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Kultur: Franz Biberkopf kehrt zurück

Fassbinders BERLIN ALEXANDERPLATZ kommt jetzt ins Kino. Mit einer Gala wird die Restaurierung gefeiert

Es wird ein Gipfeltreffen besonderer Art: Hannah Schygulla, Barbara Sukowa, Elisabeth Trissenaar, Gottfried John und natürlich Günter Lamprecht. All die schönen Fassbinder-Frauen, die elegante Eva, die unschuldige Mieze, die polnische Lina, dazu der aasige, unheilbringende Reinhold – und Franz Biberkopf, diese massige, halb brutale, halb naive, längst legendäre Gestalt. Auch kommen Juliane Lorenz, Fassbinders letzte Lebensgefährtin und langjährige Cutterin, heute Leiterin der Rainer Werner Fassbinder Foundation, sowie Kameramann Xaver Schwarzenberger. Peer Raben aber, Fassbinders wunderbarer Filmkomponist, kann nicht mehr dabei sein, er starb vor einigen Wochen. Fassbinder selbst ist 25 Jahre tot.

„Berlin Alexanderplatz: Remastered“ heißt es heute im Admiralspalast, wenn die restaurierte Version von Fassbinders Fernsehepos vorgestellt wird. Max Raabe und sein Palastorchester begleiten durch den Abend, Kulturstaatsminister Bernd Neumann hält das Grußwort. „,Berlin Alexanderplatz’ ist die größte Attraktion von deutscher Seite dieses Jahr“, rühmt Berlinale-Chef Dieter Kosslick – bei rund 60 deutschen Produktionen im Programm.

Es ist ein Jahrhundertunterfangen: 15 1/2 Stunden dauert Fassbinders Mammutfilm, wenn man ihn am Stück zeigt, zum Beispiel am Sonntag in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz – die längste Filmdarbietung in der Geschichte der Berlinale. 13 Millionen Mark kostete die Fernsehproduktion. 60 Personen umfasste das Team, 97 Rollen sah das Drehbuch vor, 6000 Komparsen spielten mit. 1,4 Millionen Euro verwandten die Bavaria, die Bundeskulturstiftung und andere Sponsoren nun für die Wiederherstellung des Films. Am 10. Februar soll eine DVD-Edition erscheinen. Und ab 17. März sind alle 14 Teile in einer Ausstellung der Kunst-Werke parallel zu sehen.

Noch heute schwärmt die 49-jährige Juliane Lorenz von den Dreharbeiten: ein Jahr lang Arbeiten wie im Rausch, jeden Tag ab neun, immer nur eine Einstellung, am selben Tag noch geschnitten und am Abend besichtigt. Lorenz selbst, damals 23, war „naiv und unbedarft“, an Mut und Energie mangelte es ihr nicht: „Widerstand hat mich immer stärker gemacht.“ Auf was für ein Abenteuer sie sich eingelassen hatte, war ihr trotz sieben vorheriger Fassbinder-Produktionen wohl nicht klar gewesen: „,Berlin Alexanderplatz’ war meine Doktorarbeit“, sagt sie heute. „Für Fassbinder war es die Professur.“

Doch 1980 war die Zeit wohl noch nicht reif: Das WDR-Prestigeprojekt, als Straßenfeger geplant, stieß bei der Ausstrahlung von Oktober 1980 bis Januar 1981 in der Öffentlichkeit auf heftige Kritik, aus technischen Gründen. Viele Passagen seien so dunkel, dass man kaum etwas erkennen könne, lautete die Kritik, die Einschaltquoten sanken von 27 auf 11 Prozent. Ein Problem der Ausstrahlung, erklärt Juliane Lorenz heute: „Die Fernsehübertragung war zur damaligen Zeit einfach noch nicht adäquat: Man hat direkt von der Kopie gesendet. Außerdem hatten die Leute zu einem Großteil noch Schwarzweiß-Fernseher, da konnte man erst recht nichts mehr erkennen.“ Auch die professionelle Kritik war verhalten: „Belanglos, kleinkariert, manieristisch“ hätten die meisten Kritiker den Film nach der zweiten oder dritten Episode gefunden, schrieb Michael Stone im Tagesspiegel – um dann zu einer Hymne anzuheben: „Kann man sagen, dass Fassbinder gelungen ist, woran schon Dante scheitern musste und Breughel und Hieronymus Bosch? Nein, auch ihm ist es nicht gelungen, die Schreckensvision einer Menschheit am Rande des Abgrunds, die panische Hilflosigkeit des einzelnen angesichts einer scheinbar unaufhaltsamen Motorik der Vernichtung, dem Zuschauer ins Zentrum seines Bewusstseins zu projizieren. (...) Aber Fassbinders Niederlage ist größer als jeder Sieg, er hat uns an den Abgrund geführt, in den er selber schon hineingeblickt haben muss.“

In diesen Abgrund blickt auch Biberkopf (Günter Lamprecht), wenn er zu Beginn des ersten Teils (auf der heutigen Gala werden Teil 1 und 2 gezeigt) aus dem Zuchthaus Tegel entlassen wird. Hier drinnen, im Gefängnis, die reglementierte Zeit – da draußen, jenseits des Gefängnistors, die wilde, verlockende Welt. Wie ein Ertrinkender klammert sich Biberkopf ans Tor, krümmt sich zusammen und bricht in einen verzweifelten Schrei aus. Muss sich vom Aufseher Mut machen lassen, mit zweifelhaften Ratschlägen: „Sieh’ dich nicht um, wenn du weggehst. Wer sich umsieht, kommt wieder zurück. Doch die anderen zumeist auch.“

Damit ist die Richtung von Döblin schon vorgegeben: Wie Franz Biberkopf in einem fiebrigen Zickzackkurs zwischen Kriminalität und Ehrlichkeit hin- und herschwankt, wie er den Nazis in die Fänge gerät und schließlich an Liebe, Freundschaft und der Welt verzweifelt, davon erzählen die 14 Episoden. Ein Schicksal, so Juliane Lorenz, das heute aktueller sei denn je: „Bei der Dialogzeile ,Weißt du, wie viel Arbeitslose es in Berlin gibt?’ haben wir 1979 nur mit den Schultern gezuckt: ,Was sind denn Arbeitslose?’. Heute klingt das geradezu unheimlich: Es gibt so viele Biberköpfe auf der Welt.“

Gala: Heute ab 20 Uhr Admiralspalast, Karten (49 €) unter www.admiralspalast.de. Gesamtschau: So 11. 2., ab 10 Uhr, Volksbühne. Wiederholungen (Cinemaxx 4): 12.-18. 2., jeweils 18.30 Uhr

Christina Tilmann

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