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Kultur: „Für all das liebe ich Deutschland“

Doppelte Einheit: Feridun Zaimoglu über Ost, West und Deutschtürken, Ethnohysteriker und den Berliner Islamgipfel

Herr Zaimoglu, haben Sie gute Laune, wenn Sie an Deutschland und die Einheit denken?

Es freut mich immer wieder, dass die Mauer weg ist. Und was für mich hier lebenden Fremddeutschen gilt, das gilt auch für die Ostdeutschen: Westlicher Boden ist ein Segen, die Umwälzung war ein Glück. Sicher ist der Prozess der Vereinigung noch nicht abgeschlossen, er dauert noch an, aber Feindbilder funktionieren nur eine gewisse Zeit.

Wie sieht es aus mit der Einheit von Deutschtürken und Deutschland, auch „Integration“ genannt?

Wenn wir schon von drei Stämmen reden – Ostdeutsche, Westdeutsche, Fremddeutsche – dann sollten wir realistisch auf das große Bild sehen, und da bin ich optimistisch. Wenn Politiker davon reden, dass Leute die „Einheit vollziehen“ sollen, klingt das wie eine Schularbeit. Es ist blauäugig zu glauben, dass sich Einheit oder Integration einstellen, wenn man sie einfordert. Und wenn einer wie Herr Pofalla von der CDU im Ton einer Rekrutenschulung auf dem Kasernenhof nach Integration bellt, lese ich darin eher eine aus Gründen der Selbstvergewisserung an die Rechte gerichtete Botschaft. Integration ist ein großes Zauberwort, aber es springt kein Kaninchen aus dem Zylinder, und die Zauberer sind schnell als Schwindler entlarvt. Dennoch ist im deutschen Alltag schon viel da, es gibt Begegnung, es ist vieles schon im Lot.

Aber es wurde eine Menge versäumt, etwa beim Lernen der Landessprache. Gibt es da eine zweite, unsichtbare Mauer?

Nein, von einer unsichtbaren Mauer würde ich nicht sprechen. Der Alltag bestimmt das Bewusstsein, und der Alltag der ersten Gastarbeitergeneration hieß: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Er hieß Maloche. Diese Schwerarbeit hat den Spracherwerb verhindert. Und sowohl in der alten Heimat als auch im neuen Land hat man den Leuten gesagt, dass es sich um ein Provisorium handle. Wenn man älter wird, ist der Zug für das Sprache-Lernen irgendwann abgefahren. Erst meine Generation konnte sich diesen Luxus leisten. Ich bin Schriftsteller geworden und habe mich der Sprache zugewandt, als ich merkte: Die Realität allein macht nicht stark, sie macht mürbe.

Sie sind zweisprachig und schreiben auf Deutsch. Wird Deutschland in 20 Jahren ein Land mit zwei Amtssprachen sein?

In Deutschland wird das Deutsche die Landessprache bleiben, und es ist auch nicht mein Wunsch, dass das anders würde. In zwanzig, dreißig Jahren wird die Verknetung der Stämme weit fortgeschritten sein, und ich finde es jetzt schon nicht produktiv, sich als Ausländer zu bezeichnen.

Wird es denn in 20 Jahren einen türkischstämmigen Außenminister geben?

Das spielt keine Rolle. Ich bin gegen Repräsentationspolitik. Es müsste vor allem ein ausgezeichneter Außenminister sein, und wenn er dann auch noch türkischstämmig ist, wäre das zu begrüßen.

Im Augenblick registrieren wir aber auch den Absturz großer Teile der Gesellschaft, was etwa der Fernsehfilm „Wut“ mit einem türkischen Gewalttäter als Protagonist darstellen will. Eine Geschichte nicht von Rassismus, sondern von Klassenhass.

Ja, zur sozialen Erosion der Gegenwart gehört der einheimische White Trash – denken Sie an Clemens Meyers Roman „Als wir träumten“ – ebenso wie das Ethnoproletariat der Vorstädte. Ich sehe seit Jahren, wie deutsch-türkische Bevölkerungsteile in diese Kontingente abwandern. Gesellschaftliche Feindbilder wandeln sich, der Ethnisierte ist jetzt der „Moslem“, der gewalttätige Vorstadtstrizzi, ein Milieu, das ich beobachte, denn ich gehe gern dahin, wo das Licht der Aufklärung ausgeknipst ist. Dieses Phänomen hat mit Armut zu tun, und ich möchte das den Politikern von CDU wie SPD immer wieder auf die Stirn klatschen. Unter denen gibt es genügend Ethnohysteriker, die es gut meinen, Aufklärungsspießer, die nicht wissen, wovon sie sprechen.

