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Kultur: Frieden ist schön, macht aber viel Arbeit

Wie baut man eine Demokratie? Bosnien und Kosovo gelten als Vorbilder für die Nachkriegsgestaltung im Irak. Aus den Fehlern von dort lässt sich viel lernen

Von Caroline Fetscher

Franklin D. Roosevelt sagte einmal, es käme nicht nur darauf an, einen Krieg zu gewinnen, „sondern vor allem, den Frieden zu gewinnen“. Darum geht es nun auch im Irak: winning the peace. Zuletzt ist ein solch ziviler Feldzug in Bosnien und Kosovo geführt worden: Heute liegen die kosovarischen Dörfer friedlich zwischen Wiesen und Bergketten, in einer Landschaft, die an die Voralpen erinnert. Kinder schlendern zur Schule, Traktoren tuckern über die Äcker, Lastwagen transportieren Zwiebeln oder Waschmaschinen, Straßenmärkte und Läden bieten alles Notwendige an, der Schwarzmarkt das Übrige.

Seit der Krieg im Sommer 1999 beendet wurde, regiert hier die Uno. UNMIK lautet das Logo der Protektoren, das steht für United Nations Mission in Kosovo. Aber die meisten von UNMIK versprochenen Segnungen, sagen die Albaner inzwischen, seien ausgeblieben. Als der kosovarische Schriftsteller Beqe Cufaj Ende März hörte, der UN-Generalsekretär habe Deutschland gebeten, die Soforthilfe für den Nachkriegsirak mitzuplanen, schrieb Cufaj in der kosovo-albanischen Tageszeitung „Koha Ditore“: „Lasst uns hoffen, dass es dabei wirklich nur um humanitäre Hilfe geht und nichts weiter als das. Wenn den Irakern auch nur annähernd das widerfährt, was wir um Kosovo erlebt haben, dann Gnade ihnen Gott.“ Man sei, so Cufaj, „erschöpft vom Leben in UNMIKistan!“

In einem offenen Brief attackierte Kosovos Starpolitiker Veton Surroi den derzeitigen deutschen UNMIK-Chef Michael Steiner. „Lieber Michael“, beginnt Vetons langer Brief zum wütenden Abschied von einer Illusion. Weder Steiner noch seinen Vorgängern sei es gelungen, die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Arbeitsplätze fehlen. Nicht einmal eine zuverlässige Stromversorgung in dem kleinen Land ist hergestellt, dabei exportierte der Kosovo in Titos Tagen sogar Elektrizität an Nachbarländer. Noch immer gibt es stundenweise kein Licht. Aber während Privatwohnungen im Dunkeln liegen, werden die Verwaltungsgebäude von UN, OSCE und EU von eigenen Generatoren mit Strom versorgt.

Anfang April schrieb der US-Journalist Steven Schwartz im „Weekly Standard“ einen so polemischen wie passionierten Aufruf an die Bush-Regierung, die Dinge im Irak selbst in die Hand zu nehmen und nicht der UN-Bürokratie zu überlassen. Die sei, wie der Fall Kosovo belege, besonders ineffektiv, wenn sie nach einer Militärintervention tätig werde, die die Uno abgelehnt habe. Die Uno agiere bürokratisch, feindselig gegenüber Privatisierungen und unkoordiniert. Kaum ein Mitarbeiter lernt die Landessprache, den meisten dient der Auslandseinsatz als Karrieresprungbrett. In teuren Landrovern, mit unversteuerten Dollargehältern ausgestattet, leistet die UN-Equipe nur Kurzeinsätze und kehrt saniert ins Hauptquartier zurück. Ständige Rotation verhindert jede Kontinuität.

Wie in Afghanistan – wo der Gegensatz zwischen reichen Internationals und der verarmten Bevölkerung noch krasser ist – findet man im Kosovo die besten Jobs allein „im System“. Fahrer, Putzkräfte, Übersetzer der Internationals verdienen drei Mal mehr als Ärzte an staatlichen Kliniken. „Steiner fängt vieles an und bringt wenig zu Ende“, erklärt ein Professor aus Prishtina. Deshalb raten die Kosovaren den Irakern: Baut auf Amerika.

