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Volksnah. Das Le-Pen-Double Agnès Dorgelle (Catherine Jacob).

© Alamode

Französischer Film „Das ist unser Land!“: Marseillaise mit schiefen Tönen

Alte Nazis in neuen Kleidern: Lucas Belvaux’ Politdrama „Das ist unser Land!“ über den Aufstieg des Rechtspopulismus in Frankreich.

Kurz vor dem Ende stehen sie gemeinsam im Fußballstadion und singen Arm in Arm die „Marseillaise“: die Krankenpflegerin Pauline (Émilie Dequenne), ihre beiden Kinder, ihr Geliebter Stéphane (Guillaume Gouix), ein rechtsextremer Gewalttäter, und Paulines Vater (Patrick Descamps), ein Kommunist alter Schule. Auch eine Regionalhymne wird angestimmt: „Im Norden standen Bergarbeitersiedlungen / Die Erde war voller Kohle …“ Noch ein paar Selfies in rot-gelber Fan-Kluft, ein Heimsieg für den R.C. Lens. Der Familienausflug ins Stadion scheint ein Erfolg zu sein. Kollektive Rituale stiften Gemeinsamkeiten, die so eigentlich nicht mehr existieren.

Das Singen der Nationalhymne hat in Lucas Belvaux’ Politdrama „Das ist unser Land!“ mehrere Referenzen. Der belgische Regisseur beruft sich zum einen auf eine frühere Szene, in der auf einer Wahlkampfveranstaltung der fiktiven Partei „Nationale Volksbewegung“ bereits die „Marseillaise“ angestimmt wurde – nach einer rassistischen Brandrede der Parteichefin Agnès Dorgelle (Catherine Jacob), die optisch und biografisch unverkennbar Marine Le Pen nachempfunden ist. Durch den politischen Kontext ist das Lied hier seiner historischen Bedeutung entrückt, erscheinen Verse wie „Unreines Blut / Tränke unsere Furchen“ in der Nähe rechtsradikaler Rhetorik. Damit setzt der Film zum anderen einen Kontrapunkt gegenüber der filmhistorisch gängigen Verwendung der „Marseillaise“ als Freiheitshymne – am bekanntesten wohl in „Casablanca“.

Manipulative Verführer, blauäugige Verführte

Solche Diskurse bleiben in „Das ist unser Land!“ jedoch eine Seltenheit. Stattdessen wird das Thema des Rechtspopulismus in langen Dialogszenen und uninspirierten Schuss-Gegenschuss-Abfolgen behandelt. Der Film erzählt die Geschichte der Krankenpflegerin Pauline, die für die rechte Partei angeworben wird, um als unmündige Marionette ins Rathaus einer nordfranzösischen Kleinstadt einzuziehen. Belvaux gibt sich wenigstens anfangs noch Mühe, das soziale Umfeld zu beschreiben, in dem der Front National seit Jahren Zuspruch erntet: Eindrücke einer verkümmernden, ehemaligen Industriestadt, das Autoradio berichtet von hoher Arbeitslosigkeit, prekären Löhnen und Altersarmut. Minderheiten leben am Stadtrand und sind allein deshalb schon dem Vorwurf der „Parallelgesellschaft“ ausgesetzt. Die fiktive Partei im Film ist offensichtlich an das reale Vorbild angelehnt, wie der Front National gibt sie sich einen betont bürgerlichen Anstrich.

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Zu erzählen, dass in den neuen Kleidern zum Teil die alten Neo-Nazis stecken, ist ein Anliegen von Belvaux. Ein anderes erklärt er im Interview: Er wolle aufzeigen, wie Politik als Marketinginstrument verwendet wird und Bürger und Wähler wie Kunden behandelt. In der Skepsis gegenüber dem „Marketing“ in der Politik – was sonst wäre Politik, wenn nicht ein Markt der Ideen? – drückt sich eine Theorie aus, die bereits für andere autoritäre Bewegungen kaum brauchbar war: die der manipulativen Verführer und der blauäugig Verführten. Die Partei-Elite plant den „volksnahen“ Wahlkampf in sterilen Apartments über Paris; die Bürgermeisterkandidatin, nach eigenem Bekunden „eher links“, kennt nicht einmal das Wahlprogramm.

„Wer erfüllt heute die Funktion, die früher die Kommunistische Partei innehatte?“, fragt Didier Eribon in seinem Buch „Rückkehr nach Reims“ und beklagt, dass niemand mehr Arbeitern und „Abgehängten“ eine Stimme gibt. Den Paradigmenwechsel der französischen Linken und den seit jeher weit verbreiteten Rassismus ehemaliger Links-Wähler blendet der Film in seinem Populismus-Verständnis aus. Belvaux versucht, den Aufstieg der Rechtsextremen ohne die restlichen Parteien zu bestimmen. Letztlich hält er es wie seine Hauptfigur, die erst die Skrupellosigkeit ihrer Partei erkennen muss, um sich abzuwenden. Bloß kein Herz für Nazis! Aber auch nicht allzu viel Verstand.

In 6 Berliner Kinos, OmU: Bundesplatz, Kulturbrauerei, Moviemento

Jan-Philipp Kohlmann

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