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Friedrich und Polen: Ablehnung und Verachtung

Friedrichs Haltung zu Polen blieb in der deutschen Forschung lange unbeachtet – dabei ist Polen ein Erbe der Überreste Preußens.

1752 – Friedrich II. regierte in Preußen zwölf Jahre und hatte die Annexion Schlesiens in zwei Kriegen verteidigen können – befand sich Mitteleuropa im Frieden. Der König entwarf jedoch in seinem „Politischen Testament“, einer Mischung aus Selbstreflexion und Ratschlägen für seinen Nachfolger, Eroberungspläne Richtung Polen: „Ich glaube nicht, dass ein Waffengang das beste Mittel wäre, diese Provinz dem Königreich hinzuzufügen, und ich bin geneigt, Euch das zu sagen, was Victor Amadeus, König von Sizilien, Karl Emanuel zu sagen pflegte: ‚Mein Sohn, man muss Mailand verzehren wie eine Artischocke, Blatt für Blatt'. Polen ist ein Wahlkönigtum; beim Tode seiner Könige ist es durch Parteien immerwährend beunruhigt. Dann ist es Zeit, daraus Nutzen zu ziehen, und durch unsere Neutralität bald eine Stadt, bald einen anderen Bezirk zu gewinnen, bis alles geschluckt ist.“

Polen wie eine Artischocke verzehren und Schritt für Schritt annektieren – dieses Bild erfand Friedrich, wie auch andere Zitate, die er Dritten in den Mund legte, wohl selbst. Und es sollte sich bewahrheiten. Keine 50 Jahre später hatte sich der preußische Staat durch die Eingliederung von Teilen Polens mit etwa 150 000 km² in seiner Größe verdoppelt, 40 Prozent der preußischen Untertanen sprachen polnisch, Warschau war die zweitgrößte Stadt und die preußischen Grenzpfähle standen an den Grenzen von Grodno (Belarus) und Kaunas (Litauen). Erst diese Annexionen, die 1815 gegen die Rheinprovinz eingetauscht wurden, ermöglichten das Hineinwachsen nach Deutschland und machten Preußen zu einer Großmacht.

Friedrichs Vorfahren waren für gute Beziehungen zu Polen

Friedrich und Polen – hierbei handelt es sich um ein lebenslanges Verhältnis, das von Ablehnung und Verachtung geprägt war, jedoch die deutsche – im Unterschied zur polnischen – Forschung kaum beschäftigt hat. Seine Vorfahren hatten über mehrere Jahrhunderte ein gutes Verhältnis zum östlichen Nachbarn gewahrt; der große Kurfürst formulierte eigenhändig für seine Nachkommen: „Mitt dem konige in Pollen vndt der Republick, als den negsten Nachbahren, erstlich wegen der Chur Brandenburg, vndt dan auch wegen Preussen, haltet alzeitt gutte Nachbarschaft“. Ihm war bewusst, dass Brandenburg-Preußen eine mehr als 1000 Kilometer lange Grenze zum polnisch-litauischen Nachbarn besaß, der achtmal größer und dem aufstrebenden Nachbarn an Ressourcen und Bevölkerung überlegen war. Auf ein gutes Miteinander mit Polen war die brandenburg-preußische Staatsräson aufgebaut, nur in Preußen, einem ehemals polnischen Lehnsherzogtum, könnte die Königskrone erworben werden. Erst Friedrich II. kehrte dies um.

Hierbei war er von persönlichen Voreingenommenheiten beeinflusst. Der junge Friedrich machte während Besuchen in Dresden und Gegenbesuchen in Berlin mit dem sächsisch-polnischen Adel Bekanntschaft, 1735 begegnete er dem polnischen Thronprätendenten Stanislaw Leszczynski und dessen Entourage im östlichen Preußen und hielt brieflich fest, „polnische Herren und Damen“ sähen wie „häßliche Affen und häßliche Affenweibchen“ aus: „Das sind nicht Leute wie die, die Sie in Dresden gesehen haben, diese hier verstehen – mit wenigen Ausnahmen – nur polnisch und sind so schmutzig und schmierig, dass man Angst vor ihnen bekommt. Ich habe ihnen eine tadellose Ansprache gehalten“. Der junge Thronfolger nahm sich als „tadelloses“ Mitglied der aufgeklärten Eliten war, während er auf die katholische Adelskultur herabschaute – diese Zuschreibungen prägten lebenslang.

