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Kultur: Freiheitslieder

„Rock’n’ Roll“ im Renaissance-Theater

Vinyl ist Wahrheit, und wer der Jugend ihre Musik verbietet, der dreht ihr den Saft ab. Im stärksten Bild von Antoine Uitdehaags deutscher Erstaufführung des jüngsten Tom-Stoppard-Dramas „Rock ’n’ Roll“ kracht unvermittelt eine unschätzbar bestückte, komplett zerscherbte Plattensammlung vom Schnürboden auf die Bühne. Sie war der Lebenssoundtrack des jungen Träumers Jan (Markus Gertken), der nach dem Prager Frühling in seine Heimat zurückgekehrt ist, weil er an einen Sozialismus mit langhaarigem Antlitz glaubte. Der politische Beschleunigungsschwindel der Endsechziger rauscht an ihm vorbei, sein Freiheitsgefühl kennt exakt 33 1/3 Umdrehungen pro Minute, ein jeder soll, wie seine Kumpel von der real existierenden Band Plastic People of the Universe, die Musik spielen dürfen, die er liebt. Seinem Freund Ferdinand (Bruno Winzen), einem petitionsgläubigen Staatskritiker, wirft Jan „moralischen Exhibitionismus“ vor. Erst die LP-Mörder von der Staatssicherheit bringen ihn aus der Spurrille seiner Ignoranz – später wird er zum Mitunterzeichner der Charta 77.

Mit Velvet Underground zur samtenen Revolution: Tom Stoppard stimmt in dieser von Pink Floyd, Bob Dylan und den Stones befeuerten Best-of-History-Chronik der Jahre 68 bis 90 das Lied der Freiheit an. Es ist ein klug gebautes Stück, das eine Menge zu erzählen hat über die Symbiose von Kunst und Politik, über die Untrennbarkeit von Individualismus und Dissidententum – und das die Zeitläufte stets im Privaten und in den Songs spiegelt, ohne dass es nach Soap klänge. Stoppard legt ein geschichtskritisches und geistreiches Polit-Poesie-Album auf, das ebenso unprätentiös auf verbürgte Gesellschaftsdispute zwischen Havel und Milan Kundera rekurriert, wie es den Drogen-Barden Syd Barrett als flötenden Widergänger des griechischen Gottes Pan auftreten lässt. Ein Wechselspiel der Schicksale und Systeme, das leichthin parallele Welten verzahnt: Wie etwa Prag und Cambridge, wo Jans väterlicher Freund Max, ein marxistischer Philosophieprofessor, die letzte Fahne der kommunistischen Revolution schwenkt. Jürgen Heinrich, der zuletzt vor 17 Jahren auf der Bühne stand, spielt diesen Max mit unbremsbarem grantelnden Furor. Neben diesem Donnerpart müssen sich sowohl Gertken als Jan wie auch die Frauen der Familie mühen: Joana Schümer als Max’ krebskranke, liebessehnsüchtige Gattin, die Griechisch-Dozentin Eleanor, Christina Athenstädt als deren Luftikus-Tochter Esme.

Es bräuchte aber auch einen Regisseur, der Stoppards Beziehungsgeflecht durchleuchtet, statt es auf der Mehrzweck-Popbühne von Tom Schenk nur zu illustrieren – mit „Atomic Heart Mother“-Cover, Warhol-Bananen und Dutschke-Videos schon beim Einlass. Uitdehag benimmt sich wie ein Roadie, der auf die Bühne packt, was die Setlist verlangt. Zum Schluss gibt’s als Video die Stones in Prag. Freiheitsgefühl aus der Konserve.

wieder am 16.5, 19. – 26. Mai

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