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Kultur: Freundliche Kühe

Was denken Choreographen, wenn sie im Zug sitzen, auf Weiden, grasende Kühe schauen? Sie sehen die vorbeiziehenden Bilder, die ständig sich verändernde, verschiebende Perspektive und gewinnen daraus eine Bühnenidee.

Was denken Choreographen, wenn sie im Zug sitzen, auf Weiden, grasende Kühe schauen? Sie sehen die vorbeiziehenden Bilder, die ständig sich verändernde, verschiebende Perspektive und gewinnen daraus eine Bühnenidee.Wenn schon, so die Prämisse, der Zuschauer im Theater an einem festen Punkt sitzt, so sollen sich wenigstens die getanzten Bilder vor ihm - ähnlich einer Zugfahrt - ständig in ihrem Blickwinkel ändern.Das Ergebnis, das gut einstündige Stück "Cows in Space", präsentierte der junge Schweizer Choreograph Thomas Hauert jetzt in der Reihe "Körperstimmen" im Podewil.

Fünf Personen, drei Männer und zwei Frauen, betreten einen exakt quadratischen, von weißen Linien markierten Raum.Über ihnen ziehen strahlenförmig gespannte Schnüre einen perspektivischen Fluchtpunkt.Der Boden ist über und über mit bunten Markierungen bedeckt - möglichen Ausgangspunkten im Raum.Langsam tasten sich die Tänzer mit fahrigen, abgewinkelten Bewegungen in die Szene.Allmählich beschleunigen sich die improvisiert wirkenden Aktionen, kommen bald schon wieder zur Ruhe.Eng steht die Gruppe; in der Stille hört man nur ihren Atem.Die Einleitungssequenz gibt den Rhythmus von "Cows in Space" vor: Beschleunigung und Verlangsamung, An- und Abschwellen, meist parallel zu Musiken von John Adams, Bart Aga und Alex Fostier geführt.

Wie Hauert sind auch seine Mittänzer Mark Lorimer, Sara Ludi, Mat Voorter und Samantha van Wissen ehemalige oder noch aktive Mitglieder von Anne Teresa De Keersmaekers Ensemble.Bei Rosas haben sie den Umgang mit seriellen Bewegungspattems erlernt, der Entwicklung und Variation kleiner und kleinster Motivfolgen.So basiert auch Hauert sein Stück auf dem Prinzip der Wiederholung und dessen Abwandlungen.Darüber hinaus sucht er jedoch nach neuen Bewegungsansätzen, vor allem in der Artikulation über die Gelenkpunkte und die Isolation einzelner Körperteile.

Skurril verzerrte Figuren entstehen dabei, als wären sie von nervösen Tics befallen.Gleichzeitig entfaltet sich die Choreographie in größter Beiläufigkeit.Ein seltsamer Querstand ergibt sich daraus: Man sieht Charaktere, die doch keine sein sollen.Das Stück "Cows in Space" präsentiert sich als lockere Übungsfolge, die sich selbstgenügsam aus der Bewegungsforschung ergibt.Wie zufällig - und entsprechend spannungslos - erscheinen deshalb die Konstellationen der Personen.

Das ändert sich erst im ausgedehnten Mittelteil, der alle erdenklichen Formen des Gehens und Laufens, vor- und rückwärts, in der Gruppe, allein, zu zweit, im Trio erprobt.Unterbrochen wird der Dauerlauf von kurzen Kontaktmanipulationen, in denen einer oder zwei den Partner durch leichte Berührungen bewegen.Oft genug sind die Reaktionen auf die Impulse jedoch gegenläufig.Ein Zusammenspiel der Schwerkräfte entwickelt sich so nicht.Immer wieder wirken die Momente wie ein etwas unbeholfener Ausflug in die Kontaktimprovisation.

So sehr Hauert den äußeren Bewegungsfluß und den steten Perspektivwechsel in Gang hält, so sehr kollabiert ihm der inhaltliche Spannungsbogen."Cows in Space" erweist sich als endlose formale Variation, aus der der Zuschauer allmählich abdriftet.Unbeteiligt läßt er die Bilder vorüberziehen, ganz ähnlich dem ermüdeten Blick aus dem Abteilfenster.Wenn am Ende die fünf Akteure zum Formationsjoggen antreten und freundliche Muster in den Raum weben, hat er sich längst schon verabschiedet und ist mit seinen Gedanken ganz woanders.Die Reisenden in Zeit und Raum haben ihn nicht zu fesseln vermocht.

Wie so oft wirkt auch "Cows in Space" wie die Recherche zu etwas, das einmal ein Stück werden könnte - interessant für die Tänzer vielleicht, mäßig interessant für den, der von außen zuschaut.

NORBERT SERVOS

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