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Zwischen Senegal und Frankreich. David Diop.

© Fugaces/Alice Joulot

Französische Kolonialgeschichte: Rache der Machete

Als Senegalese im Kampf für Frankreich: David Diop begibt sich in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs.

Schon viel länger und heftiger als in Deutschland wird in Frankreich über die koloniale Vergangenheit debattiert. Teil dieser Geschichte ist es, dass Frankreich in beiden Weltkriegen Soldaten aus den afrikanischen Kolonien einsetzte. Im Ersten Weltkrieg waren diese als „Senegalschützen“ bekannt, auch wenn sie aus ganz Westafrika stammten. Die Geschichte dieser rund 180 000 Männer liegt im europäischen Halbdunkel. Woher kamen sie, und was erlebten sie auf den Schlachtfeldern?

David Diop, 1966 in Paris geboren und im Senegal aufgewachsen, geht dieser Frage in seinem Roman „Nachts ist unser Blut schwarz“ nach. Wenn ein Literaturwissenschaftler wie er, der an der Universität Pau in den Pyrenäen französischsprachige afrikanische Literatur unterrichtet, etwas nacherfindet, was ihm in der Literatur fehlt, könnte man Schlimmes befürchten. Aber sein ebenso schmaler wie gewaltiger Roman füllt die Lücke mit Bravour.

Alfa Ndiaye, ein junger Mann aus dem Senegal, findet sich mit seinem Freund Mademba Diop an der Front wieder, im Grabenkrieg zwischen den Franzosen, den „Toubabs“, und den Deutschen, dem „blauäugigen Feind“. Im Niemandsland sind die beiden aufeinander angewiesen. Als Mademba dort einen ganzen Tag lang verblutet, fleht er Alfa an, sein Elend zu beenden. Aber der verwehrt ihm diese Bitte dreimal. Mit der Leiche seines Freundes zurück im Schützengraben, ist er ein anderer geworden, einer, der, wie er selbst sagt, angefangen hat zu denken.

Wahnsinn oder Klarsicht?

Dieses Denken ohne moralischen Haltegriff offenbart sich im inneren Monolog des wahnsinnig gewordenen Alfa Ndiaye. Oder ist er der Einzige, der klar sieht? „Sie hielten mich für einen Dummkopf, aber das bin ich nicht.“ Seine erste Erkenntnis ist, dass die vermeintliche Humanität, seinem leidenden Freund beim Sterben nicht geholfen zu haben, eine tiefe Inhumanität verbirgt. Er befreit sich von den inneren Fesseln derjenigen, die die Definitionsmacht in Sachen Humanität beanspruchen, den „Toubabs“, aber auch von den Autoritäten seiner Heimat, und setzt seine eigene dagegen.

Er beginnt einen grausamen Rachefeldzug gegen den Feind, den seine Kameraden erst mit Triumphgeheul, dann mit Entsetzen registrieren. Alfa quält und verstümmelt die Soldaten, die er tötet. Inmitten der industriellen Grausamkeit entfesselt er seine eigene Grausamkeit und benutzt dafür die Armee-Machete.

Diop macht es seinen Leserinnen und Lesern nicht leicht. Die innere Stimme seines Helden wird von Formeln und Fixierungen auf wiederkehrende Bilder geprägt, ein Versuch, inmitten des permanenten Schreckens Halt zu suchen. Aber bevor man der Brutalität überdrüssig wird, wendet sich die Erzählung vom unmittelbaren Kriegsgeschehen ab und der Erinnerung zu.

Das Glück der Heimat ist verloren

Der „Schokosoldat“, der koloniale Andere, der für Frankreich töten und die Machete schwingen darf, ist nun der pathologisierte Andere, untergebracht in einem Lazarett für psychisch kranke Soldaten. Hier, in der räumlichen Distanz, kann er auch innerlich von der Unmittelbarkeit des infernalischen Grabenkriegs lassen. Die gepeinigte Seele kommt ein wenig zur Ruhe. Alfa Ndiayes Herkunftsregion Gandiol an der Mündung des Senegalflusses wird dabei nicht idealisiert, sie kennt Konflikte und Verwerfungen. Die schöne Fary Thiam, die Freundschaft mit Mademba Diop, die religiösen und sittlichen Regeln der Gesellschaft, die Arbeit auf den Feldern, die Trauer um die verlorene Mutter, die ihn zu den Soldaten bringen wird: Alles, was sein Leben ausgemacht hat und nun für ihn untergegangen ist, ergibt nun keinen Sinn mehr.

Als Franzose und Senegalese ist David Diop selbst an der Trennungs- und Verbindungslinie unterwegs, über die er schreibt. Er nimmt aber auch die nötige Distanz ein, wenn er nicht die Perspektive des kleinen, sprachbegabten Mademba Diop, sondern die des starken, aber im Denken unbewanderten Alfa Ndiayes einnimmt. Dass er aus der Perspektive des senegalesischen Soldaten beschreibt, wie ihn seine Waffenbrüder und Vorgesetzten sehen, ist ein Verdienst. Dass er mit derselben Sprache, die sich an der Fronterfahrung abarbeitet, Gandiol erstehen lässt, erst das macht diesen Roman zu dem bewegenden Buch, das es geworden ist. Hans-Christian Riechers

David Diop: Nachts ist unser Blut schwarz. Roman. Aus dem Französischen von Andreas Jandl. Aufbau Verlag, Berlin 2019. 160 Seiten, 18 €.

Der Autor tritt am Sonntag, den 15.9., um 18 Uhr im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals Berlin in der James-Simon-Galerie auf.

Hans-Christian Riechers

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