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Kultur: Frei, aber einsam

Wiederentdeckung an der Frankfurter Oper: David Alden aktualisiert Franz Schrekers „Schatzgräber“

Die Frau ist gefährlich: knallrote Haare, lasziver Gang, die üppige Oberweite in ein kleines Schwarzes gezwängt. Sie bedient in der Kneipe ihres Vaters, wickelt die Typen nur so um den Finger und zieht sie ins Verderben: Zwei Freier hat sie schon auf dem Gewissen, dem dritten wird ihr Komplize bald Geld und Leben abjagen. Die Szene klingt wie aus einem frühen Russ-Meyer-Film und ist doch hehre Opernkunst: In Franz Schrekers Märchenoper „Der Schatzgräber“ geht es kaum anders zu als in einem amerikanischen Film Noir – lässt man einmal den Mittelalter-Häkelrand fort, mit dem der erfolgreichste deutsche Opernkomponist der 20er Jahre 1920 seine Geschichte von der Femme fatale Els und dem fahrenden Sänger Elis verbrämte.

Und nichts anderes tut David Alden bei seiner Inszenierung des „Schatzgräbers“ an der Frankfurter Oper: Kaum einer ist so treffsicher wie der New Yorker Starregisseur, wenn es darum geht, neue Bilder für alte Mythen zu finden. Mit einer Unbekümmertheit, die an Jeff Koons erinnert, bürstete Alden in München Barockopern von Händel und Monteverdi auf, mit dem gleichen Bilderreservoir aus Hollywood und Disneyland rückt er jetzt auch Schrekers psychologisch überfeinerter und sentimental erotisierter Märchenwelt zuleibe. Und das zur rechten Zeit: Nachdem in der letzten Saison die Stuttgarter „Gezeichneten“ und der „Ferne Klang“ an der Berliner Staatsoper eine Schreker-Renaissance eingeläutet hatten, war eine maßstäbliche Inszenierung von Schrekers erfolgreichster Oper überfällig. Denn nach dem Aufführungsverbot durch die Nazis fielen Schrekers Werke, wie die Zemlinskys und das Spätwerk von Richard Strauss, unter das Kitschverdikt der musikalischen Moderne.

Vorwürfe, die Alden von Beginn an entkräftet – indem er dem Kitschverdacht durch ironische Übertreibung die Spitze abbricht. Singt Els, die Männer in Vaters Gasthaus seien doch alle Tiere, lässt Alden sie als Comicwesen auftreten: den Freier als Werwolf im Hell’s Angel-Kostüm, den Landvogt als breitbeinige Sherriff-Karikatur aus einer billigen Vorabendserie. Lauter skurrile Gestalten bevölkern diese plastikbunte Welt, in der sich Aldens Team, Paul Steinberg (Bühne) und Constance Hoffman (Kostüme), austoben durfte: Am Königshof sieht’s aus wie in der Zentrale eines Spielzeugkonzerns, durch die Tannen linst schon mal ein riesiger Plüschhirsch. Dennoch lenkt diese Fantasy-Staffage keineswegs ab, sie bekommt der Geschichte erstaunlich gut.

Denn unter dem saftigen Märchenfleisch geht es in dieser Oper um Allerernstestes: Der Schatz, der der Königin gestohlen wurde und den der Sänger und Schatzgräber Elis mit seiner Wunderlaute wieder beschaffen soll, ist, so Schreker selbst, nichts anderes als „der Traum von Glück und Erlösung“. Diesem Traum zuliebe bringt die Wirtstochter Els ihren Komplizen Albi dazu, ihr mit dem Geld der gemordeten Freier die Schmuckstücke von einem Hehler zu verschaffen. Diesem Traum zuliebe wählt auch der Hofnarr Els zur Frau und rettet sie vor dem Scheiterhaufen. Der Einzige, der auf diesen Schatz verzichten kann, ist der Schatzgräber selbst: Der Künstler Elis schafft sich seine Träume selbst, stößt damit zwar auf Unverständnis, bleibt aber unabhängig und zieht am Ende der Oper weiter, so wie er gekommen war.

In Aldens Inszenierung sieht dieses schon von Schreker nicht ohne Ironie gezeichnete Alter Ego fast so aus wie der Komponist selbst auf dem berühmten Foto, das ihn mit seinen Freunden Zemlinsky und Schönberg zeigt: ein unscheinbarer Mann im weiten grauen Straßenmantel, der, anders als alle anderen, kein Kostüm und keinen Schmuck braucht, um sich seinen Traum vom Anderssein zu erfüllen. Einer, der auf den ersten Blick wie die Bürokraten wirkt, die ihn loswerden und irgendwann sogar erhängen wollen – und der ihnen doch fremd ist.

Einer, dessen innerer Reichtum kaum nach außen dringt und weniger gesungen als vom Orchester verraten wird: Das rauschhafte Zwischenspiel etwa, das nach der Vereinigung von Elis und Els aufklingt, gilt vor allem diesem Glücksaugenblick des Künstlers, ist eine jener Schrekerschen Passagen, in denen es keine äußere Handlung, sondern nur feinsensorische Gefühlsschilderung gibt. Alden hört auch hier genau hin und akzeptiert diesen wogenden Ruhezustand ebenso, wie er in den Massenszenen die choreografischen Impulse der Musik aufgreift.

Aldens Zugriff bekommt freilich auch der Musik blendend: Der schwelgerische Gestus der Liebesszenen, die knallige Märchenbildpracht, all das sieht man nicht nur – man hört es auch aus dem Orchestergraben funkeln, als läge hier der eigentliche Schatz verborgen. Dass in diesem Hort noch ein Gutteil Nibelungengold ist, hört und sieht man gleichfalls: Die zwergenhaften Fabelwesen auf der Bühne und die Namen der Beteiligten (Els, Albi) verraten es auf der Bühne, drunten proklamieren die zahllosen Wagner-Wendungen bis hin zum direkten Zitat die Stellung Schrekers zwischen Gesamtkunstwerk und Dolby-Surround-System.

Mit dieser dritten Saisonpremiere meldet das Frankfurter Opernhaus endgültig auch musikalisch seinen Anspruch an, wieder in der Spitzengruppe der Republik mitzuspielen. Mit beeindruckender Klangkultur trumpft das Museumsorchester auf, doch der erst 33-jährige Braunschweiger Generalmusikdirektor Jonas Alber versteht es, Schrekers orchestrale Opulenz transparent und elastisch klingen zu lassen, ohne die Delikatesse ihrer Farben zu opfern: Nie wuchert der vielstimmige Satz die Sänger zu. Ein Triumph für das Haus, das diese Oper vor 82 Jahren zur Uraufführung brachte – und für das Ensemble. Neben den drei Hauptdarstellern, der durchschlagskräftigen, charismatischen Susan Bullock als Els, dem verhalten heldischen Elis von Jeffrey Dowd und dem metallisch expressiven Hoffnarren von Peter Bronder zeigt diese Premiere mit ihren knapp zwei Dutzend Rollen, dass es Frankfurt gelungen ist, ein außerordentliches Ensemble spielfähiger Sänger mit prächtigen Stimmen aufzubauen. Es wird nicht der letzte Schatz sein, der hier gehoben wurde.

Jörg Königsdorf

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