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Friedrich Pollock, als bürgerlicher Intellektueller porträtiert.

© Archivzentrum der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Nachlass Friedrich Pollock

Friedrich Pollock: Er war die graue Eminenz der Frankfurter Schule

Friedrich Pollock war Finanzdirektor des berühmten Instituts für Sozialforschung. Die erste Biografie über ihn rückt die Kritische Theorie in ein neues Licht.

Die Historisierung der Kritischen Theorie ist in vollem Gange. Nach den Biografien der Granden und den Gesamtdarstellungen, die zuletzt Stuart Jeffries mit „Grand Hotel Abgrund“ vornahm, kommen auch halb verborgene Akteure ans Licht. Zu ihnen zählt neben dem „argentinischen Krösus“ Felix Weil, über den vor zwei Jahren eine Biografie erschien, auch Friedrich Pollock.

Beide gehörten zu den Gründern des Instituts für Sozialforschung, blieben aber an Bekanntheit weit hinter Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Erich Fromm, Herbert Marcuse oder Walter Benjamin zurück. Am berühmtesten ist Pollock vielleicht durch die Widmung im Vorsatzblatt der „Dialektik der Aufklärung“ geworden.

Nun hat Philipp Lenhard eine erste Biografie vorgelegt. Sie zeigt neben der Person auch die Entstehungs- und Erhaltungsgeschichte des Instituts in neuem Licht. Das Ziel, Pollock als eigenständigen Kopf im Feld der Kritischen Theorie darzustellen, ist nachvollziehbar.

Schließlich ist Lenhard Herausgeber der Werke Pollocks, die im Freiburger Verlag ça ira erscheinen. Lenhard versucht, Pollocks Unscheinbarkeit, seinen Status als Finanzdirektor zu dem eines „Co-Autors“ im Hintergrund umzudeuten.

Denn nicht allein hielt Pollock den Großphilosophen des Instituts durch seine Verwaltungstätigkeit den Rücken frei. Über Jahrzehnte versorgte der marxistisch geprägte Wirtschaftstheoretiker das Institut mit Analysen zu Planwirtschaft und Staatskapitalismus, auf deren Grundlage so berühmte Theoreme wie die „Dialektik der Aufklärung“ oder die „verwaltete Welt“ entwickelt werden konnten.

Eine Freundschaft fürs Leben. Max Horkheimer im Schlepptau von Friedrich Pollock am Meeresstrand.
Eine Freundschaft fürs Leben. Max Horkheimer im Schlepptau von Friedrich Pollock am Meeresstrand.

© Archivzentrum der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Nachlass Friedrich Pollock

Pollock war so etwas wie der Ausguck, der die historischen Stürme kommen sah. Er erkannte die Bedrohung des Instituts durch den Nationalsozialismus und sorgte rechtzeitig für Dependancen im Ausland.

Manche seiner Analysen erwiesen sich freilich als falsch, etwa über den nationalsozialistischen Antisemitismus, den er für ein Ablenkungsmanöver hielt, da er vor allem Kapitalinteressen am Werk sah und eine irrationale Realität wie diese schwer begreifen konnte.

Nachdem er seinen Irrtum eingesehen hatte, nahm er jedoch entschieden an der Antisemitismusforschung des Instituts teil.

[Philipp Lenhard: Friedrich Pollock. Die graue Eminenz der Frankfurter Schule. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 382 Seiten, 32 €.]

Auch seine Tätigkeit als Kassenwart hat zumindest zwei Seiten: Er verspekulierte sich bei Anlagegeschäften und verlor erhebliche Teile des Institutsvermögens in einer Zeit, als das Institut die Existenzen exilierter Wissenschaftler sichern half.

Aber die Pollock nachgesagte Knausrigkeit stellt Lenhard infrage. Immerhin habe Pollock viele Personen unterstützt (freilich immer die eigene und Horkheimers Versorgung vorausgesetzt) – und Walter Benjamin zeitweilig sogar ein höheres Einkommen als den meisten zukommen lassen.

Lenhard stellt auch eine Persönlichkeit dar. Zumal der Einblick in Pollocks Lebensfreundschaft mit Horkheimer offenbart einen symbiotischen Zweierbund und deutet das Psychogramm dieses Lebensentwurfs zumindest an.

Wie Lenin und Trotzki, wie Marx und sein „Schutz-Engels“ seien sie erschienen, manchem aber auch als „doppelclown horkheimer und pollock“ (Brecht).

An erster Stelle stand für ihn Max Horkheimer

Ausgehend von einer vielleicht homoerotischen Annäherung in der Jugend, fassten die beiden jüdischen Unternehmersöhne ihren Freundesbund 1911 in einem regelrechten Vertrag, der zeitlebens in Memoranden in einem bis ins Groteske sachlichen, „pseudo-juristischen Stil“ neu aufgelegt wurde und von der Münchener Räterepublik bis zum gemeinsamen Lebensabend in der Doppelvilla in Montagnola überdauerte.

Rigide wurde darin „interieur“ von „exterieur“ unterschieden – also einerseits das Freundespaar (mit Ehefrauen, die es bei aller Liebe paternalistisch zu erziehen galt), andererseits das Institut und die übrige Welt.

Diese Konstruktion scheint Pollock einiges an emotionaler Arbeit abgenommen zu haben, was besonders zutage trat, als sein Bruder sich nach Kriegsende aus Argentinien meldete. Sprachlos und distanziert verhält sich Pollock gegenüber dieser unerwarteten Annäherung.

Er antwortete dem Bruder konstant einsilbig und auf Englisch, während er mit dem Freund selbstverständlich auf Deutsch korrespondierte. An erster Stelle stand für ihn immer Max Horkheimer.

Er stand buchstäblich hinter diesem: So beschrieben es Zeitzeugen, die Pollock als Schatten hinter dem am Schreibtisch sitzenden Horkheimer erlebten. Eine Fotografie in dem Band zeigt sie genau so.

Frieden als gutes Geschäft

Aktuelle Bezüge tun sich auf, wenn es zu Pollocks revolutionären Automatisierungsthesen aus den 50er Jahren kommt und seiner Prognose, dass Wahlen mithilfe von Großrechnern beeinflusst und gewonnen werden könnten.

Eine der interessantesten Aussagen kommt aber nicht von Pollock, sondern von Eleanor Roosevelt. Sie lud den Ökonomen während des Kriegs zusammen mit Horkheimer zu einem Dinner mit dem Präsidenten und veranlasste einen Programmentwurf zum europäischen Wiederaufbau.

Dem erstaunten Intellektuellen erklärte sie vorher genau, wie so etwas zu machen sei, damit es „hier in NYC“ auch Gehör finde: Anstelle von eleganten Theorien sollte das Papier direkt „an das Eigeninteresse des durchschnittlichen Menschen“ appellieren und zeigen, dass ein gerechter Frieden auch „ein gutes Geschäft“ ist.

Hans-Christian Riechers

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