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Kultur: Frauenbilder des Balkans: Die Mythen der Macht

Kriege, Krisen und Revolutionen sind Zeiten wütender Umbenennungen. Jedes Zeichen zählt.

Von Caroline Fetscher

Kriege, Krisen und Revolutionen sind Zeiten wütender Umbenennungen. Jedes Zeichen zählt. In der serbisch-nationalistischen Ära erhielt das Restaurant "Belgrad" in Zagreb einen neuen Namen, und ebenso das Restaurant "Zagreb" in Belgrad, vermerkt die Schriftstellerin Rada Ivanovic. Jetzt wird rückbenannt und rückbesonnen.

Und, erklärt achselzuckend die feministische Literaturwissenschaftlerin Svetlana Slapsak, jetzt "jagt man in Belgrad die Hexen". So sei es eben im Patriarchat. "Am Ende sind die Frauen schuld gewesen." Zu den mächtigsten Hexen zählt Mira Markovic, die ohne Zweifel skrupellose Gattin des ehemaligen Präsidenten Milosevic. Doch dass das Patriarchat ein Interesse daran habe, ihre Rolle als einzigartige Volksverführerin festzuschreiben, sei unübersehbar. Frauen müssten nun gebrandmarkt werden, "damit die Macht ungeteilt beim Patriarchat bleibt", bemerkt Slapsak. Die Rede ist nicht von irgendeinem Patriarchat, hier beim Grazer Kulturfestival "steirischer herbst", wo sich Autorinnen aus dem ehemaligen Jugoslawien zum Symposium zusammenfinden. Die Rede ist vom "Balkan-Macho", einem spezifischen Machttypus, an dem die jugoslawische Frauenbewegung ihre analytische Kompetenz schon trainieren durfte, noch ehe eine neue Nomenklatura aus dem Erbe Titos ihre Pfründe herausschlagen und Krieg auf Krieg anzetteln konnte.

Das jüngst gefallene Regime hatte seine Schriftsteller und Intellektuellen aus dem Land hinaus in alle Metropolen Europas getrieben. Viele reisen noch aus dem Exil nach Graz an, aus Berlin und Wien, Amsterdam oder Ljubljana; nur einige kommen aus Belgrad. Im Schutz der kosmopolitischen Atmosphäre des Festivals versammeln sich manche zum ersten Mal seit Jahren wieder am selben Tisch. Nachdem die Erleichterung über die Revolutionsnacht am 6. Oktober verklungen ist, beginnt nur ein bitterer Zwist um die Zuständigkeiten. "Der Westen", klagt Svetlana Slapsak, habe in der krisenbedingten Jugoslawienkonjunktur eine Handvoll Exilierter hofiert und ihnen in den Feuilletons ein Forum geschaffen. Anderer Widerstand sei ignoriert worden. Ein Theoretiker wie Slavoj Zizek oder eine Dramatikerin wie Biljana Srbljanovic hätten das ausgenutzt, um "den Westen" zu manipulieren. Besonders auf die 30-jährige Srbljanovic ist Slapsak schlecht zu sprechen: Srbljanovic ist die Autorin des Stückes "Pad" (Der Sturz), das nach seiner Belgrader Premiere beim Bitef-Festival auch in Graz aufgeführt wurde, unter Regie von Gorcin Stojanovic.

"Pad" ist eine wüste Farce, die das Leben einer Diktatorenfamilie zerlegt, deren Hauptfigur, eine "Übermutter", immer weitere Ungeheuer gebiert. Stöhnend bringt sie "die Nation" auf die Welt, ein folkloristisch anmutendes Häuschen. Darauf gebiert sie einen Fernsehapparat, das Instrument des kollektiven Brainwashing, eine Kaserne, eine pompöse orthodoxe Kirche und schließlich, als dem Regime das Wasser bis zum Hals steht, einen meterlangen Stacheldraht, mit dem sie das verbliebene Territorium einzäunt. Zwischen ihren Geburten erlässt sie bizarre Befehle - etwa das Erfassen der Gebisszustände aller Untertanen - und spielt perverse Spiele mit ihrem Sohn Jovan, der das naive, mitmachende Volk repräsentiert. Zivko, der Diktator, ist ein erratischer Frühstücksdirektor, eine große, impotente Marionette an den Fäden seiner Frau.

