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Kultur: Friede seiner Masche

Er grölt nicht mehr: Marius Müller-Westernhagen legt mit „Nahaufnahme“ ein sanftes Album vor

Über Herbert Grönemeyer heißt es neuerdings, dass er kein Star mehr werden würde, wenn er heute von vorne anfangen müsste. Kein Label der Welt nimmt sich drei Platten lang Zeit, um herauszubekommen, wie erfolgreich ein deutscher Sänger werden kann. Ob das auch für Marius Müller-Westernhagen gilt? Dem gelang erst mit dem vierten Album der Durchbruch – und heute ist er erfolgreicher als Grönemeyer.

Trotzdem ist Müller-Westernhagen ein Auslaufmodell. Einen Burschen wie ihn gibt es nicht mehr. Tanzen kann er nicht, und wenn er den Mund aufmacht, verteilt das Schicksal schlechte Noten. Seine Helden heißen Paula, Horsti, Mary, Willi Wucher oder Johnny Walker. Sie zeigen stets ein gewisses stolzes Beharren, ein erlösungsfernes Verkralltsein ins eigene Leben, das natürlich trotzdem komplett aus dem Ruder läuft. Da stellt sich irgendwann nicht mehr die Frage, was gewesen wäre, wenn... Da reicht es, einfach immer noch da zu sein. So weht denn auch in seligeren Augenblicken seines neuen Albums „Nahaufnahme“ (Warner) zuversichtlich eine Flügelhorn-Melodie herüber, getragen von dem sanft-schimmernden Klang eines Fender-Rhodes-Pianos. Dazu die Zeilen: „Ich bin eins / Ich bin völlig eins mit mir.“ Mit 56 Jahren darf man das sein.

Es ist lange her, dass Marius Müller- Westernhagen noch Marius hieß und als Gossenpoet durch die Lande zwischen Wanne-Eickel, Castrop-Rauxel und Herne zog. Er besang ein Leben, das es so vermutlich nicht mal im Revier gab. Es war die Erfindung des Kleinbürgermilieus aus dem Geist der Rebellion. Im Thekendelirium gelangt es zur anarchistischen Blüte: „An der Macht, da sind die Weißen / Darauf reimt sich ...“, polterte er 1978 in seinem ersten großen Hit „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“.

Subtil war Westernhagen nie. Aber Ende der Achtzigerjahre geschah etwas Merkwürdiges. Wanne-Eickel wurde in Herne 2 umbenannt. Das Kleinbürgerliche verlor sein ortsverwandtes Refugium, aus Marius wurde Westernhagen, ein Popstar. Dass er im Zuge dieser Verwandlung auf eine feinere Garderobe umstieg, wurde ihm vermutlich weniger übel genommen als die Regression seines Muckertums aufs Handwerklich-Korrekte. Was hatte Westernhagen noch zu sagen? Zum Beispiel über Frauen? „Du bist ’ne Waffe, für die es keinen Waffenschein gibt.“ Das war es nicht.

Man hatte sich angewöhnt, in dem Sohn eines trunksüchtigen Theaterschauspielers immer auch den Selbstdarsteller zu sehen, der seine Zartheit mit brachialen Posen kompensierte. Aber irgendwann wurde aus dem Sänger und Filmheld („Der Mann auf der Mauer“, „Theo gegen den Rest der Welt“, „Der Schneemann“) ein Sängerdarsteller. Seine auf Stadiongröße angeschwollenen Shows zeigten ihn als Kraftzentrum mit dem Charme eines Durchlauferhitzers. Keine Geste war dem Kanzler-Kumpel zu peinlich, um sie nicht zur Verzückung Zehntausender immer und immer wieder anzubringen. „Wenn ich auf die Bühne rausgehe“, gestand er einmal, „überschreite ich eine Grenze und werde Projektionsfläche. Ich habe dann drei Stunden lang die Kraft, das auszuhalten.“ Dazwischen stille Phasen tiefster Anonymität, eine letzte gigantische Rock’n’Roll-Tour, dann der Rückzug von den großen Bühnen.

Jeder Pop-Kritiker macht irgendwann seinen Frieden mit einem wie MMW. Es wird jedoch nicht eben leichter dadurch, dass sowohl Ex-Staatsminister Michael Naumann (in der „Zeit“), als auch Benjamin von Stuckrad-Barre (im „Spiegel“) nun zur Veröffentlichung der 20. Westernhagen-Platte ihre persönliche Verbundenheit erklären – und als vermeintliche Nicht-Kritiker in allen Kritikern nur verletzte Machtmenschen sehen. Was folgt daraus? Westernhagen hat nur Freunde oder Kritiker, ein schreckliches Los. So wird er zu guter Letzt auch noch zum Medienphänomen.

Das aber hat der Mann nicht verdient. „Nahaufnahme“ ist nämlich äußerst charmant. Nicht eine einzige Silbe gegrölt. Stattdessen Barjazz-Anklänge in „Liebst du mich“, ein Text mehr hingehaucht als gesungen, satt-warme Akkorde in „Versuch dich zu erinnern“. Selbst eine Rache- Fantasie wie „Du entkommst mir nicht“ gerät zum handzahmen Soul-Stück samt Saxophon-Parlando und Funk-Beat. Kein Song ist darunter, der unvergesslich wäre, richtig daneben ist auch keiner.

Aber dann ist da doch diese kleine Schwäche: In „Georgie“ besingt Westernhagen ein zwei Meter großes Muttersöhnchen, das selbst als Toter eine jämmerliche Figur macht: „Georgie passt nicht in den Sarg / Man hat ihn zersägt, das war arg / Und seine Mutter, der Drachen / verkniff sich am Grabe das Lachen“, reimt der Sänger ganz Ringelnatz’sch. Er selbst lacht darüber. Das ist schlimm.

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