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Freilichtbühnen: Heimchen unters Häubchen

Christine Wahl staunt über das ehefixierte Sommertheater. Ob auf der Freilichtbühne am Stadtschloss Moabit oder auf der Bühne der Zitadelle in Spandau - Zweierbeziehungen stehen im Zentrum der Inszenierungen.

Andernorts wird die Single-Gesellschaft beklagt, um Krippenplätze gestritten und über weibliche Mathegenies berichtet. Nur im Open-Air-Theater geht es noch gemütlich zu: Da haben die Mädels, zumindest in der aktuellen Saison, keine Zeit für komplexe Integralrechnungen. Sie sind nämlich vollends damit ausgelastet, sich den väterlichen Verheiratungsmaßnahmen zu widersetzen. Beziehungsweise: dem väterlichen Auswahlverfahren. Denn geheiratet wird am Ende gerne auf den Open-Air-Bühnen von Moabit bis Spandau, von Mitte bis Friedrichshagen. Nur eben nicht unbedingt der, den Vati wollte.

In Molières Komödie Der Geizige auf der schicken neuen Dachterrasse des Hexenkessel Hoftheaters im Monbijoupark (bis 8. 9. immer Di-Sa) trifft es immerhin beide Geschlechter: Aus schnödem Eigennutz versucht der krankhaft knickerige Harpagon seine Tochter Elise und seinen Sohn Cléante finanziell aussichtsreich unter die Haube zu bringen. Sozusagen als effektive Haushaltsentlastungsmaßnahme. Das sorgt zwar für glühend rote Apfelbäckchen, viel Türengeknall und weiteren sommertheatertypischen Slapstick. Aber im Grunde kennen sich die Kinder mit Papas erotischem Verhältnis zur schönen roten Geldkassette inzwischen viel zu gut aus, um von der Aktion tatsächlich überrollt zu werden.

Bei den Herren von Froh, von Trüb, von Fad und von Braus – allesamt Bewohner von Johann Nestroys Haus der Temperamente – spielt Geld hingegen keine übergeordnete Rolle. Vielmehr lassen sich die unterschiedlich temperierten Patriarchen von eigenen Erfahrungswerten und also nur von ihrem allerbesten Gewissen leiten, wenn es an die Versorgersuche für die Töchter geht – was die Sache allerdings nicht besser macht. Im Gegenteil: Da Nestroys Posse mit 170 Jahren nicht mehr die Jüngste ist, kann man sich unschwer ausmalen, dass die väterlichen Vorstellungen vom perfekten Ehematching hinter dem aktuellen psychologischen Forschungsstand zurückbleiben. So gesehen darf man den ebenfalls von viel Türengeknall und Slapstick lebenden Abend auf der Freilichtbühne im Stadtschloss Moabit (Rostocker Straße 32, 27./28./29.7.) als eine Art historische Bildungsmaßnahme betrachten. Übrigens sogar bei freiem Eintritt!

Was nun aber den Zeitgeist-Prüfstand betrifft, ruhen alle Hoffnungen auf der Studentengruppe der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, die sich ab 8.8. auf der Freilichtbühne an der Zitadelle Spandau mit Der Widerspenstigen Zähmung Shakespeares Klassiker der Heimchenwerdung schlechthin vorknöpft – und zwar unter der Fragestellung: „Was können junge Menschen mit einem so unemanzipierten Stoff anfangen? Können sie diesem Sumpf aus Patriarchat und Frauendiskriminierung entkommen? Und wollen sie das?“

Wenn das keine neuen Sommertheatererkenntnisse verspricht!

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