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Kultur: Fuck Hollywood!

Regisseur Larry Clark über kaputte Kindheiten und den Segen der freien Sexualität

Mister Clark, wären Sie gerne ein ewiger Teenager?

Nein, ich hatte sogar eine verdammt beschissene Kindheit und eine zerrüttete Familie – und viele meiner Freunde waren drogenabhängig und prostituierten sich. Das spiegelte sich schon in meiner frühen Arbeit als Fotograf wider. Jugendliche mit einer schweren Kindheit sind dann zu meinem Thema geworden. Zwei der Geschichten in „Ken Park“ gehen auf Erlebnisse von Freunden zurück. Andere Figuren sind eine Mischung aus Menschen, über die ich in der Zeitung gelesen und von denen ich gehört habe.

Hätte „Ken Park“ anders ausgesehen, wenn er wie „Kids“ vor zehn Jahren gedreht worden wäre?

„Ken Park“ sollte sogar mein erster Film werden, aber das Projekt zerschlug sich damals an der Finanzierung. Der Film sollte eindeutig und ungeschönt sein – so wie meine ersten Fotos. Dabei wollte ich mich nicht um Altersfreigaben scheren, sondern ohne Kompromisse drehen.

„Kids“ war ein sehr hoffnungsloser Film. Diesmal sehen sie das Schicksal der Jugendlichen optimistischer und sogar zärtlicher. Ein Fall von Altersmilde?

Mein neuer Film ist düster, aber nicht deprimierend. Ich glaube, man kann selbst eine katastrophale Kindheit überwinden und sein Leben in die Hand nehmen. „Ken Park“ war immer als Ergänzung zu „Kids“ gedacht, wo die Jugendlichen ganz auf sich gestellt waren. In „Ken Park“ wollte ich ins Innere ihrer Häuser eindringen und die Familien zeigen. Ich wollte herausfinden, wie wir es schaffen, unsere Kindheit zu überleben.

Warum treten Sie in „Ken Park“ selber als heruntergekommener Vater auf ?

Das habe ich schon in „Bully“ gemacht, weil niemand diese Rolle spielen wollte.

Immerhin verzichten Sie darauf, die Eltern der Kids zu dämonisieren.

Ich wollte sie von ihrer menschlichen Seite zeigen. Sonst können wir ja gar nichts mit ihnen anfangen. Wenn Claudes Vater sagt „Keiner liebt mich“, dann definiert das seine Figur. Er ist nur ein Mensch mit Schwächen, mit seinem Versagen aber überträgt er seine Fehler auf die Kinder. Überhaupt verkörpern eher die Eltern Verzweiflung in meinem Film als die Jugendlichen. Hoffnung gibt es nur für die Jungen – wenn auch nicht für alle, wie Ken Park selber. Diese Kids haben eine Chance, weil sie sich gegenseitig haben. Und aus diesem Grund habe ich auch die letzte Gruppensex-Szene gedreht, um dem Ganzen eine erfreulichere Note zu geben.

Wollen Sie sagen: Guter Sex kann Wunder wirken ?

Ja, ich glaube, dass der Sex für die Kids im Film heilsam wirkt. Sie spüren dadurch Nähe und Gemeinschaft. Sex ist für sie wichtig wie für alle Jugendlichen.

Die Angst vor Aids spiegelte sich in „Kids“ wider. Die völlig schuldfreie Eloge des Sex in „Ken Park“ werden viele problematisch finden, zumal das Aids-Problem auch zehn Jahre später nicht gelöst ist.

Sicher wird es ein paar Leute geben, die sich aufregen über die Sexszenen. In „Kids“ ging es um die Kondome und die große Angst vorm Sterben – das war ein anderer Film und eine andere Zeit.

Gelten Sie in den USA als pornografisch, weil Sie den Sex als wichtigen Teil des Lebens zeigen und auf einen Diskurs über Moral und Schuldgefühle verzichten?

Ich wollte einen Film drehen, der mit Sex emotional und visuell ehrlich umgeht. Viele auch gute Filme sind nur bis zu einem gewissen Punkt ehrlich. Irgendwann schließen sie die Tür. Ich wollte die Schönheit des Sex offen zeigen, und die jugendlichen Darsteller waren damit vollkommen einverstanden. Vielleicht trauen sich jetzt auch andere Regisseure mehr, nachdem sie meinen Film gesehen haben.

War es schwer, die Jugendlichen auf diese Sexszenen vorzubereiten ?

Die Kids wussten von vornherein, worauf sie sich einließen. Wir haben geprobt, damit sie sich kennen lernen konnten, und dann habe ich den Raum verlassen. Sie freundeten sich an und entspannten sich. Außerdem habe ich die Crew sehr klein gehalten, um die Schauspieler so wenig wie möglich unter Druck zu setzen. Am Ende waren die Jugendlichen bei diesen Sexszenen viel entspannter als ich selber!

Bei Ihnen sind die Sexszenen natürlicher Teil der Erzählung. Manche Zuschauer allerdings könnten den Film nun nur noch unter diesem Aspekt wahrnehmen.

Mit expliziten Sexszenen geht man immer ein Risiko ein. Ich hoffe, die Zuschauer reduzieren den Film nicht bloß darauf. Wenn sich Menschen über solche Szenen aufregen, dann sagt das mehr über sie selber als über mich oder den Film.

Die meisten Sexszenen in Hollywoodfilmen halten Sie sicher für prüde.

In Hollywood geht es nur darum, Geld zu verdienen. Deine künstlerische Ehrlichkeite ist da keinen Heller wert. Daher gehen so viele Regisseure in Hollywood die schlimmsten Kompromisse ein. Sie machen Testvorführungen, und nach entsprechenden Zuschauerreaktionen wird der Film dann verändert. Das ist die Hölle! Ich will keine Filme machen, die man schon zehn Minuten nach Verlassen des Kinos vergessen hat.

Offensichtlich hat man in Hollywood ein Problem mit Ihren Filmen.

Aber ja! Hollywood will auch den Sex nur maßlos glamourös darstellen, um damit viel Geld zu holen – denken Sie daran, wie Sharon Stone in „Basic Instinct“ beim Sex mit dem Eispickel auf Michael Douglas losgeht! Die Studios, das Geld, die Stars – da kann man nicht mehr machen, was man will. Fuck Hollywood !

Wie wichtig ist für Sie die europäische Resonanz auf Ihre Arbeit? Hilft Ihnen die Anerkennung, in den USA weiter kontroverse Filme zu machen?

Meine Filme sind schwer zu finanzieren und schwer zu drehen. Selbst wenn die Leute meine Filme auf den Festivals in Europa mögen – die Arbeit macht es mir nicht leichter.

Das Gespräch führte Marcus Rothe.

Larry Clark (61), ursprünglich Fotograf, wurde als Filmregisseur über Nacht mit „Kids“ (1995) berühmt, einem Film voller Sexszenen, in dem Jugendliche die Aids-Gefahr bewusst ignorieren. Weitere Filme: „Another Day in Paradise“ und „Bully“.

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