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Kultur: Frühlingserwachsen

Irgendwo muss die Energie ja hin: Heute beginnt das Theatertreffen der Jugend im Haus der Berliner Festspiele

Heinrich ist ein hilfloser Kerl. Er klemmt zwischen sechs starken Frauen. Immer wieder rutscht ihm die Brille von der Nase. „Liebst Du mich, wie ich Dich liebe?“, fragt die junge Frau im goldenen Kleid, während sich alle gegenseitig Essen in den Mund schieben. „Weiß nicht“, sagt er. „Über die Maßen“, sagt sie. „Was heißt das eigentlich, über die Maßen?“, fragt Heinrich. Sie: „So sehr, dass ich für dich sterben könnte.“ Heinrich: „Das halte ich für dumm.“ Die anderen kichern.

Es ist eine tolle Szene aus Dea Lohers „Blaubart“-Adaption, die die Schüler der Freien Walddorfschule Kreuzberg auf die Bühne bringen, so beiläufig und skurril. Und sie steht für eine ganze Reihe von Inszenierungen, die zum Theatertreffen der Jugend eingeladen wurden. Um Liebe geht es. Wenn man es genau nimmt: ums anstrengende Erwachsenwerden. Die Jugendlichen bespiegeln sich auf ironische Weise.

Das Festival beginnt am heutigen Freitagabend, es läuft bis 4. Juni. Berlin ist in diesem Jahr besonders stark vertreten: Drei der insgesamt acht Stücke kommen von hier. Neben der Produktion der Kreuzberger Walddorfschule außerdem „Ferienlager – Die 3. Generation“ der Akademie der Autodidakten am Ballhaus Naunynstraße. Und Nurkan Erpulats „Clash“ des Jugendensembles des Deutschen Theaters. Erpulat kann also gleich im Haus der Berliner Festspiele bleiben. Er war bereits beim gerade erst zu Ende gegangenen „großen“ Theatertreffen eingeladen gewesen.

Das Festival der Jugend findet in diesem Jahr zum ersten Mal an diesem Ort statt, bisher bespielte man das Kulturzentrum „Wabe“ im Prenzlauer Berg. Der Wettbewerb ist Teil der Berliner Festspiele, warum ihn also bei seiner 32. Version nicht auch unters Dach holen? Die neue Spielstätte ist also ein Signal. Christina Schulz, die die Leitung des Festivals seit vergangenem Jahr übernommen hat, will das Theatertreffen der Jugend sichtbarer für die Öffentlichkeit machen. Sie trägt damit einer Entwicklung des Jugendtheaters Rechnung, das längst nicht mehr nur in Turnhallen und Jugendzentren seine Bühnen findet. Fast jedes etablierte Stadttheater hat heute einen eigenen Jugendclub. Profis arbeiten mit den jungen Darstellern, die Technik wird immer besser. Auch deshalb zieht man in die Schaperstraße, hier gibt es die Infrastruktur eines professionellen Betriebs.

Workshops bringen die einzelnen Gruppen aus ganz Deutschland zusammen, es gibt Diskussionen mit Theatermachern, eine Festivalzeitung und ein Blog im Internet, auf dem junge Kritiker ihre frischen Eindrücke hinterlassen.

116 Schauspielgruppen aus ganz Deutschland haben sich in diesem Jahr beworben. Die Jury besteht aus Theaterpädagogen und Regisseuren. Dass ausgerechnet drei Produktionen aus Berlin von der Jury aus Theaterpädagogen und Regisseuren ausgewählt wurden, sei Zufall, sagt die Leiterin Christina Schulz. Aber sie spiegeln die Szene und ihre Bandbreite wider. Die Produktionen entstanden in einer Schule, in der Off-Szene und am Schauspielhaus.

Wichtig ist den Juroren, dass die Ensembles jugendliche Fragen und Probleme prägnant herausarbeiten. Wie treffsicher sie formulieren können. Und sei es mit dem Körper: Die vier Jungs aus „Testosteron“ vom TheaterGrueneSosse aus Frankfurt am Main galoppieren über die Bühne, schnellen in die Höhe, rangeln. Irgendwo muss die Energie halt hin, wenn man sich in ein Mädchen verliebt hat und die einen nicht beachtet.

Vieles ist biografisch. Das ist, gerade bei jungen Erwachsenen, einnehmend, ehrlich, wahr. Und ist ein leichtfüßiger Umgang mit der Kunstform Theater. Das Dokumentarische hat hier so gar nichts vom gekünstelten Hineinzerren in den Bühnenraum.

„Es wurde geschossen. Nachmittags, so. Das waren die Rebellen, die rübergekommen sind. Die haben Menschen getötet und das ganze Land kaputt gemacht. Dann kam meine Tante und meinte, wir müssen abhauen“ erzählt ein junges Mädchen in dem Stück „Liberation is a journey“ vom Forum Freies Theater Düsseldorf. Sie ist mit sechs Jahren von Guinea nach Deutschland geflüchtet. Filmszenen wechseln sich in dieser formal radikalen Inszenierung mit den chorischen Klängen einer 20-köpfigen Vocal Band ab. Junge Migranten erzählen ihre eigene Geschichte. Genauso wie in „Clash“ und „Ferienlager“.

Klassische Stoffe bieten den Jugendlichen offensichtlich keine Basis. Sechs Stücke sind Eigenproduktionen. Nur der Theaterjugendclub „Die KarateMilchTiger“ vom Schauspielhaus Chemnitz hat sich Shakespeares Romeo und Julia angenommen – in einer freien Adaption. Die Schülergruppe aus dem bayerischen Gymnasium Unterschleißheim hat gleich drei Stücke so verarbeitet, dass ein sehr komplexes Nachdenken über Fernsehen und Theater herauskommt. Sie kombiniert Brechts „Mutter Courage“ mit der TV-Serie Bonanza. Dazwischen sinnieren die drei Schwestern von Tschechow über das Lesen und eine Peter-Handke-Figur über das Theater als solches: „Das Theater taugt nicht zu Lösungsvorschlägen, höchstens für Widersprüche.“ Das Erwachsenwerden auch.

Haus der Berliner Festspiele, Schaperstraße 24, bis 4. Juni. www.berlinerfestspiele.de, http://blog.theatertreffen-der-jugend.de

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