Als Herrscher entwickelte Friedrich II. seit 1740 eine politische Linie, die sich vor allem gegen Habsburg und Sachsen-Polen wendete. In der deutschen Geschichtsschreibung ist die antisächsische Politik Friedrichs oft nicht mit antipolnischen Politiklinien zusammengebracht worden. Der Siebenjährige Krieg entstand aus einem Präventivkrieg gegen Sachsen, den Friedrich mit dem Ziel entfesselte, Sachsen ähnlich wie Schlesien zu erobern.

Friedrich vergleicht Polen mit Huronen und Irokesen

Während des Siebenjährigen Krieges plünderten preußische Truppen Sachsen systematisch aus. Als finanziell besonders einträglich erwies sich dabei eine gegen jegliches Kriegsrecht betriebene Münzverschlechterungspolitik: Friedrich ließ durch ein Münzkonsortium in Leipzig und Dresden nicht nur preußische, sondern auf der Basis der erbeuteten polnischen Münzstempel auch minderwertige polnische Münzen – Polen war im Krieg neutral – in großem Umfang nachprägen, zog die höherwertigen Münzen ein und erzielte so erhebliche Gewinne. Das minderwertige Geld sollte nur in Polen, Litauen und Ungarn, vertrieben werden. Natürlich lösten die Münzverschlechterungen eine gigantische Inflation aus und schädigten polnische Untertanen in erheblichem Ausmaß. Was haben die Münzmanipulationen Friedrich II. eingebracht? Der friedrichfreundliche Reinhold Koser hat den Beitrag zur Finanzierung des Siebenjährigen Krieges mit über 20 Prozent veranschlagt; neuere Studien kommen zu höheren Zahlen.

Die erste Teilung Polens 1772 wurde von Friedrich II. dezidiert als Zivilisierungsmission gerechtfertigt. Die Polen seien unzivilisierte Eingeborene, „Irokesen“ und „Huronen“, die aus dem Siebenjährigen Krieg in Übersee bekannten Indianer Nordamerikas: „Wir werden den armen Irokesen die europäische Zivilisation bringen.“ Diese Abwertung der polnischen Eliten sollte die Teilung als wohltätige Mission erscheinen lassen.

Dabei wurde der Wert der Annexionen in Polen systematisch heruntergeredet. An seinen Bruder Heinrich, der die Teilung in Petersburg diplomatisch vorbereitet hatte, schrieb Friedrich im Juni 1772: „Ich habe dieses Preußen, das ich in gewisser Weise aus Euren Händen erhalten habe, gesehen; es ist eine sehr gute Erwerbung und sehr vorteilhaft, sowohl für die politische Situation des Staates wie für die Finanzen; aber um weniger Eifersucht zu erwecken, sage ich zu Jedem, der es hören will, ich hätte dort während meiner Reise nur Sand, Fichten, Nebel und Juden gesehen.“

Referenzautor für die Ablehnung alles Polnischen

Alles deutet darauf hin, dass im Zuge dieser zielgerichteten Kampagne von Friedrich auch das böse Stereotyp von der „polnischen Wirtschaft“, für eine angeblich schlechte Wirtschaftsweise erfunden wurde. Zumindest stammt der älteste Nachweis aus dem friderizianischen Kabinett. Am 2. Oktober 1781 hieß es an die Verwaltung in Westpreußen, als Steuerschulden aufliefen: „Das ist alles die liederliche polnische Wirtschaft der dortigen Edelleute Schuld, die sich nicht zur Ordnung gewöhnen wollen, darum müssen sie das so machen und durchaus keine Reste gestatten, vielmehr scharf dahinter her sein und den Edelleuten Exekution geben, bis sie alles bezahlet haben, denn ansonsten schicken sie das Geld doch nur nach Polen oder fressen alles auf „.

Tatsächlich entwickelte sich Friedrich der Große im 19. Jahrhundert zu einem Referenzautor für eine Abwertung alles Polnischen. Befehle zum Umgang mit der polnischsprachigen Bevölkerung wie „diesen sklavischen Leuten bessere Begriffe und Sitten beizubringen“ oder „solche mit der zeit mit Teutsche zu meliren“ verinnerlichte die Beamtenschaft und leitete daraus ein Überlegenheitsgefühl ab.