Mission ohne Missionare

Befreite Bevölkerungen sind undankbar. Warum sollte man auf Knien liegen vor der Welt, die einen in der Tyrannei so lange allein gelassen hatte? Dass die Dächer gedeckt sind, dass die Kinder das ABC lernen, dass es Wasser, Essen gibt und Kleidung, genügt nicht. Die Leute fordern ihr Recht – auf Arbeit, Lohn, Partizipation und Wahlfreiheit.

Der britische Politiker Paddy Ashdown, zurzeit Hoher Kommissar der Vereinten Nationen in Bosnien, meinte am 22. April im Londoner „Guardian“, die Perspektiven für den Irak seien besonders gut, da man aus den Fehlern im Balkan lernen könne. Der größte Fehler in Bosnien sei gewesen, nicht sofort die Korruption einzudämmen und die Justiz zu reformieren. Dasselbe sei im Kosovo passiert. Zu früh habe man Wahlen wieder zugelassen und sich zu spät um das Recht und die Wirtschaft gekümmert: „Erst jetzt fangen wir an, aus Bosnien ein Land zu machen, das attraktiv für Investoren wird.“ Acht Jahre nach dem Krieg. Warum so spät?

Die Besatzer und Befreier scheuten auf dem Balkan davor zurück, als Kolonisatoren aufzutreten. Das Paradox der „demokratischen Mission“ besteht darin, dass sie eine Mission wider das Missionieren ist. Sie soll an die Stelle asozialer Ideologien und Gewaltherrschaft eine Offenheit für soziales Handeln setzen – und die Praxis parlamentarischer Selbstverwaltung. Viel von der bürokratischen Lähmung und Langsamkeit verdankt sich der Unsicherheit, „als wer“ man eigentlich auftritt. Als Colon? Als InterimHerrscher? Als Schlichter? Eine traumatisierte, durch Tyrannei und Krieg unter Schock stehende Bevölkerung muss zunächst ihr Vertrauen in die volle Verantwortung eines Protektorats setzen können. Das UN-Mandat, der „transitorische demokratische Kolonialismus“, erfordert politisches Handeln auf historisch neuer Ebene. Die Instrumente hierfür sind offenbar in der UN noch nicht vollständig entwickelt. Eines Tages sollte sie ein hochwirksames Instrument sein. Doch soweit ist sie noch nicht.

Lieutenant Colonel Rock Marcone, Oberbefehlshaber einer US-Einheit im Irak, erklärte der „New York Times“, seine Soldaten seien im Einsatz umso besser, je mehr Erfahrungen sie im Kosovo gemacht hätten, mit lokaler, muslimischer Bevölkerung und mit akuten Notlagen: „Wir ziehen das aus der Kiste, stauben es ab, und verwenden es neu.“

Für Soldaten mag das gelten. Winning the peace ist aber ein weit komplexerer ziviler Einsatz. Im Kosovo und in Bosnien sind Sandkastendemokratien entstanden. De facto dürfen in Bosnien etwa Bürgermeister gewählt werden, de jure können sie jederzeit von der UN-Verwaltung ersetzt werden – wenn sie sich zum Beispiel weigern, dem Wiederaufbau einer Moschee oder Kirche zuzustimmen. Von solchem Recht, auch dem Recht, korrupte Banken zu schließen, machten die UN-Verwalter zu wenig und zu spät Gebrauch. Geschätzte 60 Prozent (!) der Hilfsgelder sind auf illegalem Weg in Zypern, Liechtenstein oder der Schweiz verschwunden. Ende April steht sogar ein deutscher UNMIK-Mann vor Gericht, der über vier Millionen Euro unterschlagen haben soll.