Wer sind die Ethnohysteriker – die, die sagen: Nun lasst ihnen doch das Kopftuch? Oder die, die erklären: Nehmt allen das Kopftuch weg?

Beide Seiten, beide. Die Eiferer für das Kopftuch und die Eiferer dagegen. Vor allem unter den Euro-Islam-Eiferern und den Emanzipationsbegeisterten gibt es Leute, denen schwebt eine Welt vor, die mir zur steril, zu gekachelt wäre. Sie reden und reden von der Gleichheit von Mann und Frau, von der Trennung von Staat und Kirche, heraus kommt dann ein stinköder Säkularismus. Sie wollen nicht sehen, dass es irgendwo immer Trash geben wird, immer Ränder. Mit orthodoxen Fanatikern landet man in der heißen Hölle, mit Aufklärungsfanatikern endet man in der kalten Hölle. Da würde ich mich langweilen! Dabei läuft es hier doch prächtig.

Sie sind mit Deutschland vollkommen zufrieden? Sie fordern gar nichts?

Natürlich muss es die entsprechenden Gelder geben, damit die Schulen gut arbeiten können, um den Leuten aus den Kontingenten von Ethnoproletariat und White Trash mehr Zukunft zu eröffnen. Es ist ja immer fragwürdig, wenn sich Politiker über die Niveaulosigkeit von Massenunterhaltung beschweren oder über den Bildungsschwund, auf der anderen Seite aber ausgerechnet die Mittel für Bildung kürzen. Das ist klar. In Deutschland müssen Maßnahmen ergriffen werden für weniger Reibungsverluste, aber die Trashkultur lässt sich nicht abschaffen.

Sonst ist in diesem Land alles in Ordnung?

Es ist spannend, in einem freien Land zu leben, ohne Konsensterror – der ist doch zum Erbrechen. Außerdem gibt es hier auch Visionen, Utopien, und für all das liebe ich Deutschland. Auch wenn mich hier viele Dinge und Menschen ärgern. Aber wenn ich mich aufrege, mich freue, wenn mein Blut kocht, wenn ich brenne für etwas, will ich überhaupt nicht wissen, ob das nun meine deutsche oder meine türkische Emotion ist, was die deutschen oder die türkischen Elemente in mir sind. Das ist vorbei. Seit mindestens zehn Jahren kann und will ich das nicht mehr auseinanderhalten.

Der letzte Woche von Innenminister Schäuble einberufene Islamgipfel, zu dem Sie eingeladen waren, ist also ein weiteres viel versprechendes Zeichen?

Unbedingt. Schon im Vorgespräch, als es vor ein paar Wochen um die Auswahl der Gäste ging, war mir Schäuble sympathisch. Er ist entspannt, er bellt nicht, er keift nicht, er sorgt nicht für Misstrauen. Das war das Beeindruckendste: Es gab kein Misstrauen, keine Atmosphäre von Angst. Inzwischen hat ja auch die CDU ihre Lebenslüge aufgegeben, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist. Wenn man mich vor zehn Jahren gefragt hätte, ob ich das alles für möglich halte, ich hätte es nicht geglaubt.

Wie erklären Sie sich den gesellschaftlichen Sinneswandel in Deutschland? Lag es an der Atta-Zelle in Hamburg, den brennenden Autos in der Pariser Banlieu, der katastrophalen Pisa-Studie, dem Karikaturenstreit?

Es wurde einfach Zeit. Der Islam-Gipfel im Schloss Charlottenburg hatte tatsächlich nichts mit Terrorismus zu tun. Es geht jetzt darum, dass man die hier lebenden Fremdstämmigen nicht mehr wegbügeln kann. Das wird erkannt. Es hat vierzig Jahre gebraucht. Aber vielleicht war so viel Zeit einfach nötig.

– Das Gespräch führte Caroline Fetscher.

Feridun Zaimoglu , 1964 in Anatolien

geboren, lebt in Kiel. Zuletzt veröffentlichte er den Roman „Leyla“ (Kiepenheuer & Witsch). Er nahm an der ersten deutschen Islamkonferenz teil.

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