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Kultur: Freche Frauen

Tröpfelndes Blubbern und ein lauter Knall aus der Posaune. Im familiären Hinterzimmer des Charlottchen sitzt Dorothee Wendt vor einer Leinwand, auf der in Fotos die großen Berliner Diseusen der Zwanziger auferstehen: Trude Hesterberg, die fast anstelle von Marlene Dietrich im "Blauen Engel" gespielt hätte.

Tröpfelndes Blubbern und ein lauter Knall aus der Posaune. Im familiären Hinterzimmer des Charlottchen sitzt Dorothee Wendt vor einer Leinwand, auf der in Fotos die großen Berliner Diseusen der Zwanziger auferstehen: Trude Hesterberg, die fast anstelle von Marlene Dietrich im "Blauen Engel" gespielt hätte. Blandine Ebinger, die hier noch einmal aus dem Schatten ihres Ehemannes Friedrich Hollaender tritt. Kate Kühl, von der die Posaune abgeschaut ist, und Margo Lion, die Frau mit den großen Hüten und dem Leopardenbaby. Sie alle traten auch in der "Wilden Bühne" auf, dem Kabarett, das Rosa Valetti 1921 im Keller des Theaters des Westens gegründet hatte. Natürlich auch die "Rote Rosa" selbst, die schon mit 16 unter Max Reinhardt spielte und wie keine andere auf Tuckolsky, "ihren Tucho" schwor. Das Berlin dieser Zeit scheint wie ein Dorf, in dem die immer widrigeren politischen und wirtschaftlichen Umstände die brotlose aber lautstarke Caféhaus-Bohéme nur immer enger zusammenschweißten - bis alle sich in die eine oder andere Emigration retten mußten, nach Zürich, USA, Paris, oder in die Operette. Die Metropole erscheint als Mischung aus Frauennetzwerk und Divenstreit. Denn Wendt schaut auf die Frauen, die den Texten und Kompositionen von Brecht, Tucholsky, Mehring und Hollaender erst eine Stimme gaben. Ihre eigenwillig zusammengestellte Chansonrevue "Und wo bleibt Claire Waldoff?" (Noch morgen und übermorgen, 20 Uhr 30) ist eine Hommage an jede einzelne von ihnen. So vielfältig wie die Möglichkeiten des Kabarett, so unterschiedlich auch die Ausstrahlung der Sängerinnen, zwischen lasziv, naiv und burschikos. Dorothee Wendt spielt Theater, doch sie schlüpft in keine Rollen. Sie bringt sich ein ins Stimmen-Potpourri der Berliner Mütter des Chansons.

SONJA BONIN

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