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Der Versöhner. David Grossman, Schriftsteller aus Israel.

© dpa

Friedenspreis: David Grossman: Mit der Kerze durch den Sturm

Ohne klare Grenzen gibt es auch keine Heimat. Über die Gräben: David Grossmans Rede zum Friedenspreis in der Frankfurter Paulskirche.

Als David Grossman in der Frankfurter Paulskirche ans Rednerpult tritt, um seine Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zu halten, spricht er zunächst davon, wie sehr er sich geehrt fühle und berührt sei. Das gehört sich so bei Preisverleihungen. Doch diese Worte sind jetzt nichts Routiniertes, sie bestätigen nur die Gefühlsregungen Grossmans bei der vorangegangen Laudatio durch Joachim Gauck und den Reden von Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder und Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth.

Da stand ihm die Rührung ins Gesicht geschrieben, da wischte sich seine neben ihm sitzende Frau die Tränen aus den Augen. Und da zeigte sich Grossman nicht als der aufgeräumt professionelle, von seiner Friedensmission erfüllte Schriftsteller, der zwei Tage lang seinen Pflichten in den Hallen der Buchmesse nachgegangen war. Sondern als ein vom Augenblick überwältigter Friedenspreisträger, der mit den Gedanken bei seinem im August 2006 bei einem Militäreinsatz im Libanonkrieg durch eine Rakete der Hisbollah getöteten Sohn ist.

„Gerne würde ich Ihnen von Uri erzählen“, sagt der bei seiner Rede wieder sehr gefestigt wirkende Grossman, „aber das kann ich nicht. Nur so viel: Stellen sie sich einen jungen Mann am Anfang seines Lebensweges vor, mit all seinen Hoffnungen, seinem Feuer, seiner Lebensfreude, mit der Arglosigkeit, dem Humor, den Wünschen eines jungen Mannes. So war er. Und so waren Tausende und Abertausende anderer Israelis, Palästinenser, Libanesen, Syrer, Jordanier und Ägypter, die ihr Leben in diesem Konflikt verloren haben und weiterhin verlieren.“ Es zeigt die Größe Grossmans, dass er es vermag, von seinem Sohn zu sprechen – und von dessen Gegenüber, dem vermeintlichen Feind.

Diese Fähigkeit, das Leiden der Anderen genauso im Blick zu haben, im Anderen sich möglicherweise selbst zu begegnen, würdigt auch der einstige DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck an diesem Sonntagmorgen in seiner Laudatio, im Beisein von Bundespräsident Christian Wulff, Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker und ehemaligen Friedenspreisträgern wie Friedrich Schorlemmer oder Alfred Grosser: „Was uns belebt und füllt, ist vielmehr die Offenheit gegenüber der Welt, die Bereitschaft, uns dem Anderen zu öffnen und für den Anderen offen zu sein, ist auch die Bereitschaft, uns ehrlich mit allen Facetten des eigenen Ichs zu konfrontieren. Ihre Literatur, David Grossman, ist Vorbild und Anleitung bei diesen Reisen zu den Anderen und zu uns selbst.“

Gauck erläutert vor dem Hintergrund der israelischen Staatsgründung und vor dem der deutschen Wiedervereinigung, wie wichtig es für den Einzelnen sei, sich in einem großen, kollektiven „Wir“ wiederfinden zu können, sei es Familie, Sprache oder Kultur. Sei es, wiewohl viel schwieriger und zu Missbrauch einladend, was Gauck aber lieber verschweigt, Religion, Nation und Staat, „all das, was uns mit den Unseren verbindet und umso mehr Sicherheit verströmt, je ungefährdeter das ist.“ Und er legt dar, wie schwer es gerade die Israelis nach dem Zweiten Weltkrieg hatten, dieses „Wir“ nicht immer gleich als Dichotomie zu begreifen, als Kampf auf Leben und Tod, als Kampf zwischen Israelis und Palästinensern, als „Wir oder sie?“. Gauck fragt schließlich, zu Grossman zurückkommend: „Haben wir den Mut, uns dem Anderen zu nähern, mit ihm solidarisch oder ihm treu zu bleiben, auch wenn unser Wir gekränkt, verletzt, bedroht ist und sich die Reihen schließen? Wieviel Kraft kostete es einen Serben während des Kriegs in Jugoslawien, sich nicht von seiner kroatischen Ehefrau scheiden zu lassen?“

