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Friedenspreis: Wider die Grabesruhe

Buchmessen-Finale: Zur Verleihung des Friedenspreises an den mutigen algerischen Schriftsteller Boualem Sansal

Viel ist von Krieg die Rede bei dieser Preisverleihung am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche. Von Diktatur und Barbarei. Dabei wird ein Friedenspreis verliehen. Aber der Geehrte kommt aus einem Land, das seit über 50 Jahren nur Krieg erlebt hat – Befreiungskrieg, Bürgerkrieg und einen bis heute währenden Feldzug gegen Freiheit und Andersartigkeit. Der algerische Autor Boualem Sansal erklärt in seiner Rede, dass er vielleicht nur an Krieg glauben kann, weil er aus seiner Heimat nichts anderes kennt. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass sein Schreiben wider die „Grabesruhe“ dem Frieden diene. Das habe ihm die überraschende Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erst bewusst gemacht, sagt der 62-Jährige, der zum grauen Zopf Anzug und Krawatte trägt.

Wie weit Algerien bis heute von Frieden und Versöhnung entfernt ist, macht der eine Platz deutlich, der in der Paulskirche leer bleibt. Der algerische Botschafter ist nicht zur Ehrung seines Landsmannes erschienen. „Meine Situation wird sich nicht verbessern, weil ich den Friedenspreis nach Hause bringe“, befürchtet Sansal, den das Regime als „Schreiberling“ abtut. Er ist einer der wenigen kritischen Autoren, die noch in Algerien leben und nicht ins Exil gegangen sind.

Seine Bücher sind in seiner Heimat verboten und werden nur im Ausland verlegt. Sein Debütroman „Der Schwur der Barbaren“ genauso wie „Das Dorf der Deutschen“ von 2008, mit dem er auch in Deutschland für Aufsehen sorgte, geht es doch um zwei deutsch-algerische Söhne und die NS-Vergangenheit ihres Vaters, eines Helden des algerischen Unabhängigkeitskampfs. Sansal tritt zu Hause nicht öffentlich auf. Der frühere Regierungsbeamte lebt zurückgezogen, seine Frau verlor ihre Arbeit als Lehrerin. Ständig droht ihnen Gefahr vonseiten des Regimes und der Islamisten. Es ist eine Art Hausarrest.

Gerade diese Situation macht den leisen Sansal zu einem würdigen Preisträger. Denn er verfügt nur über eine einzige Macht: die des geschriebenen Worts. Der Autor sei eine „einzelne Stimme, die auf die langsame Kraft der Literatur vertraut“, betont Peter von Matt in seiner Laudatio. Zwar könne Literatur die „Störrischkeit der Zeit nur langsam sprengen“, so der Schweizer Autor und Literaturwissenschaftler mit einem Satz Heinrich von Kleists. „Aber kein Felsen kann ihr auf Dauer widerstehen.“ Der Umbruch in der restlichen arabischen Welt beweist es.

Von Matt stellt Sansal als politischen Kopf und Satiriker vor, „witzig und weise, unerbittlich kritisch und gnadenlos hart im Urteil über die Habgier der Mächtigen“. Doch er will dessen Werk nicht auf eine literature engagée reduziert wissen. Sein „detailversessener Realismus“ stimuliere alle fünf Sinne, darüber wölbe sich in den „schlanken und präzise austarierten Romanen“ ein größerer, historischer Bogen. Matt rühmt „Harraga“ (2007), Sansals Hommage an den Mut der algerischen Frauen, als dessen „ergreifendsten Roman“. Eindruckvoll zeige er auf, wie den jungen Menschen in Algerien das Recht auf Glück verweigert wird. Viele wollen das Land nur noch verlassen.

Seine geistige Unabhängigkeit, für die Boualem Sansals am letzten Tag der Frankfurter Buchmesse geehrt wird, stellt der Autor auch in seiner Dankesrede unter Beweis. Unerschrocken spricht er über den „heimtückischen Krieg der Führer der algerischen Befreiungsbewegung um die Macht“, prangert den grausamen Despotismus des jetzigen Regimes und die „blindwütige Barbarei“ der militanten Islamisten an. Seine umstrittene Gleichsetzung von Islamismus und Nationalsozialismus wiederholt er in Frankfurt allerdings nicht. Auch nicht seine Charakterisierung französischer Migrantenvorstädte als „Konzentrationslager“.

Den Westen, der den Arabischen Frühling feiert, sieht er weiterhin kritisch. „Westliche Demokratien haben sich zu lange von arabischen Diktatoren betören lassen oder im Namen der Realpolitik gesündigt.“ Die Erfahrung in seinem Land, dessen „Revolution“ von 1988 in Bürgerkrieg und Blutvergießen mündete, lässt ihn die Umbrüche in Nordafrika ohnehin mit Skepsis wahrnehmen. Er weiß, dass zu einer wirklichen Befreiung auch die Befreiung von überkommenen Ideen und Narrativen gehört.

Und doch: Pessimismus ist dem Preisträger fremd. Die arabische Revolte ist für ihn Teil einer universellen Bewegung, die sich allen Diktaten widersetzt. Auch Palästinenser und Israelis, so hofft er, werden sich eines Tages in „gemeinsamer Wut“ vereinen und alle Mauern niederreißen. Sansal preist den Gang von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas vor die Vereinten Nationen, um die Anerkennung eines unabhängigen Palästinenserstaats zu erwirken. Erstmals hätten die Palästinenser nicht im Dienst des arabischen Nationalismus oder eines anderen Heils gehandelt, sondern aus freiem Willen. Das außergewöhnliche Ereignis werde große Auswirkungen haben, ähnlich wie die Selbstverbrennung des Tunesiers Mohamed Bouazizi, prophezeit der Schriftsteller.

Auch wenn sich der Friedenspreisträger des Vorjahrs, David Grossmann, ebenfalls für die Versöhnung zwischen Palästinensern und Israelis ausgesprochen hatte, hören die in der Paulskirche Versammelten solche Worte womöglich nicht sonderlich gerne. Der Applaus hebt jedenfalls so abrupt an, dass man meinen könnte, die Festgemeinde sei froh über das Ende von Boualem Sansals unbequemer Rede.

Boualem Sansal tritt am Donnerstag, den 20. Oktober, um 18 Uhr im Deutschen Theater Berlin auf. Es moderiert Thierry Chervel („Perlentaucher“).

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