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Kiefer

© AFP

Friedenspreis: Rettet die Bücher!

Der Börsenverein verleiht dem Künstler Anselm Kiefer den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Die Überraschung ist perfekt. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird in diesem Jahr Anselm Kiefer verliehen, einem bildenden Künstler. Kein Mann der geschriebenen Worte, ist Kiefer aber doch berühmt für seine bleiernen Bibliotheken. Unter dem Titel „Volkszählung“ steht eine von ihnen im Hamburger Bahnhof, wo sie neben einem bleiernen Düsenjet zu den markantesten Werken in der ehemaligen Bahnhofshalle des Berliner Museums für Gegenwart gehört. Das acht Meter hohe Bücherregal mit seinen gigantischen Folianten, aus deren Seiten Erbsen zu fallen scheinen, hat es dem Börsenverein anscheinend angetan, der stets zum Ende der Frankfurter Buchmesse seinen Friedenspreis verleiht. In Zeiten, in denen alles Gedruckte sich zunehmend im Internet verflüchtigt, nehmen sich Kiefers Skulpturen aus wie Bollwerke gegen das Verschwinden.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Der Künstler selbst hat sich schon immer gegen solche Interpretationen verwahrt. Auch seine bleiernen Bücherstapel, die sich in vielen Museen finden, seien „kein Denkmal für die verlorene Buchkultur“, sondern für die „geschichtliche Zeit“, sagte er kürzlich. Der Stiftungsrat des Friedenspreises nennt für seine Entscheidung auch in erster Linie andere Gründe: „Anselm Kiefer erschien im richtigen Moment, um das Diktat der unverbindlichen Ungegenständlichkeit der Nachkriegszeit zu überwinden.“ Aber auch diese kunsthistorische Erklärung ist verwunderlich, zumal für Kiefers über vierzig Jahre zurückliegenden Leistungen. Denn der Friedenspreis des deutschen Buchhandels würdigt seit seiner Gründung 1950 vornehmlich publizistisches Schaffen. Und wo kein schriftliches Œuvre vorlag, erklärte sich die Wahl doch mit dem pazifistischen Engagement des Geehrten wie etwa bei dem Geiger Yehudi Menuhin (1979). Als Künstler blieb er die Ausnahme; außer Autoren wurden sonst lediglich noch Politiker geehrt wie Theodor Heuss (1959) oder der Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek (1985).

Mit Kiefer bewegt sich der Friedenspreis erneut in den Spielraum politischer Unwägbarkeit. Nachdem die Auszeichnung der Orientalistin Annemarie Schimmel 1995 wegen vermeintlicher Sympathien für Fundamentalisten heftige Kritik provozierte, entfachte die Dankesrede des Preisträgers Robert Walser zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in Deutschland 1998 einen Sturm der Entrüstung. Ähnlich bewegt sich der 63-jährige Kiefer auf diesem Parkett der Missverständlichkeit.

Im Galeriehaus von Heiner Bastian ist gegenwärtig seine Hitlergruß-Serie zu sehen, die 1969 noch während seines Studiums bei Joseph Beuys an verschiedenen Schauplätzen Europas entstand. Damals wollte keiner diese unerhörten Selbstporträts mit gerecktem Arm ausstellen, schon gar nicht die im Anschluss an die Fotografien entstandenen Gemälde, für die sich Kiefer bis heute einen Platz möglichst in einem deutschen Museum wünscht. „Ich wollte hinter dem Erscheinungsphänomen Faschismus, hinter seiner Oberfläche erkennen, was der Abgrund für mich selbst bedeutet, denn diese Geschichte ist ja Teil jeder Wirklichkeit, auch meiner Selbstfindung. (...) Ich wollte das Unvorstellbare in mir selbst abbilden,“ versucht er seine Technik der Bannung zu erklären. Heute vermag dieses Jugendwerk zwar niemanden mehr zu verstören, die Geste des agent provocateur hat man oft genug gesehen. Im Zusammenhang mit dem Friedenspreis könnte sie jedoch erneut Anstoß erregen.

Die Gefahr einer Missverständlichkeit im Kontext der Literatur gilt auch für den Intellektuellen Kiefer, der sich in den letzten Jahren in zahlreichen Interviews geäußert hat. Keine klare Friedensbotschaft formulierte er dort, wie es von einem bildenden Künstler auch kaum erwartet wird, sondern ein raunendes Weltbilds auf der Grundlage von Paul Celan, mit Anleihen bei der Kabbala und mesopotamischen Mythen, in dem sich Makro- und Mikrokosmos wieder vereinen sollen. Auch deshalb ist das Votum für Kiefer befremdlich. Nun wird man mit umso größerer Spannung Anselm Kiefers Dankesrede am 19. Oktober in der Frankfurter Paulskirche entgegensehen, denn darin geht es traditionell um Literatur und Moral, Freiheit und Politik.

Und doch ermöglicht ein Name wie der von Anselm Kiefer eine Neujustierung, ja Öffnung des Friedenspreises zu anderen kulturellen Terrains. Zweifellos gehört er zu den bedeutendsten Künstlern unserer Zeit, der sich nach der Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte philosophischen Fragen widmet. Nachdem es seit seiner eher enttäuschenden Berliner Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie 19.. lange Zeit still um ihn geworden war und der hochgepriesene Künstler sich nach Südfrankreich aufs Land zurückgezogen hatte, ist er nun wieder gefragt. Mit einer Ausstellung in der Londoner Galerie „White Cube“ vor drei Jahren, einer Retrospektive im Guggenheim-Museum von Bilbao, seinen jüngsten Präsentationen im Pariser Grand Palais und im Louvre, wo er nach George Braque als zweiter zeitgenössischer Künstler dauerhaft mit einem Wandgemälde vertreten ist, meldete er sich vehement zurück.

Die Zeit scheint wieder reif für Mythen. Kiefer bringt sie zum Klingen, durch seine anspielungsreiche Verwendung von Blei, Gold und Silber, Teer und Stroh, Mohnkapseln und ausgebleichten Mädchenkleidern. „Mythologische Bilder besitzen Heilkraft, aber man muss sie entschlüsseln lernen,“ hat er einmal gesagt. Offensichtlich erhofft sich der Börsenverein diese Heilkraft auch für die bedrohte Welt der Bücher.

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