"Pad" wurde noch vor dem Sturz der Diktatur verfasst, es ist ein hellsichtiges Stück, couragiert, mit Raffinesse konstruiert. Die junge Autorin setzt eine Mythenmühle in Gang, die sämtliche Bestandteile der Diktatur zu Knochenmehl zermahlt. Nichts bleibt heil angesichts dieser radikalen Attacke auf die Perversion des Nationalen. Obwohl Srbljanovic in der europäischen Theaterszene längst als "hip" gilt, ist der Duktus ihres Stücks durchaus der einer traditionellen Farce, was in der glanzlos soliden Inszenierung deutlicher wird als beim Lesen des Textes. Doch dass sie "den Frauen" die Schuld an der serbischen Katastrophe gibt, kann nur glauben, wer Jovans und damit des Volkes wiederholte Frage "Wer ist mein Vater?" allzu wörtlich nimmt und nicht nur als symbolische Frage versteht.

Srbljanovic ergeht es mit "Pad" wie manchen Autoren, die früh und viel Erfolg haben. Ein bisschen Diva, ein bisschen unsicher, bietet sie eine Leinwand für Neider. Srbljanovic boykottiert das Grazer Podium ostentativ, zum Bedauern der elegant und geduldig Brücken bauenden Moderatorin Ilma Rakusa. Die aus der Tschechoslowakei stammende Lyrikerin tröstet sich damit, dass es "kaum ein Balkan-Podium" gebe, das nicht von irgendjemandem boykottiert oder zur Abrechnung benutzt werde. "So ist das Leben", erklärt sie in einem leichteren Ton, als ihr zumute ist.

Srbljanovic habe für einen Radiosender gearbeitet, der im Besitz von Mira Markovic war, lautet der Anwurf ihrer Gegnerin Svetlana Slapsak. Sie sei in Serbien geblieben, statt ins Exil oder ins Gefängnis zu gehen. Als eine Art Mitläuferin habe sie in den serbischen Medien nicht offen gegen die Vetreibung der Albaner protestiert. Nun schwimme sie auf der Welle ihres Erfolges und sei vor allem deshalb für den Westen akzeptabel, weil sie erkläre, keine "Feministin" zu sein. Und wo, fragt Slapsak, hört man im Westen von der Autorin Natasa Kandic, die als Serbin während des Krieges eine Reise ins Kosovo riskierte, um die Verbrechen serbischer Paramilitärs zu dokumentieren? Wo ist die Rede von Hana Dalipi, die bereits vor Jahren die Situation albanischer wie serbischer Frauen beschrieb?

Anderntags entsendet Srbljanovic Nenad Prokic, den Leiter des Belgrader Bitef-Festivals zur Diskussion, als deren Teilnehmerin sie vorgesehen war. Als er zur Verteidigung der Autorin ansetzt - sie war erst 19, als sie für den staatlichen Sender arbeitete, und damals war Milosevic noch gar nicht Präsident - will Slapsak das Podium verlassen, und wird vom Grazer Festivalleiter Peter Oswald diplomatisch daran gehindert. Der Konflikt mit Srbljanovic, die in Wahrheit zu den Mutigen unter den serbischen Künstlern gehört, ist auch deshalb beispielhaft, weil er einer zwischen den Generationen ist. "Das sind Achtundsechziger", erklärt Biljana Srbljanovic im Gespräch mit dem Tagesspiegel: "Die Ideen dieser Leute sind 25 Jahre alt!"

Von der Partei zum Paradies, wie es eine andere Autorin formuliert, nein, so einfach gehe das nicht. Der Weg führt über viele Gräben und verkarstete Landschaften. Den Balkan-Macho gemeinsam zu bekämpfen und darüber hinaus Frauensolidarität und Demokratie zu entwickeln, ist in der Tat nicht erklärtes Ziel der jüngeren Schriftstellerinnen. Sie können umgekehrt wenig mit den Fünfzig- oder Sechzigjährigen anfangen. Dass diese auch die Wegbereiter ihres künstlerischen Freiraums waren, fällt dabei unter den Tisch. "Moralische Absicht allein ist kein Kriterium", erklärt mit fester Stimme die ebenfalls 30-jährige kroatische Autorin und Regisseurin Natasa Rajkovic. "Es geht um ästhetische Werte". Um die Qualität von Kunst. Herkunft, Geschlecht oder die gute Absicht von Autoren als Bonus gelten zu lassen, sei diskriminierend.

Auch der mazedonische Autor Dejan Dukovski lässt es in seinem Stück "Das Pulverfass" bei einer originellen, von Dimiter Gotscheff sehr schön inszenierten Dekonstruktion der gewalttätigen Machos bewenden. Er führt das Gefangensein in Gewaltzyklen genauso vor wie Srbljanovic die Verhaftung in den Mythen der Macht. Andererseits: Nur so kann die Zukunft beginnen. Mit der Analyse der Bedingungen, die die Gegenwart unerträglich machten.

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