Winning the democratic peace heißt, eine durch falsche Vormundschaft und Terror vergiftete Gesellschaft von Grund auf umzuwandeln. Der irakische Autor Fadhil Al-Azzawi erzählte in der „Neuen Zürcher Zeitung“, wie Saddam seinen Parteigenossen eine „Demokratie“ entwarf: „,Unsere Demokratie soll sich von westlichen Demokratien grundsätzlich unterscheiden’, sagte er todernst. ,Eine einzige Baath-Partei ist zu wenig, wir brauchen mindestens zwei Baath-Parteien; die eine, um zu regieren, die andere, um die Rolle der Opposition zu übernehmen.’“

Major General Robert Alexis McClure, beauftragt mit „psychological warfare“, einem Teil des Reeducation-Programms der US-Regierung, berichtete in einem Brief vom Juli 1946 an seinen Freund, den Direktor des Medienkonzerns Time-Life: „Wir haben jetzt die Kontrolle über 37 Zeitungen, sechs Radiosender, 314 Theater, 642 Kinos, 101 Magazine, 237 Verleger, 7384 Buchhandlungen und Druckereien. Jeden Monat lassen wir etwa 15 Meinungsumfragen erstellen. Außerdem drucken wir eine eigene Zeitung mit einer Auflage von anderthalb Millionen und drei Magazine, wir managen die Nachrichtenagentur AP in Deutschland, die hier DANA heißt, und 20 Leihbüchereien. Die Aufgabe ist enorm groß.“

Wie groß die Aufgabe war, Deutschland zu entnazifizieren, ist den wenigsten bei uns bewusst. Reeducation war ein Tabu-Thema. Seit einigen Monaten erhält die Heidelberger Professorin Uta Gerhardt erstaunlich viele Anfragen zu ihrem Forschungsthema. Mit Akribie erforscht sie seit Jahrzehnten die Geschichte der Umgestaltung Deutschlands in ein demokratisches, nicht-rassistisches Land. „Es liegt offenbar am Irakkrieg, dass man sich plötzlich dafür interessiert.“ Die Soziologin wünscht sich, die Amerikaner würden ihre ausgefeilten, klugen Konzepte von damals heute erneut ansehen: In den Vierzigerjahren gab es an der Harvard School of Overseas Administration Ausbildungsprogramme für Offiziere der Militärregierung. Sie lernten Geschichte, Recht und Wirtschaft von Deutschland, Italien oder Japan.

Institut für Erfahrungsaustausch

Jahre im voraus wurden Nachkriegsordnung und Reeducation damals geplant. Für den Irak veranstalteten die Amerikaner erst im Herbst 2002 eine Konferenz der Oppositionellen, des Iraqi National Congress (INC), um Nachkriegskonzepte zu entwerfen. Zwar enthält die 100 Seiten starke Erklärung des INC Verweise auf Szenarien von Kosovo bis Ost-Timor, Vergleiche mit nachtotalitären Gesellschaften in Ost-Europa und die Wahrheitskommissionen in Südafrika. Die gegenwärtigen Unruhen, mit denen General Jay Garner im Irak konfrontiert ist, zeigen, dass diese Konzepte noch Papier sind. Zur wichtigsten Einsicht angesichts der Defizite der UN-Verwaltungen in Bosnien und Kosovo gehört: Man braucht Erfahrungsaustausch. Ohne ein „UN-Institute for Transition Studies“, ein praxisorientiertes Trainingscenter für die Transformation zerrütteter Gesellschaften, fangen diese Projekte immer wieder bei Null an. Würden die Erfahrungen weitergegeben, gäbe es Alternativen zu Jay Garners ORHA (Office for Reconstruction and Humanitarian Aid), Alternativen zur „US-Hegemonie“.

Solange die Investition der Staatengemeinschaft in ein solches Projekt fehlt, wird jede „befreite Gesellschaft“ die nächste davor warnen, sich mit den Internationals einzulassen. Baut besser, wird es heißen, auf die Autorität, Finanzkraft und Aktivität Amerikas. Im Fall des Irak ist dieses Dilemma besonders deutlich – dort würden viele Bevölkerungsgruppen lieber der Uno vertrauen als den Amerikanern.

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