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Virtuose an der Harfe. Emmanuel Ceysson und sein Instrument.

© Nir Arieli

Französische Musik im Radialsystem: Mélodies d’amour

Viel zu entdecken: Das Festival Palazzetto Bru Zane im Radialsystem feiert die Vielfalt der französischen Musik des 19. Jahrhunderts.

La Belle Epoque in Paris: Da entfaltet sich vor dem inneren Auge sofort ein ganzes Bilderpanorama. Der Eiffelturm, Sacré-Cœur, Kaufhäuser als Luxustempel, Le Moulin Rouge, palastartig auftrumpfende Wohnhäuser an den breiten Boulevards, die bevölkert sind von Herren mit Zylinder und Gehrock sowie Damen, die ausladende Hüte tragen zu vielfach gerafften, rüschenbesetzten Roben. Und alle sind auf dem Weg zur frisch eröffneten Oper, dem Palais Garnier, das außen wie innen genauso überbordend geschmückt ist wie die eleganten Flaneure.

Wie aber klang diese goldene, dekadente Zeit? Das erforscht seit acht Jahren das im venezianischen Palazzetto Bru Zane beheimatete „Centre de musique romantique française“. Als Stiftung einer Unternehmerwitwe ins Leben gerufen, arbeitet hier ein Team von Musikwissenschaftlern daran, den Soundtrack jener glorreichen Jahrzehnte wieder zum Klingen zu bringen, als Paris die Welthauptstadt des Vergnügens und der schönen Künste war. Bei einem Kompakt-Festival im Radialsystem am Ostbahnhof stellt der Palazzetto jetzt sich und seine Forschungsergebnisse vor. Nicht in theoretischer, sondern in praktischer Form, mit vier Konzerten, die „das lange 19. Jahrhundert“ umfassen, wie der Historiker Eric Hobsbawn die Zeit zwischen der Französischen Revolution und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs definiert.

Viel gibt es da zu entdecken, selbst eingefleischten Klassikkennern dürften Komponistennamen wie Fernand de la Tombelle, Cécile Chaminade, Charles Valentin Alkan oder Felicien David wenig sagen. Weil aber in der französischen Musik stets die „Du sollst nicht langweilen“-Regel galt, weil es – wie in der Literatur auch – als höchste Tugend galt, stets Esprit zu zeigen, auch bei ernsten Themen, besteht selbst bei den obskursten Werken kaum Gefahr, dass sich der Hörer langweilen könnte.

Geschliffene Beiträge zum Geschlechterkampf

Schon gar nicht, wenn es um die Tradition des Café-Concerts geht. Mit Wiener Kaffeehauskultur hat das nichts zu tun, in diesen Vergnügungsetablissements saß das Publikum trinkend und essend an langen Tischen, während auf der Bühne ein Orchester die Darbietungen von Chansoniers und Chansonette begleitete. Hier amüsierte man sich jenseits der strengen Sittenregeln der Zeit, die Couplets kreisten um politische oder erotische Themen, die Texte waren mindestens doppeldeutig, die Melodien gassenhauerhaft.

Maler wie Toulouse-Lautrec, Degas und Manet haben das tolle Treiben der Café-Concerts festgehalten, die Sopranistin Narma Nahoum und die Mezzosopranistin Marie Gautrot testen nun am 2. Dezember die heutige Wirksamkeit des Genres. Und zwar unter dem wunderbaren Wortspieltitel „Les fleurs du mâle“. Im Französischen klingt das fast so wie der Titel von legendärer Charles Baudelaires Gedichtsammlung „Blumen des Bösen“. Nur dass aus dem „mal“, dem Bösen, hier das „mâle“ geworden ist, das Männliche. Da darf man also einige geschliffen Beiträge zum Geschlechterkampf unterhalb der Gürtellinie erwarten.

Zum Auftakt am Freitag geht es seriöser zu. Dann widmet sich das neugierige Mandelring Quartett den französischen Beiträgen zur edelsten Form kammermusikalischer Kommunikation. Große Ehrfurcht flößte natürlich auch westlich des Rheins das übermächtige Vorbild Beethoven den Komponisten ein. George Onslow, als Sohn eines in die Auvergne ausgewanderten englischen Adligen nicht auf den Broterwerb durch seine Kunst angewiesen, wagte sich als einer der ersten auf das typisch deutsche Terrain, die Avantgardisten der Jahrhundertwende Ravel und Debussy sahen ihre Quartette als Karrierehöhepunkte an.

Enfant terrible an der Harfe

Als genuin französisch gilt die Harfe: Beliebt in den Salons ebenso wie in den Opernhäusern, entstand im 19. Jahrhundert ein enormes Repertoire, dem sich der Virtuose Emmanuel Ceysson am Samstag widmet. Als enfant terrible wird der 32-Jährige, der an der New Yorker Metropolitan Opera engagiert ist, angekündigt – was aber nicht darauf hindeuten soll, dass er auf der Bühne rockstarmäßig sein Instrument zertrümmern könnte. Sondern, dass er sich auch an Stücke herantraut, die rein technisch als unspielbar gelten.

Unter dem etwas unglücklich aus dem Französischen übersetzen Titel „Auf, auf! Jetzt wird getanzt“ steht das Finale am Sonntag. Pianist Philippe Bianconi flüchtet sich dann zusammen mit spätromantischen Komponisten wie Camille Saint-Saëns aus dem anschwellenden Lärm des Industriezeitalters zurück in die Welt des Barocks, als man Bourrées und Gigues tanzte. Aber auch polnische Mazurken, italienische Barcarolen oder gar einen „kanarischen Walzer“ aus der Feder französischer Komponisten hat er im Gepäck. Das Angebot der Pausenbar übrigens, so hat es Radialsystem-Chef Folkert Uhde im Vorfeld versprochen, wird extra für das Festival frankophil erweitert: um Absinth.

Mehr zum Festival unter www.radialsystem.de sowie zur Arbeit des Palazzetto unter www.bru-zane.com

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