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Kultur: Fratzen des Alltags

Sie ritten auf Schwänen und töteten Techno: Wie Jeans Team auf ihrem dritten Album den Staat abschaffen

Erst blinkt das „Jeans“ auf, dann, widerspenstig langsam, das „Team“. Während Reimo Herford und Henning Wattkinson noch unterwegs sind, schaltet Franz Schütte schon mal die Leuchtreklame ein, die an der Wand hängt. Macht was her! Vor über zehn Jahren entdeckte er die blau-weiß geschwungene Neonschrift an einem Weddinger Laden, nur einige Straßen entfernt von hier. Reimo und er, die Jeans Team gründeten, kauften die Leuchtlettern und schleppen sie seither von Auftritt zu Auftritt. Durch eine holprige Karriere mit holprigen Beats. Extrakühles Licht für extrakühle Synthesizerklänge.

Eben schmetterte das Radio noch die aktuelle Jeans-Team-Single, das anarchistische Volkslied „Das Zelt“. „Kein Gott, kein Staat, keine Arbeit, kein Geld! Mein Zuhause ist die Welt“, heißt es da trotzig. Wer so fröhlich die Grundpfeiler der Ordnung zertrümmert, hält es auch mit der Pünktlichkeit nicht so genau. So bleibt Zeit, in der letzten Ausgabe der Musikzeitschrift „Spex“ zu lesen, dass Reimo Wochentage verwechselte, den Interviewtermin verpeilte und die ganze Heftproduktion ins Schleudern geriet. So subversiv kann – wenn auch unfreiwillig – Verweigerung wirken. Pünktlichkeit stehle einem sowieso nur die Zeit, schrieb Über-Bohemien Oscar Wilde. Zeit, in der man sich etwa in dem efeuverwucherten Hinterhof-Gartenhaus umschauen kann, in dem Jeans Team sich eingerichtet haben. Groß und verwinkelt, halb Büro, halb Proberaum. Kaum fällt auf, wie viel Equipment, Keyboards und steinalte Computer herumstehen. Franz: „Wir brauchten für das neue Album einfach mehr Platz.“

Die Band klang stets etwas klaustrophobisch, irgendwie nach enger Studenten- WG. Fahrstuhlmusik von Leuten mit Platzangst, Sound für das Ende von Techno: leicht aggressiv, nervös, verstrahlt. Auf ihrer ersten Platte „Ding Dong“ (2000) tastete das Team, damals noch zu viert, nach etwas Neuem, das seine Referenzen in den Achtzigern suchte, zwischen DAF und Trio. Dabei waren die vier, die stets etwas streberhaft und verschroben wirkten, immer auf der Seite von Techno. So war auch ihre Single „Keine Melodien“ eine Absage an die Rückkehr von Gesang und beengenden Songstrukturen. Und just dieser Track im Remix des Produzenten MJ Lan schlug als Superhit inmitten des Achtziger-Revivals und des Electroclash- Booms ein: Es lief im Radio, im Club, auf jeder Party. Jeans Team waren plötzlich die Speerspitze einer hysterischen Bewegung, die Techno begrub. Die vier tauchten erst einmal unter, bevor sie mit „Musik von oben“ im vergangenen Jahr ein kompliziert wie schönes Elektroalbum vorlegten. Das passte weder zu Techno noch zu Electroclash, hinterging alle Erwartungen – und fand kaum Beachtung.

„Schüttel die Grütze aus der Mütze“, heißt heute die Parole, die im Titelstück des neuen, dritten Albums „Kopf auf“ formuliert ist. Tatsächlich klingt das Jeans Team plötzlich offener, spontaner, einfacher, liedhafter, wärmer und, tatsächlich, melodiöser. Ein Befreiungsschlag. Akustische Gitarren, die sich flamencohaft in die Höhe schrauben, Handclaps, Bläser, Streicher und aufheulende Zungen-Rs bringen den unterkühlten Autobahnsound immer wieder zum schwingen. Und trotz vieler überraschender Elemente wirkt die Platte gradliniger und weniger versponnen als früher.

„Bislang haben wir immer Abwege ausformuliert“, sagt Reimo, der nun doch noch im Jeans-Team-Hauptquartier angekommen ist. Eine Haltung, die herrührt aus Zeiten, als man vor zehn Jahren mit Freunden die Galerie Berlintokyo am Hackeschen Markt leitete. „Wer macht, hat die Macht“ hieß die Losung, es wurde viel experimentiert, und alle wussten erst hinterher, ob der Abend gut war oder blöd. „Beim neuen Album haben wir den Baum beschnitten: Wenn es zu tüttelig wurde, haben wir sofort aufgehört“, erklärt Reimo.

Dennoch: Musik mit offenem Kopf ist freie Musik. Wenn man Zwänge entfernt, ist Platz für neue simple Hypothesen, vagabundierende Fiktionen, Skizzen. Noch immer wechseln die drei sich mit den Instrumenten und dem Gesang ab, schreiben gemeinsam alle Songs. „Wir entwarfen mehrere Bands“, sagt Henning. Mit „Silizium“ etwa hauen die Musiker ein Pastiche in die Synths, mit dem sie sich bodentief vor Kraftwerk verbeugen. Bei „T.Y.T.T.S“ bewegen sie sich discoartig über die Tanzfläche, mit Chören, groovigen Bassläufen und überkandidelten Stimmen, die doch nur davon singen, dass man sich Zeit lassen sollte, wenn man, nun ja, aufs Klo geht: „Take Your Time To Shit“.

Dabei stellt „T.Y.T.T.S“ die gleiche Frage wie die ernste, erste Single des Albums, „Das Zelt“: Was bleibt an Identität, wenn man Konstanten wie Coolness, Geld, Arbeit oder Staat abzieht? „Kopf auf“ ist ein überraschend gut gelaunter Soundtrack zum prekären Leben der Dreißigjährigen, der eher zu Jugendbewegungen wie den „Wandervögeln“ passt, eher zu fahrenden Gesellen als zur digitalen Boheme. „Wir wollten den Spieß einmal umdrehen“, sagt Franz. Wie schwierig das ist, zeigt ein Covercontest, zu dem die Band aufrief. „Das Zelt“, gesungen von anderen, klingt plötzlich weinerlich, düster, nach Verlust. Auch das Alleinsein als Kehrseite der Unabhängigkeit besingt die Band. Im Song „Palme“ etwa werden Wörter aneinandergereiht, „eine Palme, ein Freund, Tisch, Fenster“, ein Durcheinander von Eindrücken, zusammenhangslos. Wer alle Ordnungsprinzipien wegschmeißt, den starren Fratzen an.

Das Jeans Team grimassiert zurück, blödelt sich in eine erhabene Stimmung und ist, wenn auch nicht gefühlsexhibitionistisch, so doch ehrlich. „Geh lang, wo du ankommst, lang ran, wo du rankommst!“, singen sie in „Segel dein Schiff“, dem letzten Stück der Platte. Bei der Leuchtschrift flackert plötzlich das „Jeans“, wie ein neonkaltes Lagerfeuer.

Jeans Team, „Kopf auf“ erscheint heute bei Louisville Records. Die Band spielt am 12. Dezember im Lido.

Daniel Völzke

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