, ihre Auftritte bei der Messe abgesagt hatte.

Sie fürchtete um ihre Sicherheit aufgrund der Präsenz von drei rechten Verlagen, insbesondere der des Jungeuropa Verlags. Dieser wird von dem Rechtsextremisten Philip Stein geleitet und durfte in der Halle 3.1. seinen kleinen Stand direkt neben dem Blauen Sofa des ZDF aufschlagen.

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Damit hatte die Messe ihr Thema, ein aus den Jahren 2017 und 2018 bekanntes (ja, „Welcome back“ hieß eines der zahlreichen Messe-Mottos). Der Boykott Kuhnkes bestimmte die Gespräche, ihm schlossen sich die Absagen weiterer Autorinnen und Autoren wie Nikeata Thompson, Annabelle Mandeng und Riccardo Simonetti an.

Auch bei dem die Messe begleitenden Lesefest „Open Books“ fielen die Veranstaltungen des Schriftstellers Matthias Nawrat, der Soziologin Katharina Hoppe und der Journalistin Ciani-Sophia Hoeder aus, nachdem diese sich mit Kuhnke solidarisiert hatten. Hoeder ließ über ihren Verlag ein Statement verschicken, dem sich zahlreiche Autorinnen und Autoren unterzeichnend anschlossen. Es wäre wichtig, so Hoeder darin, „dass die Frankfurter Buchmesse ihre politische Strahlkraft als Vertretung einer weißen Mehrheitsgesellschaft ernst nimmt und für eine diverse Gesellschaft eintritt, in der auch BIPoC und jüdische Menschen gehört, ernst genommen und willkommen geheißen werden.“

Unter Verweis auf die von der Messe als Begründung für die Zulassung des Jungeuropa-Verlags in Anspruch genommene Meinungsfreiheit heißt es dann in dem Hoeders Aussage beigestellten Statement aller Unterzeichnenden: „Meinung hört da auf, wo sie das deutsche Grundgesetz verletzt. Rechtsradikalität ist keine Meinung. Rassismus ist keine Meinung. Antisemitismus ist keine Meinung. (…)“.

Die Verlage sind Kunden, sie bezahlen für die Standfläche

Auf einer Diskussionsrunde über „Schreiben und Cancel Culture. Ist die Kunstfreiheit in Gefahr?“ in der Festhalle sagte wiederum die Schriftstellerin Jagoda Marinik zu der Boykott-Causa, nachdem ihr via sozialer Medien wegen ihrer Teilnahme an der Messe fehlende Solidarität vorgeworfen worden war: „Ich finde es nicht gut, zu einem Boykott gegen die Buchmesse aufzurufen, weil wir gemeinsam reden müssen, weil wir hier unsere Ideen vertreten müssen.“

Nun kann man der Frankfurter Buchmesse einiges an Wurschtigkeit vorwerfen, was ihren Umgang mit rechten Verlagen betrifft. Auf der Messe hieß es, der Jungeuropa-Stand sei deshalb neben dem Blauen Sofa platziert worden, um ihn besser im Blick haben zu können wegen der Aufmerksamkeit, die das ZDF-Sofa generiert; Jürgen Boos sah einige Wochen vor der Messe noch gar niemand „aus diesem Spektrum“ im Ausstellerverzeichnis; auch Susanne Dagens Buchhaus Loschwitz inmitten der unabhängigen Verlage zu platzieren, ist ein Politikum.

Allerdings war die Teilnahme der drei rechten Verlage nicht erst seit dem Beginn der Messe bekannt, das hätte man im Verzeichnis der Aussteller lange vor der Messe nachlesen können. Das größte Problem mit den rechten Verlagen ist, dass ihnen ein Messestand nicht einfach so verwehrt werden kann, sie nicht „ausgeladen“ werden können. Messen sind öffentliche Veranstaltungen, sie unterliegen der Grundrechtsbindung.

Tatsächlich gilt in ihrem Fall die durch das Grundgesetz gewährte Meinungsfreiheit – solange keine strafbare Inhalte vorliegen. Die Erfahrung, dass rechte Verlage nur schwer bis gar nicht auszuschließen sind, hatte man während der Leipziger Buchmesse 2018 nach den Antaios-Tumulten zuvor in Frankfurt machen müssen, als die Fraktion der Linken im Leipziger Stadtrat beantragte, dass die Stadt als Mitgesellschafterin der Messe rechten Verlagen die Teilnahme untersagen solle. Der Antrag wurde aus juristischen Gründen und mit Verweis auf die Bestimmungen im Grundgesetz abgelehnt.

Die Verlage sind Kunden, sie bezahlen für die Standfläche. Würden sie von der Messe nicht zugelassen, könnten sie das gerichtlich klären lassen. Dann ginge es auch darum, ob ihre Bücher gegen Gesetze verstoßen und verfassungswidrig sind. Auch hier gilt: Würde sich ein rechter Verlag vor Gericht eine Teilnahme erstreiten, wäre der Werbeeffekt immens – so wie die Boykotte leider auch den Jungeuropa Verlag mit seinen Gruselpublikationen bekannter gemacht haben als er vor dieser Messe war.

Die beiden Buchmessen werden sich etwas überlegen müssen, das Thema rechte Verlage dürfte sie in den kommenden Jahren verschärft begleiten – ganz unabhängig davon, ob sie jemals wieder zu präpandemischer Herrlichkeit zurückkehren. Der größte Erfolg dieser Frankfurter Buchmesse wäre es vermutlich, würde sie der Link gewesen sein zu einer wieder umfangreicheren Messe im kommenden Jahr.

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