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Kultur: Frauengeschichte: Gisela Bocks Studie führt vom Mittelatter bis zur Gegenwart

Als sich John Locke im ausgehenden 17. Jahrhundert mit den komplizierten Problemen idealer Herrschaftsformen beschäftigte, und trotz seiner wortreichen Verdammung von Willkür schließlich doch zu dem Ergebnis kam, dass es "irgendwo eine Herrschaft" geben müsse "und diese fällt naturgemäß dem Manne als dem fähigeren und stärkeren Teil zu", ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten.

Als sich John Locke im ausgehenden 17. Jahrhundert mit den komplizierten Problemen idealer Herrschaftsformen beschäftigte, und trotz seiner wortreichen Verdammung von Willkür schließlich doch zu dem Ergebnis kam, dass es "irgendwo eine Herrschaft" geben müsse "und diese fällt naturgemäß dem Manne als dem fähigeren und stärkeren Teil zu", ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten.

Nicht ohne ironischen Unterton fragte Mary Astel: Wenn "willkürliche Macht per se böse ist, eine unangemessene Methode, rationale und freie menschliche Akteure zu regieren", warum solle dies dann in der Ehe anders sein? Oder noch deutlicher formuliert: "Wenn alle Menschen frei geboren sind, wie kommt es, dass Frauen als Sklaven geboren sind?" Auch die einige Jahrhunderte zuvor lautstark verfochtene These, dass Frauen letztlich nicht dem Menschengeschlecht zuzurechnen seien, da sie einer Seele entbehrten, blieb nicht unwidersprochen. Mehr noch: Es entstand ein Streit an dem sich keine geringeren als Christine de Pisan und später auch Martin Luther beteiligten. Und diese Debatte, die die Gemüter bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert bewegte, wurde nicht nur verbal mit aller Härte ausgetragen. Diesmal ging es um die Frage, ob Frauen das aktive und passive Wahlrecht erhalten sollen. (Die Realisierung des passiven Wahlrechts ist ja - zumindest wenn es zur Erlangung wichtiger politischer Posten führt - bis heute keine Selbstverständlichkeit)

Drei unterschiedliche Kontroversen, die eines gemein haben: Sie kreisen um die Frage: Was ist das Weib? Um genau diese Frage, um die "Querelle des Sexes", zentriert Gisela Bock ihr Buch "Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart". Durch diese Konzentration einerseits, sowie dadurch, dass sie diese auf der anderen Seite nie ganz strikt durchhält, gelingt Gisela Bock, um das vorwegzunehmen, das schier Unmögliche: Auf etwas mehr als 300 Seiten stellt sie 500 wahrlich nicht ereignisarme Jahre europäischer Geschichte anschaulich, differenziert und nie pauschalisierend so dar, dass sich fast unbemerkt neue Perspektiven eröffnen. So wird die an vorschnellen Vereinfachungen keineswegs arme Frauengeschichtsschreibung auf neue Füße gestellt.

Lasst uns die Marienbilder!

An den Auftakt über die spätmittelalterliche "Querelle des Femmes" schließt sich eine eingehende Darstellung der Französischen Revolution an. Deutlich macht Bock hier, wie komplex dieser Wendepunkt zu beurteilen ist: Die wenigen Sansculottinnen, die sich in Klubs organisierten, beschränkten sich darauf, Bildung, Scheidungsmöglichkeiten, die Reform des Erbrechts und die Förderung der Frauenarbeit zu fordern, während erste Vorstellungen von Frauenwahlrecht nur zaghaft und vereinzelt formuliert laut wurden - etwa bei der Girondistin Olympe de Gouges.

Blieben diese Forderungen für das eigene Geschlecht überraschend verhalten und war ihnen auch nur sehr beschränkt Erfolg beschieden - einzig das Erb- und das Scheidungsrecht wurde reformiert, so wurden andere Anliegen, wesentlich vehementer vorgetragen: Als die Kongregationen und Orden aufgelöst, Marienbilder entfernt und der christliche Kalender verboten wurde, stieß die Revolution auf den erbitterten Widerstand von Frauen, die sich ihrer Arbeitsplätze in den religiösen Gemeinschaften, vor allem aber ihrer spirituellen Würde beraubt sahen. Gleichwohl - das macht die vielschichtige Darstellung deutlich - profitierten Frauen von der Revolution, da sie nun erstmals ihre sozialen und politischen Forderungen vor einer breiten Öffentlichkeit ausdrücken konnten.