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert beriefen sich die preußisch-deutschen Eliten für die Abwertung von Polen häufig auf den „großen König“. Otto Hintze, einer der führenden preußischen Historiker, formulierte: „Ordnung und höhere Gesittung sind hier erst durch die preußische Herrschaft begründet worden; wenn der König immer darauf drängte, die minderwertigen polnischen Bevölkerungselemente so viel wie möglich durch deutsche zu ersetzen, so leitete ihn dabei mehr ein unbewußtes Stammesgefühl“.

Kein Nationalist, aber eine Persönlichkeit, an deren Einschätzung sich Deutsche und Polen entzweiten. In dem Maße in dem sich in Deutschland eine über weite Strecken nationalistisch und gegenwärtig kulturalistisch gewendete positive Friedrich-Wahrnehmung durchsetzte, wurde die polnische Wahrnehmung kritischer: Friedrich II. erschien als „Feind“ der Polen und der polnischen Staatlichkeit. Die Ursache liegt auf der Hand: Die deutschen Darstellungen und Debatten um Friedrich II. wurden in Polen stets intensiv rezipiert und – vor dem Hintergrund der deutsch-polnischen Konfliktgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts – in eigene Gegenpositionen umgesetzt. So führten einseitige nationale Indienstnahmen Friedrichs und kulturalistische Inszenierungen unter Ausblendung der Gesellschafts- und Politikgeschichte in Ostmitteleuropa zu scharfer Kritik aus Polen.

Die Europäische Erinnerung an Friedrich ist auf Polen angewiesen

In dem Maße, in dem sich seit etwa 1960 in der deutschen Forschung und Öffentlichkeit ein kritisches Friedrich-Bild durchsetzte, entfalteten polnische Darstellungen auch Grautöne und Nuancen. Je reflektierter und kritischer die deutschen Diskussionen über Friedrich, um so eher ist auch in Polen eine nuancierte Einschätzung möglich.

Das gilt natürlich auch anders herum: In dem Maße, in dem sich in und um Berlin eine rein sentimental-verklärende Erinnerung entwickelt, die die Seidenraupenzucht aufgreift, aber blutige Schlachten und brutale Machtpolitik verdrängt, wird dies Kritik auslösen. Wenn die deutsche Seite den vorgeblich sparsamen Landesvater Friedrich angesichts der überbordenden Staatsverschuldung zum Schutzpatron einer neuen deutschen Sparpolitik macht, wird dies die polnische Wachsamkeit gegenüber einem Revival einer Preußenwelle verstärken.

Dabei ist eine europäische Erinnerung an Friedrich auf Polen angewiesen. Die Territorien der preußischen Monarchie aus den Zeiten Friedrichs II. liegen heute zu etwa 70 Prozent in Polen. Unser östlicher Nachbar ist zu einem erheblichen Teil zum Erben zumindest der baulichen Überreste Preußens geworden; hier wird ein Gutteil der preußischen Archivalien und Bibliotheksbestände aus dem 18. Jahrhundert verwahrt. Obwohl nach 1945 im Zuge der staatlich verordneten „Entpreußung“ große Teile des klassizistischen architektonischen Erbes des 18. Jahrhunderts abgeräumt wurden, kann es einem polnischen Bürger in Kulm (Chelmno), Bromberg (Bydgoszcz), Stettin (Szczecin) oder Breslau (Wroclaw) auch bei oberflächlichen Spurensuche kaum entgehen, dass er in den Überresten des friderizianischen Preußen lebt.

Bis hin zu Schleusen aus dem 18. Jahrhundert sind Reste des Netzekanals erhalten, die zu einer attraktiven Preußenroute für touristische Binnenschiffer – von der Spree und Oder bis zur Weichsel – ausgebaut werden könnten. An dieser Stelle könnte eine – durchaus kritisch gehaltene, aber zu einer offenen Auseinandersetzung mit friderizianischen Traditionen einladende – Beschäftigung mit Friedrich II. und Preußen stattfinden. Diese wird zwar im Falle des Preußenkönigs notwendigerweise kontrovers ausfallen, könnte aber ein historisch authentischeres und für zukünftige Generationen von Europäern eher aktualisierbares Bild des Monarchen vermitteln, als die gegenwärtige Kulturalisierung und Brandenburgisierung im Westentaschenformat.

Der Autor ist Professor für osteuropäische Geschichte in Gießen. Sein neuestes Buch „Friedrich II. zwischen Deutschland und Polen“ ist im Alfred-Kröner-Verlag erschienen.

Hans-Jürgen Bömelburg

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