Der Wunschtraum wäre, so wenig Kraft wie möglich, am besten keine. Diesen Traum träumt David Grossman, bei allem scharfen Bewusstsein für die Realität. Zu Beginn seiner Dankesrede erklärt er, wie er mit seinem Roman „Eine Frau fürchtet sich vor einer Nachricht“ demonstrieren wollte, dass es bei aller Härte eines Konflikts wie dem israelisch-palästinensischen darum geht, „das komplexe feine Geflecht menschlicher Beziehungen, Sensibilität, Zartheit und Mitgefühl zu bewahren. Der Versuch, mitten im Krieg an all dem festzuhalten, erscheint mir wie das Vorhaben, mit der Kerze in der Hand durch einen gewaltigen Sturm zu gehen.“

Grossman spricht unermüdlich vom Frieden, den er für „überlebensnotwendig“ hält. Wie ein Mantra nimmt er dieses Wort in den Mund, auch weil er weiß, dass viele in der Nahostregion nicht mehr daran glauben, sich gar nicht vorstellen können, „wie ein Leben in Frieden aussehen könnte. Die meisten haben sich insgeheim damit abgefunden, dass es wohl so etwas wie ein Fatum gibt, welches sie dazu verurteilt, in endlosen Zyklen von Gewalt und Mord zu leben“. Und: „Wenn es endlich Frieden gäbe, hätte Israel endlich Grenzen.“

Denn seit der Staatsgründung, so Grossman – der damit aufs Beste mit Gauck korrespondiert –, kenne Israel keine festen Grenzen, verschöben sich diese Grenzen durch die von Israel erzwungenen oder von den Nachbarn angezettelten Kriege: „Wer keine klaren Grenzen hat, gleicht einem, (...), der keinen festen Boden unter den Füßen spürt. Einem, der kein wirkliches Zuhause hat.“

Der Mensch und Friedenskämpfer David Grossman jedoch hat ein Zuhause, einen festen Anker: die Literatur. Von der „Heimatlosigkeit des jüdischen Volkes“, an der sich bis heute auch durch die Staatsgründung Israels nicht entscheidend viel geändert habe, spricht er noch, und davon, dass „ich in meinem ganzen Leben noch keinen Augenblick wirklichen Friedens erlebt habe“. Krieg zerstöre die Individualität von Menschen, das Besondere, das jeden einzelnen ausmache. Und im Gegensatz dazu stimmt er daraufhin das Hohelied auf die Literatur an, die „ein Ausdruck des Staunens über das Geheimnis des Menschen, seine Komplexität, seinen Reichtum und seine Schatten“ sei – und was es für ihn bedeutet, Schriftsteller zu sein, schreiben zu können, mit seinen Figuren zu kämpfen und sich ihnen, um sie in ihrer Gänze zu verstehen, „schutzlos hinzugeben und ihr Mund zu sein“. Und dabei zu vergessen, sich selbst zu schützen.

Umgekehrt kann man jetzt, das ist David Grossman nur zu gut bewusst, das Schreiben seines Romans „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“, den er drei Jahre vor dem Tod seines Sohnes Uri begonnen hatte, als ein Schreiben gegen den Tod interpretieren, als Versuch, seinen Sohn zu schützen – genau so, wie seine Hauptfigur Ora sich auf Wanderschaft begibt, um ständig über ihren Sohn im Krieg zu reden. Beide Schutzvorhaben misslingen, und doch erzählt Grossman, dass ihn die Literatur zurück in die Welt gebracht habe, er nach dem Ende der Trauerwoche eher instinktiv an den Schreibtisch zurückgekehrt sei, „zurück zu meiner Geschichte, die auf merkwürdige Weise einer der wenigen Orte in meinem Leben war, die ich noch verstehen konnte.“ Er spürt wieder die Lust an der Fantasie, am Erfinden, er entdeckt wieder, „dass das Schreiben für mich der beste Weg ist, gegen Willkür zu kämpfen (...) und gegen das Gefühl, ihr hilflos als Opfer ausgeliefert zu sein.“

David Grossman hat in diesen Buchmessentagen oft gesagt, kein Opfer sein zu wollen, „nicht unserer Feinde und nicht unserer eigenen Ängste“. Und er kann und will es sich nicht erlauben zu verzweifeln. Diese Haltung ist für ihn eine Form von Freiheit.

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