Mit der Französischen Revolution wurde eine neue Etappe in der Geschlechterdebatte eingeleitet - erinnert sei etwa an die erregt geführten Diskussionen darüber, ob das Weib auch jenseits des Hausinneren einen Platz haben könne, oder ob es "qua Natur und Bestimmung" aus allen öffentlichen Sphären ausgeschlossen sei. Dieser Etappe geht Bock in den folgenden Kapiteln nach: der Industrialisierung, zu der Tausende von schlecht bezahlten Arbeiterinnen viel beigetragen und gleichzeitig einen hohen Preis bezahlt haben, und schließlich der Entstehung der Frauenbewegung. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die "Querelle des Sexes" erstmals zu einer organisierten Bewegung. Sei es in England, Frankreich, Dänemark oder in Deutschland, die Themen, die in den zahlreichen nationalen Frauenbewegungen teilweise kontrovers diskutiert wurden, ähnelten sich: Frauenbildung, die Schaffung und Erweiterung von Erwerbsmöglichkeiten, die Reform des bürgerlichen Rechts in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau waren (wie schon in der Französischen Revolution) wichtige Anliegen. Gegen Ende des 19. Jahrhundert, im Laufe der Debatten um die Erweiterung des Männerzensus-Wahlrechts, wurden Forderungen nach politischer Partizipation der Frauen laut. Kaum hatten die in zahlreichen Vereinen organisierten Suffragetten laut über das Frauenwahlrecht nachgedacht, wurde ein erneute Runde der Querelle eingeläutet.

Ist der Staat männlich?

Nun stritt man über die (in den Theoriedebatten der letzten Jahre erneut gestellte) Frage, ob der Staat an sich männlich sei - davon wurde mehrheitlich ausgegangen -, ob es ein Allgemeinwohl einerseits und ein weibliches Wohl andererseits gäbe und ob, wenn schon Arbeiter wählen dürften, Frauen vielleicht doch zumindest das aktive Wahlrecht zugestanden werden solle. Obschon sich weder Liberale noch die breite Basis der europäischen Arbeiterparteien, ganz zu schweigen von den Konservativen, für die immer lauteren Forderungen der Suffragetten besonders intensiv einsetzten, wurde das Frauenwahlrecht bekanntlich doch durchgesetzt. Erstaunlich bleibt, dass sich gerade die vermeintlich fortschrittlichsten Republiken Europas - die Schweiz und Frankreich - als letzte dazu durchringen konnten, Frauen eine aktive Rolle in der Gestaltung des Politischen einzuräumen. Frankreichs Frauen mussten bis 1944 warten, die der Schweiz bis 1971. Mehr noch: Manche altehrwürdige Republik, wie die französische, verhinderte die Einführung des Frauenwahlrechts mit teils bizarren Mitteln - unter anderem mit dem Argument, Frauen drohten allzu konservativ zu wählen.

Am ausführlichsten widmet sich Bock dem 20. Jahrhundert: Dargelegt wird der lange Kampf um die Mutterschutz-Gesetzgebung. Begleitet war er von Diskussionen, die sich erneut um die Frage nach der Beschaffenheit des Weibes an sich und der Mutter im Besonderen drehten, in denen aber auch eigenwillige Zusammenhänge zwischen Nation, Rasse und Gebären konstruiert wurden. Ebenso widmet sie sich den "Roaring Twenties", Zeit der Bubiköpfe und des Jazz, und schließt eine breit angelegte Abhandlung zum Nationalsozialismus an. Gisela Bock beendet diese tour de force durch Europas Frauen-Geschichte mit einem Rückblick auf die Nachkriegszeit. Wir sehen hier die Frauen der Fünfziger Jahre eine durch Diktatur, Krieg und Holocaust zerstörte Privatheit erst wieder entdecken, um dann, in den siebziger Jahren, eben diese Privatheit mit provokanten Parolen wie "Das Private ist politisch", erneut zur Diskussion zu stellen.

Was dachten die Analphabeten?

Spätestens hier freilich stellt sich die Frage, ob neben Locke, Pisan, manch führender Sansculottin und Suffragette nicht auch bisher ungehörte Stimmen, die "Querelle des Sexes" mitbestimmten: Hatten die Analphabetinnen und Analphabeten - bis weit ins 19. Jahrhundert immerhin die Mehrheit der europäischen Bevölkerung - keinen Anteil an diesen Debatten? Oder gibt es eine ganz eigene "Querelle der Illiteraten"? Wie erfuhren diese die Verhandlungen über die Geschlechterordnung? Ist diese Erfahrung überhaupt rekonstruierbar? Oder - wofür in der Tat mehr spricht - muss die Dynamik zwischen unterschiedlichen Ebenen der Querelles erst noch eingehender untersucht werden: etwa mit Hilfe bildlicher Quellen, anhand von Gerichtsprotokollen oder durch Studien zur materiellen Kultur des Alltags?

Und doch: "Frauen in der europäischen Geschichte" ist, neben der anders akzentuierten Gesamtdarstellung von Olwen Hufton, nicht nur die derzeit beste Gesamtdarstellung zur Frauen- und Geschlechtergeschichte der europäischen Neuzeit. Gisela Bock ist es auch gelungen, die "Querelle des Sexes" als integralen Bestandteil der sogenannten allgemeinen Geschichte sichtbar zu machen und damit neue Perspektiven zu eröffnen, auch jenseits von Frauen- und Geschlechtergeschichte.

Rebekka Habermas

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