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Kultur: Freundliche Fratzen

Die Galerie Neugerriemschneider zeigt eine Installation von Isa Genzken.

Seit langem gab es nicht etwas so Trauriges zu sehen. Die Galerie Neugerriemschneider hat ihren Ausstellungsraum in eine Aussegnungshalle verwandelt und darin Isa Genzkens schrecklich schöne, furchtlos erbärmliche Skulpturenfamilie aufgebahrt, mit der sie 2007 bei den Skulptur-Projekten Münster tiefe Verstörung ausgelöst hatte. Dort, im Schatten der Überwasserkirche, setzte sie Puppen auf Stühle, Karren und Campingmöbel und überließ sie dem Regen und der Wut all derer, die sich auf einem Kirchplatz Ordnung und Anstand wünschen.

Wie Karikaturen eines brüchigen Fürsorgegedankens kauerten die Puppen in ohnmächtiger Haltung unter grellbunten Sonnenschirmen. Drapiert mit Accessoires oder in Steppjacke und Hut wurden sie zu verwahrlosten Waisen des Kunstbetriebs. Niemand mehr vermochte in den Gestellen, auf die sie ausgestreckt lagerten, skulpturale Sockel zu erkennen. Mancher Passant konnte so wenig Distanz zwischen sich und diese misshandelten Mündel bringen, dass er dem Werk Gewalt antat oder es umgekehrt durch mitgebrachte Gaben anreicherte, Kompensation für die eigene Hilflosigkeit.

Nun hat die Galerie Genzkens Albtraum wieder hervorgeholt. Im November wird die Künstlerin mit einer Retrospektive im New Yorker MoMA geehrt. Der Kurs steigt, da soll die viel besprochene Arbeit noch einmal die Herzen der Sammler rühren. Je volatiler der Markt sich entwickelt, desto mehr hängen die Händler am Tropf des musealen Sinngebungsbetriebs. Der Umsatz wächst nur oben wirklich, dort, wo die Werke unanfechtbare Ausstellungslegenden haben. Mit der titellosen Arbeit von Münster hatte Isa Genzken das System der Großausstellungen aus den Angeln gehoben und die Kritik verzückt. Und ein solches Angebot sollte man kurz vor New York der Öffentlichkeit vorenthalten? Doch die Puppenfamilie bei Neugerriemschneider ist tot wie eine Dekoration von gestern. Genzkens brutale Selbstauslieferung, mit der sie ihr Werk der Allgemeinheit und ihren Skulpturbegriff dem Verdacht des Dilettantismus ausgeliefert hatte, ist unausstellbare Geschichte geworden. Dieser Teil der Historie überlebt, die Objekte aber stehen wie Souvenirs einer Schlacht auf ebenjenem gesicherten Parkett herum, gegen das sie erfunden worden waren. Traurig ist nicht mehr die Puppe, sondern dass sie nur noch eine Puppe ist.

Vielleicht reicht eben doch nicht mehr, als Galerie einem Museum möglichst ähnlichzusehen. Galeristen müssen selbst kuratieren, Umfeld und Hintergrund eines Werkes mitausstellen. Sie müssen die Geschichte erzählen, statt ihre Relikte zu bepreisen. Das zeigt auch der neueste Schritt der Großgalerie Hauser & Wirth, die in Los Angeles ein Ausstellungshaus mit dem renommierten Kurator Paul Schimmel eröffnet hat. In seinen Dimensionen soll das neue Haus einem echten Museum gleichen, sagt Schimmel. Das ist, als hätte man Genzken gleich auf dem Kirchplatz verkauft. Gerrit Gohlke

Galerie Neugerriemschneider, Linienstr. 155; bis 1.6., Di–Sa 11–18 Uhr

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